Der Preis eines Zara-Pullovers

Wie viel Respekt für faire Löhne steckt im «Respect»-Pullover von Zara? Weil Zaras Mutterkonzern Inditex weder Lohnniveaus noch Einkaufspreise offenlegt, haben wir selbst auf Grundlage Dutzender Quellen eine detaillierte Schätzung zur Preisaufteilung in der Fertigung des Pullovers angestellt. Die Quintessenz: Zara macht mit einem Pullover offenbar mehr Gewinn, als alle an der Produktion beteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen daran verdienen. Doch es ginge auch anders.

In einem Kleidungsstück steckt viel Arbeit. Doch wie wird diese entlohnt? Wie viel vom Verkaufspreis eines Kleidungsstücks landet tatsächlich bei den Arbeiterinnen und Arbeitern, und wie viel streichen die Firmen als Gewinn ein? Um das herauszufinden, haben wir nicht nur hartnäckig Informationen von Zara zum «Respect»-Kapuzenpullover eingefordert und uns im türkischen Izmir auf Spurensuche gemacht, sondern parallel dazu Dutzende Geschäftsberichte, Handelsdaten und weitere Quellen ausgewertet und Expertinnen und Experten befragt. Auf dieser Grundlage haben wir für alle Ebenen der Lieferkette eine detaillierte Schätzung vorgenommen, wie sich die Kosten für den «Respect»-Pullover aufteilen – und wer daran in etwa wie viel verdient. Wir, dass sind in diesem Fall Public Eye, zusammen mit der Schone Kleren Campagne und dem Collectif Éthique sur l’étiquette, unseren niederländischen und französischen Partnerorganisationen im Netzwerk der Clean Clothes Campaign, sowie das Pariser Recherchebüro Le Basic, dessen Team die Berechnung durchgeführt hat.

© Timmy Memeti

Ein Pullover, viele Preise

Inditex, der Mutterkonzern von Zara, ist bekannt für seine einzigartige, zentralisierte Lieferkette: Die Kleidungsstücke werden in der spanischen Unternehmenszentrale in A Coruña designt und bestellt, dann in ganz unterschiedlichen Ländern produziert und nach Spanien verschifft, gefahren oder geflogen, bevor sie von dort aus auf Filialen und Versandzentren für den Onlineverkauf verteilt werden. Die Verkaufspreise eines Produkts unterscheiden sich je nach Land jedoch erheblich. In Spanien betrug der Preis des von uns untersuchten Pullovers 25.95 Euro (oder umgerechnet 30.02 Schweizer Franken)*, in Frankreich und Deutschland mit 29.95 Euro (34.65 Franken) etwas mehr, deutlich teurer wurde er in der Schweiz angeboten: für 45.90 Franken. Ab Juni rabattierte Zara den Preis dann um rund die Hälfte, am Ende wurden (wohl einzelne) Restexemplare in der Zürcher Filiale für gerade mal noch 12.95 Franken angeboten.

Die unterschiedlichen Preisniveaus lassen sich nicht allein auf die zwischen den Ländern variierenden Detail- und Onlinehandelskosten und Mehrwertsteuersätze zurückführen. Vielmehr scheinen sich die Preise an den Preiserwartungen und der Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten zu orientieren. Während Zara in Spanien als Mainstream eher günstig vermarktet wird, wird die Marke in der Schweiz als etwas glamourösere Marke im preislichen Mittelfeld positioniert. Für unsere Berechnung haben wir die verschiedenen Preis- und Rabattniveaus berücksichtigt und die Mehrwertsteuern herausgerechnet. In der Mischkalkulation dürften Hochpreismärkte wie die Schweiz eine eher geringe Rolle spielen, weitaus mehr Umsatz macht Zara im Heimatmarkt Spanien sowie in den grossen EU-Ländern. Vor diesem Hintergrund schätzen wir den durchschnittlichen Verkaufspreis, den Zara tatsächlich pro Kapuzenpullover erhalten hat, ohne Mehrwertsteuer auf 25.70 Franken. Doch wieviel hat Zara selbst pro Pullover bezahlt?

Was hat Zara bezahlt?

