Gleichgültigkeit am UNO-Gipfel

Zürich, 13.09.2005 - Beherrschen die USA den «Entwicklungs+5» Gipfel mit ihren Forderungen zur Terrorismusbekämpfung? Überlagert die Debatte um die Sicherheitspolitik die Entwicklungspolitik? Auch die Schweiz betrachtet Entwicklungspolitik als vernachlässigbares Nischengeschäft.

Vom 14. bis 16. September tagen in New York 175 Staats- und Regierungschefs am sogenannten Millennium+5 Gipfel der UNO über die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele, die Stärkung und Reformierung der UNO und die Ausweitung des Sicherheitsrats. Sie ziehen Bilanz und verhandeln über den Text des sogenannten «draft outcome»-Dokuments (Entwurf), welche im August von der UNO Generalversammlung nach neunmonatigen Verhandlungen präsentiert wurde. Entwicklungsorganisationen rund um die Welt hatten lange geglaubt, dies würde endlich ein Gipfeltreffen werden, bei dem sie gemeinsam mit den Staatschefs aus dem Norden und Süden über Massnahmen zur Beendigung der weltweit zunehmenden Armut diskutieren könnten. Im Vordergrund steht für sie die Frage, was die Regierungen zur Verwirklichung der Millenniumsziele (u.a. Halbierung der Armut) in den verbleibenden zehn Jahren tun müssen. Doch die Pläne zur UNO-Reform und der globale Aktionsplan zur Armutsbekämpfung drohen massiv abgeschwächt zu werden. Geht es nach Wunsch der US-Regierung, wird das endgültige Dokument des UNO-Gipfels jegliche Verpflichtungen zu multilateraler Entwicklungs- und Umweltpolitik streichen.

Halbierung der Armut noch in weiter Ferne

Dabei ist jetzt schon klar, dass die derzeitige Entwicklungshilfe zu wenig bewirkt und massiv aufgestockt werden muss: Trotz einzelnen Erfolgen, wie zum Beispiel beim Zugang zu Bildungs- und Gesundheitssystemen in einigen armen Ländern, wird die Bilanz insgesamt düster ausfallen: Die Anzahl der Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben, bis 2015 zu halbieren, lässt sich in Afrika nach derzeitiger Sachlage nicht vor dem Jahr 2147 realisieren. Auch die Berichte der MDG-Bilanz aus den Regionen Südindien und Südasien zeigen, dass keines der Länder den Fahrplan einhalten kann. In Tadschikistan hungern 61% der Bevölkerung jeden Tag, in Nordkorea sind es 31%. In Nepal, Afghanistan und Bangladesch sind 48% der Kinder mangelhaft ernährt. In Afghanistan stirbt jedes vierte Kind bei der Geburt.

Kritik an Gleichgültigkeit der Schweiz gegenüber Erhöhung der Entwicklungshilfegelder

Angesichts dieser erschreckenden Zahlen, die völlig ausblenden, dass es sich dabei um Millionen von Menschen handelt, denen es physisch und materiell sehr schlecht geht, mutet die Reaktion vieler nördlicher Länder, darunter die Schweiz, selbstbezogen und höhnisch an. Mit dem Bundesratsbeschluss vom Mai, der eine substantielle Erhöhung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit vorerst ablehnt, zeigt die reiche Schweiz international, dass ihr Interesse an der Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern begrenzt ist. Die Erklärung von Bern kritisiert diese Position und gibt zu bedenken, dass das unsolidarische Verhalten der Schweiz dazu führen wird, dass sie bei entwicklungspolitischen Verhandlungen und Diskussionen in internationalen Institutionen bald nicht mehr als ernsthafter Partner wahrgenommen wird. Die EvB fordert, dass sich die Schweiz zumindest dem Vorschlag des französischen Präsidenten Jaques Chirac nach einer Besteuerung von Flugtickets anschliessen soll.

Interessenskonflikte zu Lasten der Armutsbekämpfung

Das «draft outcome»-Dokument wird vor allem von den USA torpediert. Der neue US-Botschafter bei der UNO, John Bolton, legte Anfang September 750 Änderungsvorschläge vor. Die USA fordern unter anderem die Streichung der geplanten Erhöhung der Entwicklungshilfe für arme Länder und der Massnahmen gegen den Klimawandel. Die Ankündigung eines härteren Vorgehens gegen den Terrorismus und die Forderung nach einem Stopp der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sollen hingegen in den Entwurf aufgenommen werden. Grundsätzlich will sich Präsident Bush auf dem Gipfel nicht festlegen, droht aber ab 2007 erneut die US Beitragszahlungen einzustellen, wenn die UNO nicht bestimmte Bedingungen erfüllt.

Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) macht keinen Hehl daraus, dass ihr die Sicherheitspolitik wichtiger ist als die Entwicklungspolitik. Die Erklärung von Bern kritisiert diese einseitige Haltung und betont, dass beide Aspekte komplementär gefördert werden müssen. Die EvB befürchtet, dass das endgültige Dokument sehr schwammig bleiben wird, was einen Erfolg des Aktionsplans zum Erreichen der Millennium Entwicklungsziele grundsätzlich in Frage stellen würde. Denn der Entwurf des Dokuments ist vor allem in den Bereichen Entwicklungsfinanzierung, Verschuldung, Handel und Bildung sehr oberflächlich. Es scheint, dass Regierungen im Norden sich wieder einmal auf schönen Worten ausruhen wollen, ohne konkrete Taten folgen zu lassen. Ein weiteres Versäumnis ist für die EvB das Ausblenden der Rolle der internationalen Finanzinstitutionen und der WTO. Mit ihrer Politik und ihrem Einfluss bestimmen sie massgeblich den Entwicklungsweg armer Länder, ohne sich ausreichend um die Armutsbekämpfung zu kümmern.

In die Kritik der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) am Entwurf des Aktionsplans reiht sich unterdessen die Gruppe der G 77, die 132 Entwicklungsländer bei den Vereinten Nationen umfasst. Ihnen fehlt die Forderung nach konkreten Zusagen der Industriestaaten zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe (ODA), zu Fragen des Schuldenerlasses, der Handelsbeziehungen und einem verbesserten Marktzugang für Exporte aus den Ländern des Südens.

Das Erreichen der von der UN entworfenen Millenniums Entwicklungsziele ist vom Willen der reichen Geberländer abhängig. Die EvB prangert an, dass sich die weltweite Armutssituation nur verbessern kann, wenn Industrieländer wie die Schweiz ihre Gleichgültigkeit aufgeben. Deshalb fordert die EvB, dass die Schweiz sich als neues Ziel setzt, mindestens 0,5% des Volkseinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben und diesen Betrag bis in 10 Jahren auf 0,7% erhöht.