Beschämende 102 Franken Mindestlohn im Monat: Regierung Bangladeschs ignoriert die verzweifelten Forderungen der Textilarbeiter*innen

Statt endlich menschenwürdige Löhne für die über 4 Millionen Textilarbeiter*innen im Land sicherzustellen, giesst die Regierung Bangladeschs weiter Öl ins Feuer. Verantwortung tragen auch die internationalen Modefirmen, die sich geweigert haben, die Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen Armutslöhne zu unterstützen.
© Mamunur Rashid/Shutterstock

Das Arbeitsministerium von Bangladesch hat am 7. November 2023 für die 4,4 Millionen Textilarbeiter*innen des Landes einen neuen Mindestlohn von 12’500 Taka (102 Franken) vorgeschlagen. Dies liegt weit unter den von den freien Gewerkschaften geforderten 23’000 Taka. Dieser Betrag wäre nach Studiennötig, um die in der Textilindustrie Beschäftigten über die Armutsgrenze zu bringen.

Der neue Mindestlohn verdammt die Arbeiter*innen dazu, in den nächsten fünf Jahren weiter ums nackte Überleben zu kämpfen. Bei solch niedrigen Löhnen sind sie zur Deckung ihrer einfachsten Lebenshaltungskosten auf Zusatzeinkommen angewiesen: über ihre normale 48-Stunden-Woche hinaus müssen sie Sonderschichten leisten, sie müssen Kredite aufnehmen oder gar Mahlzeiten auslassen, um über die Runden zu kommen. Hungerlöhne sind auch der Hauptgrund dafür, dass Eltern sich manchmal gezwungen sehen, ihre Kinder arbeiten zu lassen.

Der höchst intransparente und parteiische Prozess der Mindestlohnfestsetzung in Bangladesch war von wochenlangen Unruhen begleitet. Arbeiter*innen im ganzen Land hatten zu protestieren begonnen, nachdem der Verband der Textilhersteller (BGMEA) im Oktober vorgeschlagen hatte, den Mindestlohn auf magere 10’400 Taka anzuheben. Mindestens drei Beschäftigte wurden während der Proteste getötet und Dutzende verletzt, nachdem sie Polizeigewalt in Form von Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition ausgesetzt waren. Gegen viele Protestierende werden juristische Verfahren eingeleitet, sie geben Anlass zur Sorge um Vergeltungsmassnahmen. Die neuste Ankündigung könnte die Unruhen weiter anheizen.

Textilfabrikanten in Bangladesch behaupten, dass sie sich einen Mindestlohn über 12’500 Taka nicht leisten könnten. Und einige gehen so weit, dass sie sagen, dass bereits dieser Lohn einige Subunternehmer in den Ruin treiben würde. Es sind jedoch die internationalen Modefirmen, welche die Einkaufspreise und damit die Handlungsspielräume in der Branche diktieren. Die Preise, welche die internationalen Modefirmen und Marken im Einkauf bezahlen, sollten den Fabrikbesitzern ermöglichen, allen Arbeiter*innen mindestens einen existenzsichernden Lohn zu zahlen. Doch meist reichen die in Ländern wie Bangladesch bezahlten Einkaufspreise schon kaum aus, um die unterhalb der Armutsgrenze liegenden Mindestlöhne zu bezahlen.

Markenfirmen nehmen Verantwortung nicht wahr

Trotz mehrfacher Aufrufe der Clean Clothes Campaign an internationale Markenfirmen, die Gewerkschaftsforderung nach einem Mindestlohn von 23’000 Taka ausdrücklich zu unterstützen und den Lieferanten zu versichern, dass sie die Einkaufspreise entsprechend der Erhöhung der Arbeitskosten erhöhen würden, weigerten sich mit Ausnahme des Outdoorausrüsters Patagonia alle Marken, dies zu tun.

Viele Modefirmen, die in Bangladesch produzieren lassen, darunter H&M, Inditex (Zara) oder C&A, haben seit langem öffentliche Versprechen zu existenzsichernden Löhnen abgegeben. Doch in einem so entscheidenden Moment, in dem es wirklich darauf ankommt, dass die Markenfirmen ihren übergrossen Einfluss nutzen, damit die Menschen, die Ihre Kleidung herstellen, nicht länger in Armut festgehalten werden, haben die Firmen versagt. Ohne konkrete Handlungen bleiben nur leere Versprechen.

Die Premierministerin hat den neuen Mindestlohn noch nicht formal in Kraft gesetzt. Es liegt nun auch an diesen Modefirmen, ihren schönen Worten Taten folgen zu lassen und sicherzustellen, dass die Arbeiter*innen in ihrer Lieferkette in Bangladesch mindestens 23’000 Taka verdienen. Dies wäre immer noch kein existenzsichernder Lohn, sondern lediglich das absolute Minimum, das die Arbeiter*innen und ihre Familien benötigen, um über die Runden zu kommen.

Die unabhängigen Gewerkschaften in Bangladesch haben wie schon vor fünf Jahren scharfe Kritik am formalen Lohnfindungsprozesses geübt. Sie fordern, dass der Mindestlohn jährlich angepasst wird statt nur alle fünf Jahre, wie dies bislang der Fall ist. Die Gewerkschaften weisen auch darauf hin, dass die Vertretung der Arbeitnehmenden in der Lohnkommission (wage board) aus der repräsentativsten Gewerkschaft ausgewählt werden muss. In dieser und in früheren Lohnrunden wurde dieser Grundsatz missachtet; stattdessen wurde eine "Vertretung der Arbeitnehmenden" eingesetzt, die den Interessen der Arbeitgeber und der Regierung wohlgesonnen ist.

Schliesslich weisen die freien Gewerkschaften darauf hin, dass ihr Vorschlag für 23’000 Taka auf der Grundlage von Kriterien erreicht wurde, die sowohl im Arbeitsrecht des Landes (Arbeitsgesetz von Bangladesch) als auch in internationalen Arbeitsnormen (ILO-Konvention 131 über die Festsetzung von Mindestlöhnen) vorgeschrieben sind, während dies bei dem Vorschlag der Arbeitgeberseite nicht der Fall war.

Zur Vertiefung:

Hintergrundpapier und Kampagnenseite der Clean Clothes Campaign zum Lohnkampf in Bangladesch (Englisch)