Da Zara uns diese Frage nicht beantworten wollte, haben wir selbst gerechnet. Wir haben herausgefunden, dass die rund 20000 Exemplare des Pullovers Ende 2018 in der Türkei genäht und bedruckt wurden. Unseren Recherchen zufolge erteilte Zara die Produktionsaufträge jedoch nicht selbst, sondern schaltete ein weiteres Unternehmen dazwischen, welches die Rolle einer Beschaffungsagentur einnahm und seinerseits lokale Unternehmen mit den verschiedenen Arbeitsschritten beauftragte. Wir schätzen, dass Inditex pro Pullover 8.98 Franken an die Agentur gezahlt hat. Für diese Schätzung haben wir Vergleichsangebote von anderen türkischen Firmen eingeholt, Fachleute befragt und die Angaben mit den von uns errechneten Kosten für Material und Verarbeitung verglichen.

Unsere Kostenschätzung für die Fertigung liegt rund ein Viertel unter den von uns für eine fiktive Firma eingeholten Vergleichsangeboten, was angesichts der starken Einkaufsmacht realistisch sein dürfte: Inditex ist einer der grössten Abnehmer von in der Türkei hergestellter Bekleidung. Wir haben die Geschäftsberichte der von Zara beauftragten Agentur aus den vergangenen fünf Jahren ausgewertet und schätzen auf dieser Grundlage, dass diese von den 8.98 Franken selbst 24 Rappen als Gewinn und 57 Rappen zur Deckung ihrer Kosten und zur Bedienung von Krediten einbehalten hat. Dies ist konservativ gerechnet, denn während unserer Recherche vor Ort haben wir auch die Einschätzung gehört, die Agentur würde ein bis zwei Euro pro Hoodie verdienen.

Weit weg von Existenzlöhnen

Inditex versicherte uns gegenüber, dass die von ihnen bezahlten Einkaufspreise ausreichend seien. Doch wie viel kommt tatsächlich bei den Subunternehmen an? Unseren Informationen zufolge erhielt die Nähfabrik für das Zuschneiden, das Nähen, das Verpacken und das Anbringen der Labels lediglich 9 türkische Lira (1.77 Franken). Die Fertigung selbst ist in zahlreiche Einzelschritte unterteilt, der Pullover wandert durch viele Hände und Maschinen. Insgesamt stecken in einem einzelnen Kapuzenpullover rund 30 Arbeitsminuten – eine Schätzung, die von verschiedenen Fachleuten bestätigt wird. In unserer Recherche hören wir von Löhnen für Fabrikarbeitende, die 2000 bis 2500 türkische Lira (337 bis 421 Franken) betragen, also den gesetzlichen Mindestlohn oder geringfügig mehr. Für einen Nettolohn von 421 Franken im Monat müsste die Fabrik mit mindestens 2.66 Franken Bruttostundenlohn bzw. 1.33 Franken für 30 Minuten rechnen.

Von Existenzlöhnen waren die Näherinnen und Näher weit entfernt

Zum Vergleich: Damit den Arbeiterinnen und Arbeitern ein Existenzlohn gemäss Schätzungen der Clean Clothes Campaign Türkei ausbezahlt werden könnte, müsste der Bruttostundenlohn mindestens 6.74 Franken, für 30 Minuten entsprechend 3.37 Franken betragen. Wenn die Fabrik dagegen lediglich 1.77 Franken erhält und davon neben Löhnen noch die laufenden Kosten für den Unterhalt des Gebäudes und der Maschinen, für Energiekosten oder die Löhne des Managements finanzieren muss, wird schnell klar, dass es mehr als knapp wird. Wir gehen in unserer Berechnung davon aus, dass die Fabrik pro Pullover 1.27 Franken in Form von Arbeitskosten zahlen musste und so gerade mal 50 Rappen blieben, um notwendiges Zubehör einzukaufen, die laufenden Fabrikkosten zu finanzieren und wenn möglich noch einen Gewinn zu erwirtschaften, was auch die Eigentümer der Näherei natürlich anstreben. Es ist also offensichtlich: Von existenzsichernden Löhnen waren die Näherinnen und Näher des «Respect»-Kapuzenpullovers weit entfernt.

