Banken und Menschenrechte

Transnationale Unternehmen agieren ausserhalb der Kontrolle eines einzelnen Staates; sie sind mächtig, und sie verletzen manchmal die Menschenrechte. Kein Wunder also ist in den letzten Jahren eine dynamische Diskussion um die Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen in Gang gekommen. Diese betrifft auch die Banken, die über ihre Finanzierungstätigkeit in die Menschenrechtsverletzungen ihrer Kunden verwickelt werden.

Die Idee der Menschenrechte, welche in ihrer bis heute gültigen Form in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs geboren wurde, ist revolutionär. Normalerweise bezieht sich ein «Recht» immer auf ein bestimmtes nationales Rechtssystem, und oft setzt dessen Kenntnis bereits spezialisiertes Wissen voraus, das meist nur gut bezahlte Juristen haben. Die Rechte in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in den darauf folgenden Menschenrechtsverträgen (siehe Kasten) umfassen dagegen diejenigen Rechte, die alle Menschen alleine deswegen haben, weil sie menschliche Wesen sind. Dass diese Rechte oft mit Füssen getreten werden, schwächt sie nicht ab, sondern beweist ihre visionäre Kraft und Notwendigkeit.

Obwohl die Menschenrechte über einzelnen Staaten und ihren Rechtsordnungen stehen, liegt die Verantwortung für deren Umsetzung laut Völkerrechtsverträgen dennoch vor allem bei den nationalen Regierungen. Allerdings heisst es schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dass «jedes Individuum und jedes Organ der Gesellschaft » für die Einhaltung der Menschenrechte in die Pflicht genommen ist. Diese Pflicht gilt also auch für Unternehmen.

In den vergangenen gut zehn Jahren hat die Diskussion um spezifische Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen stark an Dynamik gewonnen.

Der spezielle Vertreter des Uno-Generalsekretärs für Unternehmen und Menschenrechte (mit vollem Titel: «Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises»), der US-amerikanische Professor John Ruggie, sieht dafür drei Gründe:

1. Die Liberalisierung hat in vielen Ländern den unternehmerischen Spielraum der transnationalen Konzerne massiv vergrössert. Eine Vielzahl von WTO-Abkommen, bilateralen Handelsverträgen und nationalen Gesetzen sichert diesen Spielraum rechtlich ab. Es gibt heute etwa 70 000 transnationale Unternehmen mit 700000 Tochtergesellschaften und Millionen von Zulieferern. Transnationale Unternehmen setzen ihre eigenen globalen Standards, und Konflikte werden nicht mehr vor nationalen Gerichten ausgetragen, sondern oft durch private Streitschlichtungsmechanismen gelöst.

2. «Die zweite treibende Kraft sind Unternehmen selber, die sich oder ihre ganze Branche zur Zielscheibe gemacht haben, indem sie die Menschenrechte, Arbeitsstandards, den Umweltschutz und andere soziale Anliegen ernsthaft verletzt haben », so Ruggie in seinem Bericht an die letzte Sitzung der UN-Menschenrechtskommission. Der fehlende Respekt für Mensch und Umwelt vieler Unternehmen hat zum Ruf nach Unternehmensverantwortung und Unternehmenshaftung geführt.

3. Schliesslich haben die Unternehmen durch ihre Grösse und finanzielle Mittel Einflussmöglichkeiten und Handlungsoptionen, die diejenige von Staaten und internationalen Organisationen weit übersteigen. Sie könnten also auch einen Beitrag zur Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte leisten.

Die Uno-Menschenrechtsnormen für Unternehmen

Eine Arbeitsgruppe der Uno-Subkommission für den Schutz und die Förderung der Menschenrech- te hat von 1999 bis 2003 einen Vorschlag für Uno- Menschenrechtsnormen für Unternehmen erarbeitet (Norms on the Responsibility of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights). Diese Normen leiten aus bestehenden Menschenrechtsverträgen und anderen internationalen Abkommen die spezifischen Verpflichtungen von Unternehmen ab (siehe Kasten). Die Uno-Menschenrechtskommission hat die Normen an ihrer Sitzung im Jahr 2004 diskutiert, ohne sie jedoch zu beschliessen. Immerhin hat sie aber zum ersten Mal die Bedeutung der Menschenrechte für Unternehmen festgehalten. Im folgenden Jahr wurde dann das Amt des bereits erwähnten speziellen Vertreters geschaffen, der zunächst einmal für zwei Jahre sicherstellt, dass die Diskussion über Unternehmen und Menschenrechte vorankommt.

