Auch der oberste Datenschützer fordert Transparenz bei Medikamentenpreisen

In seiner Empfehlung zum Schlichtungsverfahren zwischen Public Eye und dem Bundesamt für Gesundheit macht der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte klar, dass Medikamentenpreise staatlich kontrolliert und unter Aufsicht der Öffentlichkeit ausgehandelt werden sollen. Die Empfehlung kritisiert, dass Pharmakonzerne das BAG unter Druck setzen, Informationen zu schwärzen, was einzig ihrer Profitmaximierung dient. Höchst besorgniserregend ist, dass die Behörde diesem Druck nachgibt. Dies ist symptomatisch für das Machtungleichgewicht zwischen Behörden und dieser Branche. Würde das Parlament dem von Bundesrat vorgeschlagenen Geheimrabatten und deren Ausschluss der Medikamentenpreise aus dem Öffentlichkeitsgesetz zustimmen, wäre das fatal für das grosse öffentliche Interesse an den stetig steigenden Gesundheitskosten.

Auf Grundlage des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) hat Public Eye im Januar 2022 beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein formelles Gesuch eingereicht, um Zugang zu den Entscheiden über die Aufnahme in die Spezialitätenliste (SL) sowie mögliche Limitierungen von zehn der teuersten Krebsmedikamente der Schweiz zu erhalten. Die geforderten offiziellen Dokumente hat uns das Bundesamt für Gesundheit zwar ausgehändigt; doch zahlreiche Stellen sind geschwärzt, darunter die Rabatte.

Public Eye hat daraufhin beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) eine Schlichtung beantragt und Argumente dafür geliefert, weshalb diese Schwärzungen unbegründet und die vom BAG geforderten Gebühren überhöht sind. Nebst der Argumentation von Public Eye und BAG liegt dem EDÖB auch die Kommunikation des BAG mit den betroffenen Pharmakonzernen vor. Diese müssen nach BGÖ (Art. 11 Bst. 1) konsultiert werden und haben die Gelegenheit zu einer Stellungnahme innert zehn Tagen. Der EDÖB kommt in seiner Empfehlung, die das Schlichtungsverfahren abschliesst, zum Schluss, dass die vom BAG gemachten Schwärzungen ungerechtfertigt sind und dieses Public Eye Zugang zu den beantragten Dokumenten gewähren sowie auf die Erhebung einer Gebühr verzichten soll. (Empfehlung Absatz 76; 77) Da sich das BAG weigert, der Empfehlung des EDÖB zu folgen, kann Public Eye den Fall an das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) weiterziehen. Dies hat kürzlich «K-Tipp» / «Saldo» in einem sehr ähnlichen Fall gemacht. In seinem Urteil von Ende Juli 2023 hat das BVGer die Beschwerde von «K-Tipp» / «Saldo» abgewiesen. Besonders besorgniserregend daran ist, dass das Gericht das Narrativ der Pharmakonzerne ebenso unhinterfragt übernimmt, wie es das BAG und der Bundesrat tun.

Die Empfehlung zeigt auf, wie die Pharmafirmen grossen Druck auf das BAG ausüben und die Behörde es versäumt hat, die von den Unternehmen beantragten Schwärzungen unabhängig zu überprüfen. Das BAG aber hat nicht die Aufgabe, die Pharmakonzerne zufriedenzustellen, sondern es muss sich dafür einsetzen, dass der Bevölkerung wirksame und bezahlbare Medikamente zur Verfügung stehen und die Gesundheitskosten sinken. Die durch das Öffentlichkeitsgesetz garantierte Transparenz dient dazu zu überprüfen, ob die Medikamentenpreise in Übereinstimmung mit dem Gesetz und im Sinne der Öffentlichkeit festgelegt werden. Wenn das BAG massive Schwärzungen durch die Unternehmen zulässt, entzieht sich die Behörde der Rechenschaftspflicht über ihre Aufgabe der Kontrolle der Medikamentenpreise.