Gerade mal 10 Rappen dürfte die Druckerei für einen Druck erhalten haben

Ein paar Rappen für den Druck

Gerade mal eine halbe Lira, also rund 10 Rappen, dürfte die Druckerei für einen Druck erhalten haben. Ein lokaler Branchenexperte bestätigte uns diese Dimension, die wir im Rahmen unserer Recherche vor Ort erfahren haben. Da für Vor- und Rückseite zwei Drucke nötig sind, haben wir die Druckkosten auf 20 Rappen pro Pullover geschätzt, die Hälfte davon für Löhne. Auch dieser Betrag ist so knapp, dass den Fabriken selbst bei Produktion auf Mindestlohnniveau nach Zahlungen der Rechnungen nur wenig bleiben dürfte. Bei derart geringen Margen ist das Risiko hoch, dass die Arbeitskosten noch weiter gedrückt werden: etwa durch Erhöhung der Leistungsanforderungen (weniger Sekunden pro Arbeitsschritt), unter- oder nicht bezahlte Überstunden oder den Einsatz von Tagelöhnerinnen und Tagelöhnern.

Unseren Recherchen zufolge hat Zara auch den Stoff über die Agentur eingekauft. Wir schätzen, dass pro Pullover dafür 6.19 Franken aufgewendet wurden. Auch hierzu haben wir Vergleichsangebote eingeholt und geschätzt, dass Inditex bzw. ihre beauftragte Agentur aufgrund der grossen Marktmacht den Preis gegenüber dem Angebot, welches wir für eine kleinere, unbekannte Firma eingeholt haben, um zehn Prozent herunterhandeln.

Vom Feld zum Stoff

Da wir nicht nur die Arbeitskosten in der Verarbeitung ermitteln wollten, haben wir auch die Stoffproduktion analysiert. Pro Pullover gehen wir von rund 1,7 Quadratmeter Stoffbedarf aus. Bei diesem handelt es sich Experten zufolge um ein French-Terry-Mischgewebe mit einer aufgerauten Seite und einer Dichte von 260 Gramm pro Quadratmeter, laut Etikett zu 84 Prozent aus Baumwolle, nach Inditex-Deklaration aus biologischem Anbau. Nach Angaben des Konzerns wurde die Rohbaumwolle in Indien verarbeitet. Wir schätzen, dass die Baumwollbäuerin oder der Baumwollbauer (in Indien ist Baumwollanbau überwiegend kleinbäuerlich und arbeitsintensiv) rund 30 Rappen für die für einen Pullover benötigte Menge Rohbaumwolle erhalten hat. Nach Abzug von 6 Rappen für Saatgut, Bewässerung und weitere Inputs bleiben davon für die Löhne von Hilfsarbeiterinnen und -arbeitern und die Landwirte selbst insgesamt 24 Rappen übrig. Rund dreimal so viel wäre nötig, damit Hilfskräfte existenzsichernde Einkommen verdienen.

Die Verarbeitung von Rohbaumwolle zu Fasern, zu Garn und schliesslich zu Stoff erfolgt üblicherweise hochmaschinell und in sehr grossen Mengen. Dementsprechend fallen die Lohnanteile in diesen Schritten gering aus. Auch die Gewinnmargen auf diesen Stufen sind eher gering; nach der Analyse von Geschäftsberichten und anderer Branchendaten schätzen wir diese auf 32 Rappen pro Pullover. Es sind wohl weniger die Margen, sondern die grossen Mengen, die den Firmen auf diesen Zwischenstufen das wirtschaftliche Auskommen sichern.

© Timmy Memeti

Zaras Gewinn

Halten wir als Zwischenergebnis fest: Unseren Schätzungen zufolge stecken vom Baumwollfeld bis hin zum Druck in jedem Pullover insgesamt Einkommen und Löhne von gerade mal 2.40 Franken.

