Syngentas Giftexporte In der Schweiz verbotenes Pestizid verschmutzt brasilianisches Trinkwasser

2018 wurden 37 Tonnen Profenofos aus der Schweiz nach Brasilien exportiert – das zeigen Dokumente des Bundes, die Public Eye vorliegen. Dieses Insektizid – ein Organophosphat – ist auf Schweizer Böden wegen seiner Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt seit Langem verboten. In Brasilien gehört es zu den Pestiziden, die am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesen werden.

Sie dürften sich erinnern: Vor eineinhalb Jahren deckte Public Eye auf, welche Rolle ein hierzulande verbotenes, aus der Schweiz exportiertes Pestizid 2017 in einer Vergiftungswelle im indischen Yavatmal gespielt hatte. Nun belegen neuere Daten des Bundes, die Public Eye beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) eingefordert hat, den Export einer weiteren höchst problematischen Substanz: Profenofos. Diesen der breiten Öffentlichkeit kaum bekannten Namen trägt ein höchst potentes Insektizid, das vor allem im Anbau von Baumwolle, Mais, Rüben, Soja, Kartoffeln und Gemüse verwendet wird. «Profenofos ist ein Organophosphat, wie Saringas», erklärt Nathalie Chèvre, Ökotoxikologin an der Universität Lausanne, gegenüber Public Eye. «Das sind Nervengifte.»

«Das sind Nervengifte.»

Das Insektizid Profenofos ist hierzulande verboten. Dennoch exportierte Syngenta 2018 37 Tonnen davon aus der Schweiz nach Brasilien. Klick aufs Bild um das BAFU-Dokument herunterzuladen.

Gift im Trinkwasser

In der Schweiz ist die Verwendung von Profenofos seit 2005 nicht mehr erlaubt. Der Stoff steht auf der Liste jener Pestizide, die wegen ihrer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt verboten sind. Dennoch lässt es die Schweiz zu, dass dieses Pestizid exportiert wird. Gemäss den von uns eingesehenen Daten wurden 2018 37 Tonnen Profenofos nach Brasilien ausgeführt. Auch wenn der Name der Exportfirma auf den Dokumenten geschwärzt ist, gibt es keinerlei Zweifel, dass es sich dabei um Syngenta handelt. Der Basler Konzern – die Nummer eins auf dem globalen Pestizidmarkt, die 2018 mit der Agrarchemie einen Umsatz von über zehn Milliarden US-Dollar erzielte – ist die einzige Firma überhaupt, die auf dem brasilianischen Markt Pestizidprodukte verkaufen darf, welche Profenofos enthalten. Auf seiner brasilianischen Website gibt der Konzern an, dass er den Wirkstoff im schweizerischen Monthey produziert. Der globale Profenofos-Markt wird auf etwa 100 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Syngentas Verkäufe allein machen rund einen Viertel davon aus.

Syngenta ist die einzige Firma überhaupt, die auf dem brasilianischen Markt Pestizidprodukte verkaufen darf, welche Profenofos enthalten.

In Brasilien gehört die Substanz zu den Pestiziden, die am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesen werden, wie die Daten des nationalen Programms für Trinkwasserüberwachung 2018–2019 zeigen. In jeder zehnten Probe sind die ermittelten Profenofos-Werte so hoch, dass das Wasser in der Schweiz als für den menschlichen Konsum ungeeignet eingestuft würde. Die am stärksten betroffenen Regionen sind mit São Paulo und Minas Gerais die zwei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten des Landes.

  • © Fábio Erdos
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In einer öffentlichen Stellungnahme hat der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches letzten Sommer den «Doppelstandard» der Regierung angeprangert, welche die Ausfuhr von sehr gefährlichen, in der Schweiz verbotenen Pestizide zulasse, die dann im Ausland die Trinkwasserressourcen langfristig verunreinigten. Der Zugang zu sauberem Wasser sei ein Menschenrecht, und die Schweiz habe sich «offiziell dazu verpflichtet, diesem Menschenrecht nachzuleben» und es im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele zu fördern, schrieb der Verband der Trinkwasserversorger weiter.

Ein Bienentöter

Laut einem Bericht des BAFU ist Profenofos hochgiftig für Wasserorganismen, Vögel und Bienen. Organophosphat-Pestizide wie Profenofos veränderten die Physiologie und Motorik der Honigbiene, was zu Lähmung und schliesslich zum Tod führe, sagt Marianne Tschuy, Fachspezialistin beim Bienengesundheitsdienst des Imker-Branchenverbands, auf Anfrage. Leonardo Melgarejo, Agraringenieur und Vizepräsident der brasilianischen Agrarökologievereinigung, zeigt sich empört darüber, dass die Schweiz die Ausfuhr eines im eigenen Land verbotenen Pestizids zulässt. «Diese Substanz gefährdet die gesamte Nahrungskette», erklärt er gegenüber Public Eye. «Die Schweiz sollte sich für ein weltweites Verbot dieser Art von Stoffen einsetzen, anstatt sie in mein Land zu exportieren.»

