Hochriskante Exporte nach Brasilien, Südafrika und in die Ukraine

2018 wurden über 81'000 Tonnen Pestizide, die für die Europäische Union (EU) als zu gefährlich gelten, in Entwicklungsländer exportiert. Wir werfen einen Blick auf drei der wichtigsten Zielländer dieser Giftexporte.
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Brasilien ist vor allem für den Amazonas-Regenwald und seine aussergewöhnliche Tierwelt bekannt, doch das Land macht sich zunehmend auch einen Namen als einer der grössten Player der industriellen Landwirtschaft. Mittlerweile ist Brasilien der weltweit grösste Verbraucher von hochgiftigen Pestiziden, die gravierende Gesundheits- und Umweltprobleme verursachen. Die Regierung von Jair Bolsonaro hat in den vergangenen zwei Jahren Hunderte von neuen, gefährlichen Produkten bewilligt. Nun soll eine umstrittene Gesetzesvorlage – als «Pacote do Veneno», also Giftpaket bekannt – die bestehenden Vorschriften und Schutzmassnamen weiter schwächen.

«Zunehmend toxische Zukunft»

Baskut Tuncak, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen, stellte bei einem offiziellen Besuch in Brasilien im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pestiziden «schwere Menschenrechtsverletzungen» fest. Das Land befinde sich «auf einem Weg des Rückschritts» und steuere auf eine «zunehmend toxische Zukunft» zu.

Ein Teil dieser Giftstoffe wird in der EU hergestellt. Gemäss den exklusiven Daten, die Public Eye und Unearthed vorliegen, ist Brasilien nach den USA das wichtigste Zielland für aus der EU exportierte verbotene Pestizide. Gemäss unserer Analyse wurden 2018 10‘000 Tonnen dieser hochgiftigen Pestizide in das südamerikanische Land ausgeführt.

© Lunaé Parracho/Reuters

Zwar wurden insgesamt sechs verschiedene verbotene Pestizide nach Brasilien exportiert, doch 90% aller Exporte betrafen Paraquat von Syngenta. Bereits vor drei Jahren haben die brasilianischen Behörden ein Verbot des Herbizids beschlossen: Sie reagierten damit auf zahlreiche Fälle akuter Vergiftung, auf die erwiesene Rolle von Paraquat bei der Entstehung der Parkinson-Krankheit und auf die Gefahr irreversibler Erbgutschäden. Das Verbot soll Ende September 2020 in Kraft treten – sofern es die hartnäckige Lobbyarbeit der Hersteller übersteht.

Während der gewährten Übergangszeit hat die eifrige Exporttätigkeit des Basler Konzerns jedenfalls nicht nachgelassen: In den Jahren 2018 und 2019 lieferte Syngenta jeweils knapp 9000 Tonnen Paraquat aus Europa nach Brasilien.

Mit Fipronil landen grosse Mengen einer weiteren höchst umstrittenen Substanz in Brasilien. Bis zu seinem Verbot im Jahr 2013 führte dieses extrem giftige Insektizid in verschiedenen Ländern der EU zu massiven Bienensterben. 2019 exportierte die deutsche BASF über 500 Tonnen davon aus Frankreich in das grösste Land Lateinamerikas. Dort trug Fipronil letztes Jahr zum Tod von 500 Millionen Bienen bei. Alan Tygel, Sprecher der brasilianischen Kampagne gegen Agrargifte:

«Wir haben die Hoffnung aufgegeben, dass die Agrochemiekonzerne mehr Verantwortung übernehmen. Aber wir zählen auf die europäische Bevölkerung, dass sie Druck auf ihre Regierungen ausübt, um diese Giftexporte zu stoppen.»

Ein giftiger Teufelskreis

Brasilien ist umgekehrt der zweitgrösste Exporteur von Lebensmitteln und Agrarprodukten in die EU. An erster Stelle stehen dabei Orangensaft, Kaffee und Soja. Bei der Herstellung dieser Produkte werden grosse Mengen an Pestiziden eingesetzt, die in der EU verboten sind. Über EU-Lebensmittelimporte finden die Rückstände dieser giftigen Substanzen den Weg zurück auf den Teller der europäischen Bürgerinnen und Bürger.

Das noch nicht ratifizierte, höchst umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und der südamerikanischen Staatengemeinschaft Mercosur sieht weitere Zollsenkungen auf Chemikalien aus der EU und auf Agrarexporte aus Brasilien vor – und heizt damit den «giftigen Teufelskreis» weiter an.

Wird Afrika zur nächsten Spielwiese der Chemiekonzerne?

Im Jahr 2018 zählten rund 20 afrikanische Länder zu den wichtigsten Abnehmern für verbotene Pestizide «Made in Europe». Die grössten Mengen gingen nach Marokko und Südafrika, mit grossem Abstand gefolgt von Ägypten, Sudan und Senegal. Insgesamt wurden knapp 7500 Tonnen Pestizide bestehend aus 25 EU-weit verbotenen Wirkstoffen nach Afrika exportiert. Zu den Inhaltsstoffen gehören 25 gefährliche Substanzen, die in der EU verboten sind.