Und wir schätzen, dass Zara pro Stück 8.98 Franken an seine türkische Einkaufsagentur gezahlt hat. Nun muss der Pullover allerdings noch in die Läden kommen und verkauft werden. Die Frachtkosten (wir gehen vom Transport per Containerschiff von der Türkei nach Spanien und per LKW zum Logistikzentrum in Saragossa aus) schätzen wir pro Stück auf 48 Rappen. Die Bruttomarge (Umsatz minus Aufwendungen für den Einkauf) lag bei Inditex im Geschäftsjahr 2018 mit 17.1 Milliarden Franken bei 56.7 Prozent des Umsatzes. Die für den Pullover errechnete Marge liegt mit 63 Prozent ein wenig darüber. Auf dieser Grundlage haben wir die durchschnittlichen Kosten- und Gewinnanteile auf unseren Pullover umgerechnet.

Wir schätzen, dass pro Pullover 4.54 Franken Personalkosten (überwiegend im Verkauf) und 6.86 Franken für Ladenmieten, Abschreibungen und weitere operative Kosten angefallen sind. Falls für den Abdruck des Liedtextes von Aretha Franklin auf dem Pullover Geld an die Rechteinhaberin Universal Music geflossen sein sollte, so fiele dies auch in letztgenannte Kategorie. Was bleibt übrig? Unseren Schätzungen zufolge ein Gewinn von 4.86 Franken pro Pullover, also mehr als doppelt so viel wie der Anteil, den die Arbeiterinnen und Arbeiter in der gesamten Produktion erhalten haben. Nach Abzug von Steuern bleiben davon 3.78 Franken Nettogewinn übrig.

Grafik aus dem Public Eye Magazin Nr. 20 (klicken für Vergrösserung)

«Respect»? Dazu braucht es Umverteilungen

Das Businessmodell von Zara ist auf Gewinnmaximierung getrimmt: Eine Umsatzrendite von mehr als 15 Prozent gibt das Ziel vor und prägt die Verhältnisse in der Lieferkette. Ginge es auch anders? Was wäre, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter vom Baumwollfeld über die Textilfabrik bis hin zu den Läden faire Löhne erhalten würden? Um die Löhne in der Produktion in der Türkei und Indien auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben, müssten diese je nach Produktionsschritt um Faktor 1,9 bis 3,0 multipliziert werden. Dennoch würde die Differenz pro Pullover lediglich 4.19 Franken ausmachen, etwas weniger, als allein Inditex daran verdient. Würden auch die anderen Firmen in der Lieferkette auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten, wäre dieser Spielraum noch grösser.

Wenn Inditex wirklich wollte, wären Existenzlöhne also möglich

Wenn Inditex wirklich wollte, wären Existenzlöhne also möglich, selbst ohne dass der Ladenpreis automatisch ansteigen müsste. Utopisch? Das mag heute noch so scheinen. Möglich? Absolut.

«Respect» in der Modeindustrie bedeutet für uns, dass jene, die die Rohstoffe produzieren, die Stoffe herstellen oder die Kleider nähen, gut von ihrer Arbeit leben können – und dass jene, die die Lieferketten kontrollieren, ihre Macht nicht missbrauchen, um die Preise zu drücken. Die Umverteilung von Macht und Gewinnen innerhalb der Lieferketten braucht Auseinandersetzung, Verhandlungen und notfalls Streiks zur Durchsetzung von besseren Löhnen und Produzentenpreisen. Und es braucht die Solidarität von Menschen, die aus ihrer Rolle als passive Konsumentinnen und Konsumenten ausbrechen – und klar machen, dass es keine Frage der Perspektive sein darf, dass das Menschenrecht auf existenzsichernde Löhne akzeptiert wird.

Reportage in Izmir Was Respekt für Zara bedeutet

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* Verwendete Kurse:

  • CHF-EUR: 0.86; USD-EUR: 0.85; EUR-INR: 80.74 (Jahresmittelkurse 2018).
  • Für Produktionskosten und Existenzlohnschätzung in türkischer Lira: CHF-TRY: 5.19; EUR-TRY: 5.87 (Monatsmittelkurs Dezember 2018).
  • Für aktuelle Lohnangaben in türkischer Lira: CHF-TRY: 5.58; EUR-TRY: 6.46 (Monatsmittelkurs September 2019).