Aus Sicht von Public Eye macht der EDÖB mit dieser Empfehlung einerseits klar, dass die massiven Schwärzungen und die überhöhten Gebühren eine Folge des Machtungleichgewichts zwischen den Pharmakonzernen und den Behörden sind. Andererseits wird deutlich, wie fundamental eine transparente und öffentlich einsehbare Festsetzung der Medikamentenpreise ist.

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Die Verhandlungsmacht des BAG muss also mit Transparenz und konkreten Massnahmen gestärkt werden, damit die Behörde wirksame und bezahlbare Medikamente aushandeln kann und deren überhöhte Preise reduziert werden können. Eine generelle Ausnahme der Berechnung einiger Medikamentenpreise aus dem Öffentlichkeitsgesetz, wie sie der Bundesrat in der aktuellen KVG-Revision vorschlägt und in der Herbstsession 2023 im Parlament diskutiert werden wird, führt zu einer weiteren Verschlechterung der Situation.Das würde nämlich heissen, dass es insbesondere für hochpreisige Medikamente, deren Kosten von besonderem öffentlichen Interesse sind, gar keine Einsicht mehr gibt in die Informationen zur Preisfestsetzung. Die Dokumente über die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen blieben unter Verschluss, weil dieser Ausschluss eine vorgelagerte Spezialbestimmung ist und die Informationen damit grundsätzlich vom Öffentlichkeitsgesetz ausgeschlossen wären. Das Parlament muss diesen gefährlichen Präzedenzfall im Sozialversicherungswesen verhindern.

Eine solch absolute Geheimhaltung würde einzig den Interessen der Pharmaindustrie dienen; das Transparenzprinzip darf dafür nicht geopfert werden.

Dazu kommt, dass die Wirksamkeit einer solchen Massnahme nicht belegt ist . Die Parlamentarier*innen dürfen nicht vor dem Druck der Pharmaindustrie einknicken. Es braucht Massnahmen, die das Bundesamt stärken, statt es kurzfristig zu entlasten, indem sich dieses nicht mehr mit Gesuchen der Öffentlichkeit herumschlagen oder vor dem Bundesverwaltungsgericht erscheinen muss. Konkret muss das Parlament:

  • Artikel 52b KVG abändern, damit nur transparente Preismodelle zugelassen werden (als Übergangslösung vor einer Reform des Preissetzungssystems)
  • Artikel 52c KVG streichen (keine Geheimrabatte, die aus dem Öffentlichkeitsgesetz ausgeschlossen wären)
  • Artikel 71 Absatz 1b KVV (Verordnung über die Krankenversicherung, der Bundesrat hat die Revision am 22.9.23 verabschiedet, wird per 1.1.24 in Kraft treten) streichen
  • Bestimmungen für eine Reform des Preissetzungssystems einführen (Transparenz über Forschungskosten, gemeinsame Preisverhandlungen mit anderen Ländern, usw.)

Das Parlament muss der Pharmaindustrie und ihrer Lobby jetzt die Stirn bieten und die notwendigen Reformen durchsetzen. Auf dem Spiel steht die finanzielle Tragfähigkeit unseres Systems der solidarischen Kostenübernahme, das bereits heute ernsthaft gefährdet ist.

Weitere Informationen

  • Die Empfehlung im Detail

    Im Detail hält der EDÖB in seiner Empfehlung fest:

    (1) Mit der Verweigerung des öffentlichen Zugangs zu Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen widerspricht das BAG der Position des Bundesrates.  Der EDÖB hält fest, dass aktuell eine gesetzliche Grundlage für Preismodelle mit Geheimrabatten fehlt. (Empfehlung Absatz 2; 54) 

    (2) Beschliesst das BAG, den Zugang zu den angeforderten offiziellen Dokumenten teilweise oder ganz zu verweigern, muss es nachweisen, dass die Bedingungen der Artikel 7 bis 9 BGÖ (Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip) erfüllt sind. Die Position des BAG im vorliegenden Schlichtungsverfahren erscheint jedoch eindeutig unbegründet.