Die in den Normen vorgesehene Beobachtung von Unternehmensaktivitäten durch die Uno und die Entschädigung von Opfern ist damit allerdings noch Zukunftsmusik. Aber auch ohne formelle Rechtskraft können die Normen Wirkung entfalten. Unternehmen, die ihre Bereitschaft unter Beweis stellen wollen, die Menschenrechte zu respektieren und zu fördern, können ihre internen Richtlinien und Abläufe heute schon an den Uno- Normen ausrichten. Für den Menschenrechtsanwalt und Vorsitzenden der «International Commission of Jurists» Nicholas Howen ist klar, dass sich die Berücksichtigung der Menschenrechte auch für Unternehmen auszahlt: «Die Botschaft lautet, dass unverantwortliche Unternehmen in Zukunft wahrscheinlich Gegenstand von Gerichtsverhandlungen sind.»

Exponierter Rohstoffsektor

Für seinen diesjährigen Zwischenbericht untersuchte John Ruggie 65 aktuelle Fälle von möglichen Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne. Zwei Drittel davon wurden von Öl-, Gasund Bergbaufirmen verursacht. Bergbau oder Ölförderung findet gezwungenermassen dort statt, wo die Vorkommen liegen. In der Praxis entscheidet dann die Rentabilität darüber, ob und was abgebaut wird. Weil die Eingriffe in die Natur bei der Rohstoffförderung massiv sind und die Auswirkungen (beispielsweise durch Wasserverschmutzung) oft grosse Gebiete betreffen, sind unweigerlich die Rechte vieler Menschen direkt betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Anlagen häufig in abgelegenen Gegenden befinden und die Regierungen beim Schutz der Betroffenen beide Augen zudrücken.

Besonders bedroht sind indigene Gruppen, deren ganze Kultur gefährdet ist. Theoretisch haben sie nach verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen das Recht, im Voraus und unter Einbezug aller Informationen frei zu entscheiden, ob sie der Ressourcenausbeutung auf ihrem Land zustimmen («free, prior and informed consent»). Praktisch aber betreffen die grosse Mehrzahl von Klagen, die von indigenen Gruppen bei Menschenrechtsinstitutionen eingereicht werden, Fälle von Rohstoffausbeutung.

Der Widerstand gegen die Folgen der Rohstoffausbeutung oder dagegen, dass der Reichtum einer Region ins Ausland verkauft wird, führt in vielen Fällen zu einer Militarisierung der Bergbau- und Ölregionen. Firmen, die unter dem Schutz der Armeen von Regimen mit zweifelhaftem Menschenrechtsausweis, Milizen oder privaten Sicherheitsfirmen agieren, werden zu Komplizen jener Menschenrechtsverletzungen, die durch die Bewaffneten begangen werden.

Besonders kritisch ist die Situation in Bürgerkriegsregionen. Die Einnahmen aus Rohstoffexporten kann Bürgerkriege anfachen oder am Leben erhalten.Begründet werden umstrittene Bergbau- und Ölprojekte häufig mit deren wirtschaftlichem Nutzen, wobei argumentiert wird, dass dieser allen zugute komme. Die Ausbeutung von Ressourcen stellt aber keinen Ausweg aus Armut und Abhängigkeit dar. Vielmehr lastet die reiche Ausstattung mit Ressourcen wie ein Fluch auf den betroffenen Ländern («resource curse»). Verschiedene Studien zeigen, dass das wirtschaftliche Wachstum in Ländern, die stark vom Export fossiler und mineralischer Rohstoffe abhängen, geringer ist als in rohstoffarmen Ländern. Und eine Studie von Oxfam America kam zum Schluss, dass die Menschen in rohstoffreichen Ländern einen geringeren Lebensstandard haben (gemessen etwa am Index der menschlichen Entwicklung des Uno-Entwicklungsprogramms), als aufgrund des Pro-Kopf-Einkommens der Länder zu erwarten wäre.

