GATS-Appell an Bundesrat Deiss und dessen Antwort

220 NGOs zeigen sich besorgt über die Liberalisierungspflichten, welche den Entwicklungsländern auferlegt werden sollen. Auch die Schweiz erzeugt Druck.

Herrn Bundesrat
Joseph Deiss
Vorsteher des eidgen.
Volkswirtschaftsdepartements
3003 Bern
Zürich, 4. Juli 2005

Gefährdete Flexibilität in den WTO-Dienstleistungsverhandlungen GATS

Sehr geehrter Herr Bundesrat Deiss

Wir sind beunruhigt über die neuesten Entwicklungen in den aktuellen WTO-Dienstleistungsverhandlungen. Die an weitgehenden Liberalisierungen interessierten Länder (insbesondere die Industrieländer) beschwören eine eigentliche Krise in den Verhandlungen herauf und beklagen sowohl die «ungenügende Anzahl» als auch die «mangelnde Qualität» der eingegangenen Liberalisierungsofferten. Die EU fordert in ihrem Non Paper «Common Baseline for the Services Negotiations» gar Mindestverpflichtungen für jedes WTO-Mitglied: jedes Land soll sich – dem Entwicklungsstand gemäss – für Marktöffnungen in einer bestimmten Anzahl von Sektoren verpflichten.

Nach ausgiebigen Gesprächen mit zahlreichen Delegationen in Genf im Laufe der letzten Woche war zu erfahren, dass auch die Schweiz solche Vorschläge aktiv unterstützt. Das Vorschreiben von Liberalisierungsverpflichtungen stellt die im GATS bis anhin enthaltene Flexibilität gänzlich in Frage. So haben die Schweizer Handelsdelegierten wiederholt betont, das GATS sei ein ausgesprochen entwicklungsfreundliches Abkommen, denn jedes Land könne freiwillig entscheiden, in welchen Sektoren es Marktöffnungen vornehmen wolle.

Die Entwicklungsländer sprechen sich nicht grundsätzlich gegen Marktöffnungen aus. Im Gegenteil, sie betrachten den Dienstleistungssektor auch als Chance für die Zukunft. Voraussetzung ist allerdings, dass sie in einer Weise vorgehen und Regelungen erlassen können, die ihrer Entwicklungsstrategie entsprechen. Viele möchten sich auch nicht durch unumkehrbare Liberalisierungs- und Deregulierungsverpflichtungen binden, umso mehr, als noch immer kein Mechanismus besteht, um im Notfall Sicherheitsmassnahmen (Emergency Safeguard Measures) ergreifen zu können. Mit einem verordneten Marktöffnungszwang durch die WTO werden differenzierte Wirtschaftskonzepte verunmöglicht.

Wie Sie dem beiliegenden Appell entnehmen, protestieren 200 NGOs weltweit gegen ein verschärftes Vorgehen in den Dienstleistungsverhandlungen.

Die Erklärung von Bern appelliert an Sie, keinen Druck auf Entwicklungsländer auszuüben und Vorschläge für ein «Benchmarking» nicht zu unterstützen.

Wir danken Ihnen für eine Stellungnahme und grüssen Sie

freundlich

Erklärung von Bern

Marianne Hochuli
Koordinatorin und Verantwortliche für
den Programmbereich Handelspolitik