Ein Jahr nach Rana Plaza warten Betroffene immer noch auf Entschädigung

Als am 24.04.2013 in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka das achtstöckige Rana Plaza-Gebäude in sich zusammenbrach und Tausende unter sich begrub, ging ein Aufschrei um die Welt. Regierungen, Gewerkschaften und NGOs forderten dringend eine Verbesserung der Sicherheitsbedingungen sowie Entschädigungen für Hinterbliebene und Verletzte. Ein Jahr danach wartet ein Grossteil der Betroffenen immer noch auf finanzielle Entschädigung.

Als im November 2013 das Übereinkommen zur Entschädigung der Opfer von Rana Plaza (“Arrangement”) unterzeichnet wurde, nahm die Hoffnung der Betroffenen, endlich Kompensationszahlungen zu erhalten, Form an. Während mehrerer Monate hatten Vertreterinnen und Vertreter von Regierung, Industrie, Kleiderfirmen und Gewerkschaften zusammen mit der Clean Clothes Campaign einen Mechanismus entwickelt, welcher die Entschädigung der Hinterbliebenen und Verletzten regelt. Das daraus entstandene Arrangement beruht auf den Richtlinien der ILO Konvention 121, welche Entschädigungen im Falle von Arbeitsunfällen deckt. Das Übereinkommen stellt den einzigen glaubwürdigen, unabhängigen und transparenten Weg dar, alle Betroffenen zu entschädigen.

Das Arrangement

Das Arrangement wird von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in der Rolle der neutralen Beobachterin begleitet. Folgenden Akteure haben das Arrangement unterzeichnet und bilden gleichzeitig auch das Umsetzungsgremium, das sogenannte Coordination Committee:

  • Textilfirmen (Primark, Loblaw, El Corte Ingles)
  • Bangladeschisches Arbeitsministerium
  • Bangladeschische Arbeitgebervereinigung
  • Internationale Gewerkschaft IndustriALL sowie bangladeschische Gewerkschaften
  • Bangladeschisches Institut für Arbeitsstudien
  • Clean Clothes Campaign


Die Unterzeichnenden verpflichten sich, einen Beitrag an die Entschädigung der Betroffenen zu leisten und sich an der Ausarbeitung der Umsetzung des Arrangements zu beteiligen. Dieses regelt, nach welchen Prinzipien Betroffenen entschädigt werden und welche Ansprüche sie geltend machen können. Gemäss der ILO Konvention 121 decken die Entschädigungszahlungen die Kosten für medizinische Auslagen sowie für Lohnausfälle für Arbeitsunfähige und Hinterbliebene. Zudem sieht das Arrangement auch Unterstützung für Betroffene bei der Einreichung von Schadensanträgen vor.

Der Kompensationsfond

Um die Auszahlung der Entschädigungssummen transparent und gerecht abzuwickeln, wurde ein Fond ins Leben gerufen. Schätzungsweise 40 Millionen US$ sind insgesamt mindestens nötig, um alle Betroffenen zu entschädigen (der genaue benötigte Gesamtbetrag wird sich erst im Verlaufe des Antragsprozess herausstellen). Diese Summe wird durch Beiträge der Unterzeichnenden sowie durch Zuwendungen weiterer Unternehmen finanziert. In erster Linie sind jene Unternehmen gefordert, welche Geschäftsbeziehungen zu Rana Plaza hatten. Die Tragödie ist jedoch symptomatisch für ein branchenweites Problem, welches nur durch gemeinsame Anstrengungen des gesamten Textilsektors gelöst werden kann. Deshalb sind auch die Regierung Bangladeschs, die Branchenverbände, die Fabriken sowie all jene Textilfirmen, welche in Bangladesch produzieren, aufgefordert, einen Beitrag zu leisten.