Unabhängig davon, für wie wichtig man den Beitrag der Rohstoffförderung für die nationale Entwicklung erachtet, kann damit nie die Verletzung von Menschenrechten in einer Region legitimiert werden. Die Menschenrechte sind universell gültig und können deshalb nicht gegen irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile aufgerechnet werden.

Banken und Menschenrechte

Die Rolle des Finanzsektors bei Menschenrechtsverletzungen und seine Menschenrechtsverpflichtungen wurden bisher noch nie systematisch thematisiert. Weder die Uno-Normen noch der freiwillige Global Compact der Uno gehen speziell auf Banken ein. Für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die kontroverse Projekte bekämpfen oder Opfern zu ihrem Recht verhelfen wollen, steht die Mitverantwortung der jeweiligen Finanzgeber hingegen ausser Frage.

«Mitgegangen, mitgehangen» hiess es früher schon auf dem Pausenplatz. Die Diskussion um Schlüsselbegriffe der Uno-Normen wie «Einflusssphäre » (sphere of influence) und «Komplizenschaft » (complicity) zeigt, dass sich die Verantwortung der Banken für die Einhaltung und Förderung der Menschenrechte auch auf ihre Finanzierungen bezieht. Die genannten Begriffe kommen nicht nur in den Uno-Normen vor, sondern sie stehen beide auch im Global Compact. Sowohl die Credit Suisse als auch die UBS haben diesen Pakt unterschrieben und sich damit verpflichtet, die Menschenrechte zu unterstützen, zu achten und sicherzustellen, dass sie sich an Menschenrechtsverletzungen nicht mitschuldig machen.

Die Einflusssphäre…

«Einflusssphäre» ist kein rechtliches Konzept. Es ist vielmehr aus der geopolitischen Diskussion (die Einflusssphäre eines Landes) in den Global Compact gerutscht und definiert in den Uno- Normen den Bereich, auf den sich die Verantwortung eines Unternehmens für die Menschenrechte bezieht. Der Kontext des Begriffs macht schon klar, dass die Verantwortung der Unternehmen (in der geopolitischen Analogie) nicht nur das eigene «Land» betrifft – also etwa die Behandlung der eigenen Angestellten oder die Treibhausgasemissionen der eigenen Bürogebäude –, sondern eine weitergehende «Sphäre». Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) hat die Bedeutung des Begriffs ausgeführt. Bei der Einflusssphäre geht es demnach um «politische, vertragliche, wirtschaftliche oder geographische Nähe». Dabei ist die Einflusssphäre umso grösser, je grösser und strategisch bedeutsam ein Unternehmen ist. Weltweit tätige Banken, welche die überaus strategische Funktion der Finanzierung ausüben, haben eine entsprechend grosse Einflusssphäre. Diese bezieht sich auch auf die Unternehmen, welche die Banken (mit-)finanzieren: «Nahe im Zentrum der Einflusssphäre eines Unternehmens sind die Geschäftspartner.» So hält das OHCHR fest: «Ein Unternehmen kann als Folge der Handlungen von einem oder mehreren Geschäftspartnern mit Menschenrechtsfragen konfrontiert werden.»

