Keine Verleumdung: Berner Gericht wischt die Vorwürfe der Kolmar Group AG vom Tisch

Das Regionalgericht Bern-Mittelland hat die Autorinnen und Autoren eines von Public Eye und TRIAL International veröffentlichten Berichts von der «üblen Nachrede oder gar der Verleumdung» freigesprochen, nachdem die Kolmar Group AG eine entsprechende Strafanzeige eingereicht hatte. Die Recherchen der beiden NGOs hatten Kolmars Beteiligung am Handel mit Diesel aus dem damals im Bürgerkrieg befindlichen Libyen aufgedeckt. Im Rahmen der von Kolmar zusätzlich eingereichten Zivilklage, in welcher der Zuger Rohstoffhändler die beispiellose Summe von 1,8 Millionen Dollar Schadensersatz fordert, geht das juristische Tauziehen aber weiter. An diesem Doppelverfahren zeigt sich der massiv gestiegene Druck auf Medien und NGOs, die im öffentlichen Interesse recherchieren.

In ihrem heutigen Urteil betonte die Berner Justiz die Solidität und Glaubwürdigkeit der journalistischen Arbeit der drei Autor*innen des Berichts «Schmuggel von libyschem Diesel: Ein Schweizer Händler navigiert in trüben Gewässern», den Public Eye und Trial International im März 2020 veröffentlicht haben. Das Gericht befand, dass sie ihren professionellen Pflichten voll und ganz nachgekommen sind, indem sie sich auf zahlreiche Quellen, Dokumente und Zeugenaussagen gestützt haben. Es betonte ausserdem, dass ihre Recherche Teil des von den NGOs verfolgten öffentlichen Interesses war.

Die beiden NGOs sowie die freigesprochenen Personen begrüssen dieses wichtige Urteil. Es bestätigt, dass investigative Recherchen und die Enthüllung unbequemer Fakten keine Straftat, sondern ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften sind. Dieses Prinzip der Medienfreiheit gilt es ungeachtet aller Hindernisse zu verteidigen.

Als Ergebnis von über einjährigen Ermittlungen zwischen der Schweiz, Malta und Sizilien dokumentierte dieser Bericht die Beteiligung der in Zug ansässigen Kolmar Group AG am libyschen Dieselhandel zwischen 2014 und 2015, als das Land vom Bürgerkrieg erschüttert wurde. Die Rechercheur*innen konnten insbesondere die Route von drei Öltankern von der libyschen Küste zurückverfolgen, die 22-mal ihre Ladung in die Tanks geleitet hatten, welche der Händler damals in Malta gemietet hatte. Den erhaltenen Dokumenten zufolge stammten die Ölprodukte aus einem transnationalen Schmuggelnetz für Diesel, der aus der Plünderung der staatlichen libyschen Ölraffinerien stammte. Der - subventionierte und für die Bevölkerung bestimmte - Treibstoff wurde von dem Netzwerk mit Hilfe einer bewaffneten Gruppe aus libyschen Tanks abgezweigt, von libyschen Fischerbooten auf von zwei maltesischen Geschäftsleuten gecharterte Schiffe in internationalen Gewässern umgeladen und dann nach Malta transportiert.

Im Mai 2020 reichte Trial International bei der Bundesanwaltschaft (BA) eine Strafanzeige ein, kurz darauf folgte eine Meldung der MROS (Meldestelle für Geldwäscherei), in der laut BA «ein identischer Kontext» erwähnt wurde. Im Zusammenhang mit diesen Vorfällen eröffnete sie im November 2020 eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt wegen «Verdachts auf Kriegsverbrechen durch Plünderung» (Art. 264g Abs. 1 Bst. c Strafgesetzbuch). Diese ist noch im Gang, wie uns die Bundesanwaltschaft kürzlich bestätigt hat.

Auf die Fragen und wiederholten Aufforderungen der NGOs vor Veröffentlichung des Berichts doch Stellung zu beziehen, hatte die Kolmar Group AG nicht geantwortet. Juristisch zeigt sich der Rohstoffhändler dafür umso reaktiver. Im September 2023 reichte der Händler beim Zuger Kantonsgericht nämlich noch eine Zivilklage wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzung gegen Public Eye und Trial International sowie gegen die Autor*innen des Berichts ein, was den Druck massiv erhöhte.

Dieses Verfahren mit einer Schadenersatzsumme von 1,8 Millionen Dollar zeigt exemplarisch, dass die Justiz auch in der Schweiz immer häufiger Fälle beurteilen muss, in denen finanzkräftige Kläger die Entfernung investigativer Publikationen zu Themen von öffentlichem Interesse erzwingen wollen. In nächster Zeit dürften ähnlich gelagerte Fälle vor Gericht kommen, wie etwa die Klage der Tessiner Goldraffinerie Valcambi gegen Swissaid. Als Reaktion auf diesen Trend wurde die Schweizer Allianz gegen SLAPP gegründet, welche auf die negative Wirkung juristischer Praktiken aufmerksam macht, die für Meinungsfreiheit und Demokratie brandgefährlich sind.

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