    Das BAG macht insbesondere zwei Punkte von Art. 7 BGÖ für die massiven Schwärzungen geltend und hat es versäumt zu beweisen, dass diese im vorliegenden Fall gerechtfertigt sind. Nach der Konsultation betroffener Dritter, wie es das BGÖ vorschreibt, muss die Behörde unabhängig evaluieren, ob die von Dritten beantragten Schwärzungen gerechtfertigt sind. Die Kommunikation zwischen dem BAG und den Pharmafirmen, wie in der vorliegenden Empfehlung nachgezeichnet, zeigt zwar, wie das BAG zuerst noch versuchte, die beantragten Schwärzungen zu reduzieren. Schlussendlich wurden diese aber zum grössten Teil übernommen, wie der EDÖB festhält. (Abs. 13; siehe auch Abs. 41; Abs. 47)

    (2.1) Die Voraussetzungen für die Erfüllung der vom BAG für die Schwärzungen vorgebrachten «Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse» (Art. 7 Abs. 1 Bst. g BGÖ) sind nicht erfüllt.

    • Damit das Geschäftsgeheimnis geltend gemacht werden kann, müssen die Informationen auch tatsächlich kommerzieller Natur sein. Es fallen nicht alle Geschäftsinformationen unter den Begriff des Geheimnisses, sondern nur wesentliche Daten, deren Kenntnisnahme durch die Konkurrenz Marktverzerrungen bewirken und dazu führen würde, dass dem betroffenen Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil genommen bzw. ein Wettbewerbsnachteil und damit ein Schaden zugefügt würde. Zudem genügt ein abstraktes Gefährdungsrisiko nicht und die drohende Verletzung muss gewichtig und ernsthaft sein. (Abs. 46)
      Der EDÖB hält fest, dass nicht alle Schwärzungen dieses Kriterium erfüllen. Er betont, dass das BAG den konkreten Einzelfall selbstständig und unabhängig überprüfen muss und sich nicht wie im vorliegenden Fall damit begnügen kann, die generelle Argumentation der Firmen zu übernehmen. (Abs. 47) Von einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse kann, so der EDÖB weiter, nicht gesprochen werden, wenn die privaten Interessen im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen. (Abs. 46)
    • Die Informationen müssen zudem «relativ unbekannt» sein. Diesbezüglich hält der EDÖB fest, dass gewisse Angaben vom BAG bereits in der Vergangenheit veröffentlicht wurden. Diese sind also kein Geschäftsgeheimnis. (Abs. 51)
    • Schliesslich evaluiert der EDÖB, ob für diejenigen Informationen, die potentiell wettbewerbsverzerrend sein könnten, ein begründetes Interesse an der Geheimhaltung besteht. Dazu macht der EDÖB deutlich, dass die Preise der kassenpflichtigen Arzneimittel nicht in einem freien Markt entstehen. Vielmehr wird ihre Preisbildung staatlich vom BAG festgelegt und regelmässig überprüft. Die Aufgabe des BAG ist es, für die Grundversicherung möglichst niedrige Preise auszuhandeln. Wenn sich das BAG im vorliegenden Fall auf das Geschäftsgeheimnis Dritter, namentlich der Zulassungsinhaberin, berufen könnte, hätte dies zur Folge, dass seine Aufgabe der Festsetzung und Kontrolle der kassenpflichtigen Medikamentenpreise dem Öffentlichkeitsgesetz und der Kontrolle durch die Bevölkerung entzogen wäre. Das Öffentlichkeitsgesetz dient aber gerade dazu, zu überprüfen, ob die Arzneimittelpreise in Übereinstimmung mit dem Gesetz festgelegt werden, und nicht dazu, die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie zu schützen, die den Interessen des schweizerischen Gesundheitssystems zuwiderlaufen. (Abs 52)