…und die Komplizenschaft der Banken

Komplizenschaft hingegen ist einerseits zwar ein juristischer Begriff, der bestimmte Straftatbestände regelt. Andererseits kam er aber auch schon im Zusammenhang mit Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen zur Anwendung, beispielsweise in den Prozessen, die in den USA unter dem «Alien Claims Tort Act» gegen Firmen wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland angestrengt wurden. Bei der Komplizenschaft geht es darum, wie sich ein Unternehmen gegenüber Menschenrechtsverletzungen von anderen verhält. Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission brauchte ein ähnliches Konzept, um die Verantwortungen von Unternehmen im Apartheidstaat zu bestimmen. Die am meisten kompromittierten Unternehmen waren diejenigen, welche aktiv dabei mitgeholfen hatten, die Apartheidpolitik zu planen und umzusetzen. Dann kamen jene, die wussten, dass ihre Produkte oder Dienstleistungen für die Repression gebraucht wurden, und zuletzt diejenigen, welche von der Rassentrennung «bloss» profitierten. Das Konzept der Komplizenschaft umfasst auch diese indirekten Vorteile.

Das OHCHR definiert Komplizenschaft folgendermassen: Ein Unternehmen macht sich mitschuldig, wenn es Menschenrechtsverletzungen durch andere (Individuen, Staat, Rebellengruppe, ein anderes Unternehmen), mit dem das Unternehmen verbunden ist, «autorisiert, toleriert oder wissend ignoriert». Ebenso wenn das Unternehmen «wissend praktische Unterstützung oder Ermutigung leistet, die einen bedeutenden Effekt auf die Fortführung der Menschenrechtsverletzung hat». Damit ist klar, dass Banken allein dadurch zu Komplizen werden, wenn sie die Menschenrechtsprobleme eines Kunden ignorieren und ihm weiterhin bei der Finanzierung seiner Aktivitäten behilflich sind.

Grundsätzlich können Banken in verschiedenen Formen und Fällen in Kontakt mit Menschenrechtsverletzungen kommen:

– In ihrer Vermögensverwaltung (Private Banking) etwa können sie Kunden betreuen, die Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben.

– Im Investment Banking können sie an der Kapitalaufnahme von repressiven Regimes auf den Finanzmärkten beteiligt sein (so finanzierten Schweizer Banken das Apartheid-Regime in Südafrika).

– Sie können dabei helfen, andere Banken zu finanzieren, die ihrerseits mit Diktaturen Geschäfte treiben (zum Beispiel die chinesische Export- Import Bank, die in Burma, Laos und dem Sudan aktiv ist).

– Sie können die Produktion von oder den Handel mit Waffen finanzieren, mit denen Menschenrechtsverletzungen begangen werden oder

– sie können in den Handel mit Rohstoffen aus Konfliktgebieten (z.B. «Konfliktdiamanten») verwickelt sein.

Die in der Broschüre «Ihre Bank ist auch eine Kohlemine» versammelten Fallstudien konzentrieren sich auf menschenrechtsrelevante Fälle von Firmen, die im Bergbau und der Öl- und Gasförderung aktiv sind und an denen die zwei Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse massgeblich beteiligt sind. Die Schwere der Menschenrechtsvergehen und der Grad der Komplizenschaft der Banken variiert dabei von Fall zu Fall. Die Häufigkeit der finanziellen Verbindungen zu Konfliktfällen zeigt aber, dass Credit Suisse und UBS die Menschenrechtsthematik verstehen, systematisch angehen und ihre Geschäftspolitik anpassen müssen.

Die Menschenrechte

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist kein formelles Abkommen, das für die Staaten bindend ist. Sie hat aber politisch und moralisch ein grosses Gewicht und ist in viele nationale Verfassungen übernommen worden. Teile davon finden sich auch in den beiden bindenden internationalen Abkommen von 1966: dem Pakt über bürgerliche und zivile Rechte sowie dem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Im ersten Pakt sind die Rechte auf Leben, Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Person geregelt, darunter die Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit, die Nichtdiskriminierung, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Im zweiten Pakt finden sich das Recht auf Selbstbestimmung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf Arbeit und angemessene Entlöhnung sowie die Rechte auf Bildung und Gesundheit. Darüber hinaus gibt es verschiedene Konventionen wie diejenigen gegen Rassendiskriminierung und Diskriminierung der Frau, die Anti-Folter-Konvention oder die Kinderrechtskonvention. Komplettiert wird das Menschenrechtssystem durch regionale Menschenrechtsverträge.