Nach Südafrika gelangten etwa 1700 Tonnen EU-weit verbotene Pestizide, darunter Cyanamid, Paraquat, Alachlor sowie neun weitere giftige Stoffe, deren Verwendung die EU für Landwirtinnen und Landwirte selbst mit der notwendigen Schutzausrüstung als zu gefährlich einstuft.

Pestizide zu exportieren, die für die Verwendung innerhalb der EU zu gefährlich sind, sei nichts anderes als «Umweltrassismus», sagt Rico Euripidou von der südafrikanischen NGO Groundwork. «Da die Vorschriften und Anwendungsbedingungen weniger streng sind als in der EU, werden die Arbeiterinnen, Bauern und Gemeinschaften im globalen Süden den toxischen Pestiziden unverhältnismässig stark ausgesetzt».

Die Europäische Kommission brüstet sich damit, den «nachhaltigen Wandel» der afrikanischen Landwirtschaft zu unterstützen, insbesondere durch die Stärkung einer sicheren Anwendung von Pestiziden und durch die Förderung der Agrarökologie. Doch die EU-Exporte von verbotenen Pestiziden nach Afrika werfen ein schiefes Licht auf diese Bestrebungen.

Die Export-Daten deuten auf den Trend zunehmender Pestizidverkäufe in Afrika hin. Jahrelang spielte der afrikanische Markt nur eine Nebenrolle für den globalen Umsatz der Grosskonzerne. Nun öffnet er sich aber zunehmend für synthetische Pestizide, was unter anderem auf Initiativen wie die Allianz für eine grüne Revolution in Afrika (AGRA) zurückzuführen ist.

Während die Pestizidimporte steigen, können dringend benötigte Verbesserungen für die Sicherheit der Anwenderinnen und Anwender nicht schritthalten. Die vielerorts schwache bis nicht vorhandene Regulierung gekoppelt mit geringen Produktkenntnissen und fehlender Ausbildung setzt Landwirtinnen und Landwirte der Gefahr einer massenhaften Vergiftung durch Pestizide aus.

Ukraine: Aus den Augen, aus dem Sinn?

Die Ukraine gehört als «Kornkammer Europas» ebenfalls zu den grössten Empfängerinnen von EU-weit verbotenen Pestiziden. Im Jahr 2014 hat Brüssel ein wichtiges Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet, das die gegenseitigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen stärken sollte. Darüber hinaus sollte das Abkommen eine Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine an die Normen in der EU einleiten.

Vier Jahre später ist die Ukraine mit etwa 5000 Tonnen dennoch der drittgrösste Abnehmer von EU-weit verbotenen Pestiziden geworden. Die Ukraine importierte insgesamt sechs verschiedene Stoffe, allen voran das Pestizid Acetochlor. Dieses Herbizid wird in Europa von Corteva und Bayer produziert und steht im Verdacht, krebserregend und reproduktionstoxisch zu sein. Vor beinahe zehn Jahren hat es die EU auf ihrem eigenen Boden wegen «hoher Gefahr einer Grundwasserverschmutzung» verboten.

Zudem wurde 2018 der Export von etwa 800 Tonnen Atrazin in die Ukraine gemeldet. Das gefährliche Herbizid wird von Syngenta im französischen Aigues-Vives hergestellt. Es gilt als hormonaktiv und reproduktionstoxisch. Auch dieser Stoff wurde in der EU wegen drohender Grundwasserverschmutzung verboten.

Für Partnerländer der EU ist Atrazin aber anscheinend gut genug. Und das, obwohl der Zugang zu Trinkwasser in der Ukraine ein grosses Problem ist – vor allem in ländlichen Gebieten, wo landwirtschaftliche Pestizide zu den Hauptschadstoffen im Trinkwasser gehören.

Letztes Jahr legte die ukrainische Regierung einen Gesetzesentwurf vor, um die Einfuhr bestimmter Pestizide zu stoppen, die in der EU seit Langem verboten sind. Aber der ukrainische Agrarrat, die Lobbyorganisation der industriellen Landwirtschaft, wusste die Annahme des Entwurfes zu verhindern. Chemie-Konzerne können das Land somit weiterhin als «Deponie» für ihre gefährlichen Pestizide nutzen.

Die fast gänzliche Abwesenheit von Kontrolle in der Anwendung von Pestiziden stellt für die Menschen und Ökosysteme in der Ukraine eine massive Belastung dar. Es kommt regelmässig zu akuten Vergiftungen von Landarbeitenden und zu Verschmutzungen von Boden, Luft und Wasser. Bienen und Biodiversität werden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

«Aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Korruption, fühlen sich grosse und mächtige Konzerne wohl in der Ukraine», sagt Dmytro Skrylnikov, Jurist und Leiter des «Environmental Investigation Bureau», einer nationalen Umweltuntersuchungsbehörde.

«Die Länder der EU sollten nicht die Augen davor verschliessen, was Pestizide in der Ukraine anrichten.»