«Die Schweiz sollte sich für ein weltweites Verbot dieser Art von Stoffen einsetzen, anstatt sie in mein Land zu exportieren.»

Toxisch für das Nervensystem

Profenofos ist auch für den Menschen giftig. Die Substanz könne «die Aktivität des Nervensystems überstimulieren» und «bei sehr hoher Exposition Atemlähmung und Tod» zur Folge haben, schreibt die US-Umweltbehörde EPA. Das Risiko einer akuten Vergiftung betrifft in erster Linie Landarbeiterinnen und -arbeiter, die das Pestizid oft ohne Schutzausrüstung ausbringen. Im Jahr 2017 haben sich Bäuerinnen und Bauern in Indien schwere, teils tödlich endende Vergiftungen zugezogen, «nachdem sie eine Mischung aus Profenofos und Cypermethrin verwendeten», schreibt das BAFU in einem Bericht.

Zudem sind Fälle von Suizidversuchen mit Profenofos bekannt; etwa in Sri Lanka und Indien, mit von Syngenta verkauften Produkten. In Sri Lanka ist es seit Ende der 1990er-Jahre gelungen, die Mortalität infolge von Suizidversuchen drastisch zu senken, indem mehrere hochgiftige Pestizide, darunter Paraquat und Dimethoat, verboten wurden. «Vor 2011 gab es nur sehr wenige Vergiftungsfälle mit Profenofos», sagt Jeevan Dhanarisi von der Medizinischen Fakultät der Universität von Peradeniya in Sri Lanka. Seither seien die Zahlen jedoch deutlich gestiegen, insbesondere seit 2014 Chlorpyrifos, eine Substanz aus derselben Gruppe, verboten wurde. Profenofos sei heute in Sri Lanka «ein grosses Problem. Mehr als jede zehnte Person, die die Substanz einnimmt, stirbt daran».

Die leeren Behälter hochgefährlicher Pestizide bleiben im Gebrauch: um Trinkwasser zu transportieren oder für den täglichen Toilettengang. © Atul Loke / Panos Pictures
Yavatmal (Indien), 2018: zwei Kinder nutzen alte Pestizid-Behälter als Wassergefässe.

Profenofos kann bei wiederholter Exposition auch in niedrigen Dosen zu irreversiblen Schäden führen. Hans Muilerman, Toxikologe des Pesticide Action Network (PAN) Europe, hat die wichtigsten Studien zum Thema ausgewertet. Sein Fazit ist eindeutig: «Profenofos ist ein extrem gefährliches Pestizid. Besonders hoch sind die Risiken für ungeborene Kinder. Der Stoff beeinträchtigt in erster Linie die Entwicklung des Gehirns. Die Wirkung ist ähnlich wie bei Chlorpyrifos.» Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat kürzlich ein Verbot für Chlorpyrifos empfohlen, weil sie gestützt auf epidemiologische Erhebungen von «neurologischen Auswirkungen während der Entwicklung» von Kindern ausgeht. Auch in der Schweiz dürfte die Substanz gemäss Nathalie Chèvre von der Universität Lausanne demnächst verboten werden.

Gift in unserem Gemüse

Die gesundheitlichen Risiken betreffen nicht nur Bäuerinnen, Landwirte oder allgemein Menschen, die in ländlichen Gebieten leben. Durch die Ausbringung von Profenofos auf den Feldern gelangt der Stoff oft auch ins Trinkwasser, wie in Brasilien. Und auch in unser Essen. Denn obwohl die Verwendung der Substanz in der Schweizer Landwirtschaft verboten ist, können Lebensmittel, die unter Einsatz von Profenofos produziert wurden, problemlos importiert werden. Profenofos ist denn auch das am häufigsten nachgewiesene, hierzulande verbotene Pestizid in unseren Lebensmitteln – wie unsere Analyse der detaillierten Daten des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über Pestizidrückstände im Jahr 2017 gezeigt hat. Profenofos wurde in 41 Lebensmitteln nachgewiesen, vor allem in Gemüse sowie verschiedenen Früchten und Gewürzen aus Asien (Thailand, Vietnam, Indien und Sri Lanka).

Kein Einzelfall

Profenofos ist nicht das einzige verbotene Pestizid, das aus der Schweiz exportiert wird. Im Jahr 2018 wurden aus der Schweiz auch knapp vier Tonnen Diafenthiuron nach Südafrika und rund 20 Liter Atrazin in den Sudan ausgeführt. Auf eine parlamentarische Interpellation hin hat der Bundesrat 2017 berichtet, dass seit 2011 pro Jahr im Mittel 145 Tonnen hierzulande verbotene Pestizide exportiert wurden – verteilt auf durchschnittlich 74 Exporte jährlich. Bis auf eine einzige Substanz stehen alle exportierten Pestizide auf der PAN-Liste der «hochgefährlichen Pestizide».

