Bundesrat soll Freihandelsverhandlungen mit der Türkei sistieren

Dreizehn NGOs und zwei Parteien fordern den Bundesrat auf, die laufenden Verhandlungen des Freihandelsabkommens mit der Türkei zu sistieren. Diese sollen erst dann wiederaufgenommen werden, wenn die türkische Regierung alle politischen Gefangenen freigelassen hat, die Medien und NGOs wieder uneingeschränkt arbeiten können und die völkerrechtswidrige Aggression in Syrien eingestellt worden ist.

Gemeinsame Medienmitteilung:

Seit 1991 besteht ein Freihandelsabkommen zwischen den Ländern der europäischen Freihandelsassoziation EFTA (Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein) und der Türkei, welches der Bundesrat zusammen mit den betroffenen Ländern zurzeit modernisiert.

Die Lage der Menschenrechte in der Türkei verschlechtert sich laufend. Der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte hält in einem Bericht vom 20. März 2018 fest, dass seit der Verhängung des Ausnahmezustands 22 Notstandsdekrete die parlamentarische Kontrolle der Regierungsaktivität und die Rekursmöglichkeit beim Verfassungsgericht ausschalten; mindestens 152’000 Staatsangestellte sind entlassen worden. Bis Ende 2017 seien zudem 159’506 Personen im Zusammenhang mit den Notstandsdekreten verhaftet worden; im vor allem von Kurden bewohnten Südosten des Landes werde massiv Gewalt gegen die Bevölkerung angewendet und laufend würden Menschenrechtsverletzungen begangen.

Mit den massiven Angriffen, die türkische Streitkräfte seit dem 20. Januar 2018 gegen die Menschen im syrischen Distrikt Afrin führen, hat der syrische Bürgerkrieg eine weitere Eskalation erfahren. Afrin beherbergte rund 200’000 Binnenflüchtlinge, als die Angriffe begannen. Diese ziehen die Zivilbevölkerung unverhältnismässig in Mitleidenschaft, zerstören zivile Einrichtungen und destabilisieren die ganze Region zusätzlich. Führende Menschenrechtsexperten wie Professor Walter Kälin, emeritierter Ordinarius für Staats- und Völkerrecht und Anne Peters, Direktorin am Max-Planck-Institut für öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, gehen davon aus, dass die türkische Offensive nicht durch den Sicherheitsrat autorisiert wurde und sie offenbar auch nicht der Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs diente und damit das Völkerrecht verletzt.

Die Schweizer Bundesverfassung verlangt, dass die Schweiz zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen beiträgt. Im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat sich die Schweiz verpflichtet, die politische Kohärenz zugunsten nachhaltiger Entwicklung zu verbessern. Letzten Sommer hat die NGO-Plattform Menschenrechte das Diskussionspapier «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik» erarbeitet. Darin fordert die Arbeitsgruppe eine kohärente, auf die Durchsetzung der Menschenrechte ausgerichtete Aussenpolitik.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern den Bundesrat daher auf, die Verhandlungen zur Modernisierung des Freihandelsabkommens zwischen der Türkei und den EFTA-Staaten solange zu sistieren, bis alle Personen, die aus politischen Gründen verhaftet oder entlassen wurden, freigelassen bzw. wieder eingestellt und alle politisch motivierten gerichtlichen Verfahren eingestellt worden sind. Weiter sollen die genannten Verhandlungen sistiert bleiben, bis die Medien und Nichtregierungsorganisationen, namentlich jene der türkischen Opposition und der kurdischen Minderheit, wieder frei arbeiten können und die völkerrechtswidrige Aggression in Syrien beendet worden ist.

Folgende Organisationen und Parteien unterzeichnen diesen Aufruf:

ACAT-Schweiz, Alliance Sud, Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien, cfd/Christlicher Friedensdienst, FIAN Schweiz, Frauen für den Frieden Schweiz, FriedensFrauen Weltweit, Gesellschaft für bedrohte Völker, Grüne Partei der Schweiz, humanrights.ch, Public Eye, Schweizerische Helsinki-Vereinigung, Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Solifonds, Schweizerische Sektion der Internationalen Juristenkommission.