Weiss, männlich, satt? Die WTO auf dem Prüfstand

Bern, 15.10.1999 - Knapp sieben Wochen vor der dritten WTO-Ministerkonferenz luden die Erklärung von Bern und Swissaid zu einer WTO-Tagung ein, um die komplexen und abstrakten WTO-Regeln mit dem konkreten Alltag von Menschen zu verbinden und blinde Flecken im Denken der WTO aufzudecken. Besonders zwei Tatsachen wurden anlässlich des Welternährungstages 1999 hervorgehoben: erstens hätten die WTO-Regeln bis anhin nicht dazu beigetragen, um die Ernährungssituation für die 800 Millionen hungernen Menschen weltweit zu verbessern; und zweitens betreffe ein liberalisierter Welthandel Frauen in ganz anderer Weise als Männer.

«In Diskussionen über die WTO wird immer nur von den WTO-Regeln gesprochen, aber nie davon, was diese eigentlich für den Alltag von Menschen bedeuten», so führte Marianne Hochuli von der Erklärung von Bern die Tagung mit dem provokativen Titel «Weiss, männlich, satt?» ein. Und die Denkweise der WTO enthalte einige grundlegende blinde Flecken.

Blind stelle sich die WTO gegenüber der Tatsache, dass Handelsliberalisierung auf Frauen, besonders in Ländern des Südens, oftmals ganz unterschiedliche Auswirkungen haben könnten. Denn deren Lebenssituation sehe oftmals anders aus als diejenige der Männer, betonte die Ökonomin Mariama Williams aus Jamaica. Es drohe die Gefahr, dass die WTO-Regeln das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern noch verstärken würden. Ausgeblendet würden in der WTO auch die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern.

Obwohl die Entwicklungsländer zahlenmässig zwei Drittel darstellen würden, verstünden es hauptsächlich die grossen Vier, nämlich die USA, die EU, Japan und Kanada, ihre Interessen durchzusetzen. Dem hält Anna Kajumulo Tibaijuka von der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung entgegen, dass sich südliche Länder vermehrt einbringen und eigene Vorschläge auf den Tisch legen müssten, wie dies kürzlich an einem Treffen in Südafrika geschehen sei: Die afrikanischen Handelsminister der Gruppe 77 (der 130 Entwicklungsländer angeschlossen sind) habe im Hinblick auf die Ministerkonferenz in Seattle geschlossen eine Entwicklungsrunde anstatt einer weiteren Liberalisierungsrunde gefordert.

Der Trend, dass sich die wirtschaftliche Macht in den Händen von immer weniger und grösseren Unternehmen konzentriere, würde von der WTO noch gefördert, führte Miges Baumann von Swissaid aus. So forciere gerade das bestehende Agrarabkommen eine industrialisierte Produktionsweise für den globalen Markt. Besonders Kleinbäuerinnen wären durch billige Importe nicht mehr konkurrenzfähig und müssten die Nahrungsproduktion aufgeben.

Swissaid und die Erklärung von Bern forderten darum anlässlich des Welternährungstages 1999 die Schweizer Regierung auf, an der dritten Ministerkonferenz in Seattle die Anliegen der Ärmsten ins Zentrum zu stellen. Dies heisse, die Ernährungssicherheit der ärmsten Länder im zukünftigen WTO-Rahmen zu verankern und das Menschenrecht auf Nahrung im WTO-Regelwerk zu garantieren. Ausserdem forderten die beiden Organisationen, dass vor einer weiteren Liberalisierungsrunde zuerst die Auswirkungen, und insbesondere die unterschiedlichen Auswirkungen auf Männer und Frauen, der bisherigen Abkommen evaluiert werden sollen.