Noch sträubt sich der Bundesrat, den Export von hierzulande verbotenen Pestiziden zu untersagen

Nach Enthüllungen von Public Eye reichte die damalige Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne) im Dezember 2017 eine Motion mit Titel «Ausfuhrstopp für in der Schweiz verbotene Pestizide» ein – mit Unterstützung von 41 Parlamentsmitgliedern aus allen politischen Lagern. Kürzlich wurde die Motion jedoch abgeschrieben, weil die zweijährige Frist für deren Behandlung abgelaufen war.

In seiner Stellungnahme vom 21. Februar 2018 räumte der Bundesrat ein, dass die Verwendung verbotener Pestizide insbesondere in Entwicklungsländern ernsthafte Gesundheits- oder Umweltprobleme verursachen kann. Ein Ausfuhrverbot hielt er jedoch für «nicht verhältnismässig» – er bevorzuge Massnahmen, welche «die Wirtschaftsfreiheit weniger stark beschränken». Stattdessen legte der Bundesrat einen Entwurf für eine Verordnungsänderung vor: Der Export bestimmter gefährlicher Pestizide, die in der Schweiz verboten sind, soll von einer vorgängigen ausdrücklichen Zustimmung des Einfuhrlandes abhängig gemacht werden. Dieser Entwurf wurde Anfang 2019 in die Vernehmlassung geschickt, die Anpassung dürfte der Bundesrat diesen Frühling im Rahmen des «Verordnungspakets Umwelt» verabschieden.

Public Eye und andere Organisationen halten diesen Vorschlag für klar unzureichend, da er den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt in den betroffenen Ländern nicht gewährleisten kann. Auch mehrere Kantone haben sich kritisch geäussert: So haben sich Waadt, Bern und Luzern für einen Ausfuhrstopp verbotener Pestizide ausgesprochen – der Bundesrat müsse den Schutz von Gesundheit und Umwelt höher gewichten als die Wirtschaftsfreiheit.

Aus der Sicht von Syngenta geht dagegen sogar der Vorschlag des Bundesrats zu weit. In seiner Stellungnahme zuhanden des Bundesamts für Umwelt behauptet der Konzern, die Verordnungsänderung würde zu einer unwirksamen und unnötigen Regulierung führen, welche die Attraktivität der Schweiz als Produktionsstandort gefährden würde. Er setzt somit einmal mehr implizit auf die Drohung, Arbeitsplätze
abzuziehen.

Der internationale Druck wächst

Syngentas Widerstand zum Trotz sieht es jedoch danach aus, dass sich das veraltete Geschäftsmodell nicht mehr lange halten wird. So hat Frankreich bereits 2018 ein Exportverbot beschlossen, das 2025 in Kraft tritt. Auch in Deutschland haben Exporte verbotener Pestizide für Schlagzeilen gesorgt, und das Thema wird im Europäischen Parlament diskutiert. Public Eye wird sich nach Kräften dafür einsetzen, dass die Forderung nach einem Exportverbot auch in der Schweiz wieder auf das Tapet kommt.

Gewichtige Unterstützung

Die Forderung nach Exportverboten hat kürzlich auch auf internationaler Ebene gewichtige Unterstützung erhalten. Das gemeinsame Gremium der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Handhabung von Pestiziden hat im vergangenen November eine Empfehlung verabschiedet, wonach ein Land, das ein Pestizid wegen seiner Gefährlichkeit verbietet, auch die Produktion und den Export des Stoffes unterbinden soll.

Und auch Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für toxische Substanzen und Menschenrechte, forderte die Schweizer Behörden auf, ein solches Exportverbot zu verhängen. Es sei «schwer vorstellbar», dass gefährliche Pestizide, die in der Schweiz verboten sind, «in Zielländern mit schwächeren staatlichen Strukturen absolut sicher angewandt werden können», schrieb er in einem offenen Brief an die Schweizer Regierung – und erinnerte sie daran, dass Staaten verpflichtet sind, «grenzüberschreitend» zu verhindern, dass Arbeitnehmende gefährlichen Stoffen, einschliesslich Pestiziden, ausgesetzt werden.

Im Namen der Internationalen Gewerkschaft der Lebensmittel- und Landwirtschaftsarbeiter (IUL) forderte auch deren Generalsekretärin Sue Longley die Schweiz dazu auf, «internationale Menschenrechtsstandards einzuhalten» und die «Ausfuhr von Substanzen, die Krankheit, Leid und Tod verursachen, zu stoppen».

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