    (2.2) In einem zweiten Schritt schränkt das BAG den Zugang zu den Dokumenten gestützt auf die Beeinträchtigung der «zielkonformen Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen» (Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGÖ) ein. Das BAG ist der Ansicht, dass es vertrauliche Preismodelle braucht, um sein Ziel zu erreichen, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Das Bundesamt argumentiert, dass die Schwärzungen diesbezüglicher Informationen ein verhältnismässiges Mittel sind, um dieses Ziel zu erreichen. Auch diese Ausnahme kann laut EDÖB nicht geltend gemacht werden. Die Gründe:

    • Diese Ausnahme sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da sich die verlangten Informationen auf bereits getroffene Entscheidungen des BAG beziehen und die Verhandlungen, die dazu geführt wurden, abgeschlossen sind. (Abs. 59)
    • Der EDÖB hält deutlich fest, dass es Aufgabe des Bundesamts ist, die Bevölkerung mit wirksamen und kostengünstigen Arzneimitteln zu versorgen und die Gesundheitskosten zu senken, und nicht, die Pharmakonzerne zufrieden zu stellen. Kostensenkung könne viel eher durch mehr Transparenz und internationale Zusammenarbeit erreicht werden. Es sei bedenklich, so der EDÖB, wenn Pharmakonzerne implizit oder explizit die Verhandlungen allein davon abhängig machen, dass das BAG bereit ist, sich im Falle eines Zugangsgesuchs auf Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgesetz zu berufen. Das Einknicken vor solchen Drohungen durch das BAG schränke dessen Verhandlungsmacht ein und führt zum Verlust seiner Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. (Abs. 60)

    (3) Die vom BAG im Rahmen dieses Verfahrens auferlegten Gebühren hat Public Eye ebenfalls angefochten, und sie sind ebenfalls Gegenstand der Schlichtung. Grundsätzlich geht es bei diesem Streitpunkt darum, ob das BAG die nach geltender Rechtsordnung prozeduralen Schritte eingehalten hat, also beispielsweise unter Berücksichtigung der offiziellen Fristen die Höhe der zu erwartenden Gebühren kommuniziert hat, sowie um den Streitpunkt, wie hoch diese Gebühren sein dürfen. Dabei ist insbesondere die Frage zu beantworten, ob Public Eye den Medien gleichgestellt ist und damit von einer Reduktion der Gebühren von mindestens 50% profitieren kann. Da das BAG sich nicht an das Verfahren zur Festsetzung der Gebühren gehalten habe und Public Eye zu den Medien zu zählen ist, soll auf die Erhebung einer Gebühr verzichtet werden. (Abs. 75)

    • Das BAG hat das Verfahren zur Festsetzung der Gebühr nicht respektiert. (Abs. 68; 69)
    • Der EDÖB hält fest, dass das BAG mehrere Aushandlungen mit den betroffenen Unternehmen zum Umfang der Schwärzungen hatte, obwohl eigentlich nur eine Stellungnahme innert 10 Tagen für betroffene Dritte vorgesehen ist, und diese nicht Public Eye in Rechnung gestellt werden können. Ausserdem habe das BAG grösstenteils die von den Unternehmen vorgeschlagenen Schwärzungen übernommen und trotzdem Stunden für die eigene Bearbeitung in Rechnung gestellt. (Abs. 70)
    • Public Eye ist aus Sicht des EDÖB (als sogenannte «Vereinspresse») zu den Medien zu zählen, da die Organisation mehrmals jährlich ein Magazin veröffentlicht, eine Website betreibt, die regelmässig mit aktuellen Artikeln ergänzt wird, sowie einen Podcast mit Videos produziert. Public Eye soll deshalb von der vorgesehenen Gebührenreduktion profitieren. (Abs. 74)

Mehr dazu: Das BAG gewährt immer mehr Geheimrabatte