Kolumbianische Zwangslizenz: Vertrauliche Dokumente zeigen aggressives Lobbying von Novartis

Zur Verhinderung einer Zwangslizenz* für sein Antikrebsmedikament Glivec ist Novartis jedes Mittel recht. So droht der Schweizer Pharmariese Kolumbien nicht nur mit der Anrufung der umstrittenen Investor-Staat-Streitschlichtungskammer, sondern hat auch Gerichtsklagen gegen die staatlich angeordneten Preisreduktionen eingereicht. Public Eye zugespielte Dokumente belegen diese illegitimen Druckversuche.

In vertraulichen Briefen an das kolumbianische Ministerium für Handel und Industrie behauptet Novartis, eine Zwangslizenz auf ihren Blockbuster Glivec konstituiere eine Verletzung des 2006 unterzeichneten Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Kolumbien und droht mit der Anrufung eines privaten internationalen Schlichtungstribunals. Dieser undemokratische Mechanismus ist Teil vieler bilateraler Handelsverträge und erlaubt es Konzernen eines Landes direkt - also unter Umgehung der nationalen Justiz - gegen ein anderes Land vorzugehen, in dem sie investiert haben. Diese Drohung hat die Entscheidung der kolumbianischen Behörden, statt der erwogenen Zwangslizenz vorerst doch nur Preisreduktionen anzuordnen, wohl massgeblich beeinflusst.

Weitere Public Eye zugespielte Dokumente zeigen, dass Novartis auch jene „Declaration of Public Interest“ (DPI) juristisch bekämpft, die der Zwangslizenz zugrunde liegt und die vom Gesundheitsministerium im September 2016 bestätigt wurde. Das Basler Unternehmen hat daraufhin gleich zwei Klagen beim Höchsten Gericht in Kolumbien eingereicht – eine im Dezember 2016 gegen den DPI selbst und eine weitere im Februar 2017 gegen die darauf basierende Berechnungsgrundlage, welche die heute geltende 44prozentige Preisreduktion für Glivec festgelegt hat.

Weiteres Beweismaterial belegt, dass Novartis via den nationalen Pharmaverband AFIDRO, wo der Konzern Mitglied ist, sogar das kolumbianische Präsidentenamt unter Druck gesetzt hat. Involviert ist hier auch der Sondergesandte für Kolumbiens beantragte Aufnahme in die OECD. Hinter verschlossenen Türen hat AFIDRO dem Ministerium für Handel und Industrie auch einen Vorschlag für alternative DPI-Regeln unterbreitet, der „den Prozess und die Bedingungen für eine solche Deklaration besser regulieren soll“. Damit soll sichergestellt werden, dass das erwähnte Ministerium künftige DPI kontrollieren und bei Bedarf verhindern kann.

Die von Public Eye enthüllten Dokumente zeigen, dass Novartis mit denselben Drohungen und Falschbehauptungen gegen die Erteilung einer staatlichen Zwangslizenz lobbyiert, wie dies zuvor schon die US-Regierung und der Schweizer Bundesrat getan haben. Aus Furcht vor einem Präzedenzfall kämpfen die Pharmabranche und ihre Sitzländer mit unfairen Mitteln gegen souveräne Staaten, deren Behörden mit legalen und legitimen Mitteln wie Zwangslizenzen die Gesundheit ihrer Bevölkerung schützen wollen.

Weitere Informationen:
Patrick Durisch, Gesundheitsexperte, 021 620 03 06, patrick.durisch@publiceye.ch
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch


*Zwangslizenzen sind eine im Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS-Abkommen) vorgesehene Flexibilitätsregelung und wurden im Rahmen einer Grundsatzerklärung über das TRIPS-Übereinkommen und öffentliche Gesundheit von der WTO-Ministerkonferenz 2001 in Doha bekräftigt. Im TRIPS-Abkommen werden die Gründe, Umstände und Probleme der öffentlichen Gesundheit, bei denen Zwangslizenzen erteilt werden können, nicht eingegrenzt. Der Mechanismus sieht ausserdem eine Entschädigung des Patentinhabers vor, der sein Produkt weiterhin vermarkten kann.

Mehr zu Patenten und zum TRIPS-Abkommen in unserem Dossier.