Betrachtet man die realen Machtverhältnisse der Beteiligten, wird schnell klar, dass die Modekonzerne aufgrund ihrer Wirtschaftsstärke viel Definitionsmacht haben. Bis zum ersten Jahrestag der Katastrophe kamen lediglich 15 Millionen US$ zusammen und nur etwa die Hälfte der knapp 30 Firmen, welche Geschäftsbeziehungen zu Rana Plaza hatten, leistete einen Beitrag. Diese Firmen haben 2013 zusammen einen Profit von über US$ 22 Milliarden gemacht. Angesichts der Tatsache, dass 40 Millionen US$ davon gerade einmal 0.2% ausmachen, ist es umso schockierender, dass viele Unternehmen noch keinen angemessenen Beitrag an die Entschädigung der Opfer geleistet haben.

Lesen Sie hier die Medienmitteilung der Clean Clothes Campaign vom 23.04.2014. 

Die Entschädigungszahlungen

Obwohl die Summe im Kompensationsfond noch weit vom angestrebten Ziel der 40 Millionen US$ entfernt ist, konnte der Entschädigungsprozess am 23. März 2014 ins Rollen gebracht werden. Die Betroffenen können seitdem ihre Entschädigungsforderungen geltend machen. Sie werden bei der Antragstellung von einem Team von SpezialistInnen vor Ort unterstützt. Bereits zum Jahrestag des Rana Plaza-Einsturzes werden die ersten Betroffenen eine erste Rate der ihnen zustehenden Entschädigungssumme erhalten haben.

Die Anträge der Betroffenen werden von einer Gruppe von ExpertInnen geprüft. Verletzte müssen sich zudem einer medizinischen Untersuchung unterziehen, welche den Schweregrad der Verletzungen sowie den Grad der Arbeitsunfähigkeit festlegt. Die Höhe der Entschädigungssumme wird gemäss einer im Coordination Committee vereinbarten Formel von drei erfahrenen Versicherungsexperten festgelegt. Wie hoch die Entschädigung die Antragstellenden ausfällt, hängt von ihrer individuellen Situation ab. Berücksichtigt werden unter anderem folgende Kriterien: Alter der Antragstellenden, Anzahl Personen, die auf Unterhalt angewiesen sind, Höhe des Lohnes der verstorbenen oder verletzten Person, oder Schweregrad der Verletzung der Überlebenden. Das letzte Wort hat schliesslich das Compensation Committee, welches die Entschädigungssummen absegnet und die Auszahlung bewilligt.

Bis alle Berechtigten einen Antrag stellen und schliesslich entschädigt werden können, wird es jedoch noch dauern. Denn nach wie vor fehlen 25 Millionen US$ im Kompensationsfond. Sobald die Gesamtsumme zur Verfügung steht, können Schätzungen des Coordination Committees zu Folge alle Anträge in den darauffolgenden Monaten bearbeitet und die letzten Entschädigungszahlungen kurze Zeit später ausbezahlt werden.

Forderungen

Die Betroffenen leiden weiterhin unter dem Verlust ihrer Familienangehörigen, dem fehlenden Einkommen, ihren Verletzungen und den traumatisierenden psychischen Folgen. Shila Begum hat das Unglück überlebt – kämpft seit einem Jahr jedoch mit dessen Folgen. Einen ganzen Tag lang war sie damals unter den Trümmern des Gebäudes begraben. Sie musste sich mehreren schweren Operationen unterziehen. Bis heute kann sie keiner Arbeit nachgehen und ist dringendst auf die ihr zustehende Entschädigung angewiesen. Lesen Sie die Geschichte von Shila hier.

Unternehmen stehen in der Pflicht, endlich Verantwortung für jene Menschen zu übernehmen, denen sie ihren Profit verdanken: den ArbeiterInnen in ihren Zulieferketten. Das Coordination Committee ruft deshalb alle jene Firmen, welche noch keinen oder nur einen geringen Beitrag geleistet haben, dazu auf, eine substantielle Summe an den Fonds zu leisten.

Auf der internationalen Webseite des Arrangements finden Sie Hintergrundinformationen zum Arrangement sowie eine Liste jener Firmen, welche bereits einen finanziellen Beitrag geleistet haben. Da auch anonyme Spenden möglich sind, kann es sein, dass auch weitere Firmen in den Fond einbezahlt, dies jedoch nicht öffentlich gemacht haben.