Wie kommen Menschenrechte in Handelsabkommen?

Freihandelsabkommen können die Fähigkeit von Regierungen einschränken, ihren international eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen. Dies war der Ausgangspunkt eines Vortrags von Olivier De Schutter, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, anlässlich einer von der Erklärung von Bern mitorganisierten Veranstaltung.

Eingeladen zur öffentlichen Diskussion im Käfigturm, dem ehemaligen Berner Gefängnis, hatte die Politische Abteilung für Menschliche Sicherheit (PA IV) des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten. Der Anlass unter dem Titel „Handel und Menschenrechte“ stiess auf erfreulich grosses Interesse, so dass der Raum bis auf den letzten Platz besetzt war.

Wie exzessiver Freihandel das Recht auf Nahrung verletzen kann

Anhand von Beispielen aus der Landwirtschaft illustrierte Professor De Schutter, inwiefern exzessiver Freihandel das Recht auf Nahrung verletzen kann. So bestehe die Gefahr, dass Kleinbauern und –bäuerinnen im Süden durch Handelsliberalisierungen und damit einhergehende billige Agrarimporte aus dem Markt gedrängt werden. Dadurch würden sie Möglichkeiten zur Einkommens- und Ernährungssicherung verlieren, was ihr Recht auf Nahrung gefährde.

Die Stärkung von Geistigen Eigentumsrechten, eine Standardforderung in Schweizer Freihandelsabkommen (FHA), stellt eine weitere Gefahr für Kleinbauernfamilien dar. Durch die strikteren Eigentumsrechte verteuert sich nämlich der Zugang zu Saatgut. Das Recht auf Nahrung wird so bedroht. (siehe auch EvB-Dokumentation 4/2010)

Natürlich gebe es bei Handelsabkommen, so der UNO-Sonderberichterstatter, immer GewinnerInnen und VerliererInnen. Soziale Netze könnten Letztere theoretisch auffangen. In der Praxis existierten aber in weiten Teilen der Welt solche sozialen Netze gar nicht. Daher brauche es eine vorausschauende Politik, die Menschenrechtsfragen bereits während den Verhandlungen für FHAs systematisch einbeziehen.

Bundesverfassung verlangt Achtung der Menschenrechte

Botschafter Claude Wild, Chef der Politischen Abteilung für Menschliche Sicherheit, machte bereits in seinen einleitenden Worten klar, dass die in Artikel 54 der Bundesverfassung formulierten aussenpolitischen Ziele die Schweiz verpflichten würden, sich für die Achtung der Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben der Völker einzusetzen. Dieser Auftrag erfordere eine stärkere Berücksichtigung der Menschenrechte - auch in schweizerischen Handelsabkommen.

In diesem Zusammenhang erinnerte Prof. De Schutter daran, dass der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Schweiz aufgefordert hat menschenrechtliche Folgenabschätzungen ihrer Handelspolitik durchzuführen. Gemäss De Schutter wüssten jedoch Regierungen oft nicht, wie sie solche Folgenabschätzungen umsetzen sollten. Die von ihm entwickelten Guiding Principles on Human Rights Impact Assessement of Trade and Investment Agreements, also Leitprinzipien für menschenrechtliche Folgenabschätzungen von Handels- und Investitionsabkommen, schaffen hier Abhilfe. Das 10-seitige Dokument, das zurzeit in Entwurfsform vorliegt, formuliert und kommentiert sieben zentrale Prinzipien. Diese sollen Staaten bei der Entwicklung und Durchführung von Menschenrechtsanalysen ihrer Handelspolitik unterstützen und damit sicherstellen, dass sie ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen.

Die Entstehungsgeschichte der Guiding Principles

Der Ursprung der Guiding Principles liegt in einem internationalen Expertenseminar das 2010 in Genf stattfand und in Zusammenarbeit mit der EvB durchgeführt wurde. Im Seminarbericht sind denn auch Grundsätze menschenrechtlicher Folgenabschätzungen im Handelskontext formuliert. Auf dieser Basis formulierte De Schutter einen ersten Entwurf der Leitprinzipien, der anschliessend mit SeminarteilnehmerInnen diskutiert und weiterentwickelt wurde. Nachdem verschiedene UNO-Menschenrechtsgremien die Guiding Principles kommentiert hatten, wurden diese überarbeitet und der Öffentlichkeit zur Konsultation vorgelegt.

Menschenrechtliche Folgenabschätzungen nützen allen

Die Durchführung von menschenrechtlichen Folgenabschätzungen habe, so De Schutter, auch ganz direkten und konkreten Nutzen für die entsprechenden Länder. Kleinere und wirtschaftliche schwächere Länder könnten ihre Verhandlungsposition stärken, wenn sie potenzielle Gefahren für den Schutz von Menschenrechten frühzeitig identifizieren. Aber auch exportorientierte Länder wie die Schweiz könnten von einer vorgängigen Analyse möglicher Auswirkungen eines FHA auf die Menschenrechtssituation im Partnerland (und darauf basierenden Massnahmen) profitieren. Denn dies würde dazu beitragen, dass breitere Bevölkerungsschichten in der Lage sind schweizerische Exportprodukte zu kaufen.

Kritische Fragen an den Menschenrechtsexperten

Die anschliessende Diskussion wurde vom breit durchmischten Publikum rege genutzt, um dem Menschenrechtsexperten kritische Fragen zu stellen:

So wurde gefragt, wie denn verhindert werden kann, dass je nach wirtschaftlicher Interessenlage unterschiedliche Massstäbe bei menschenrechtlichen Folgeabschätzungen angewendet werden?
Genau dafür, antwortete der UNO-Sonderberichtserstatter, brauche es Anstrengungen in Richtung eines internationalen Konsens über das Vorgehen bei solchen Analysen. In Gesprächen mit Diplomaten und Diplomatinnen aus Entwicklungsländern stelle er fest, dass der Widerstand gegen die Verknüpfung von Handel und Menschenrechten schwinde. Diese Entwicklung könnte durch einen einvernehmlichen Text auf UNO-Ebene unterstützt werden, ist er überzeugt.

Geheimhaltung als Herausforderung für Menschenrechtsanalysen

Ebenfalls interessierte, wie die vorgeschlagene Menschenrechtsanalyse in der Praxis überhaupt durchgeführt werden könne, wo doch FHA-Verhandlungen üblicherweise im Geheimen geführt würden. Dies sei vermutlich das grösste Hindernis für die Umsetzung seiner Vorschläge, räumte De Schutter ein, denn es sei eine Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen, dass sie in einem vertraulichen Rahmen stattfänden. Gleichzeitig betonte er aber, dass es zwischen absoluter Geheimniskrämerei und voller Transparenz viel Raum für Kompromisse gäbe. Und meinte abschliessend: „Diese Abkommen können solch massive Auswirkungen auf gewisse Bevölkerungskreise haben, dass sie nicht vollständig hinter verschlossenen Türen verhandelt werden dürfen.“