Gefährlicher Präzedenzfall für das Öffentlichkeits­gesetz

Ein von Public Eye eingeholtes Rechtsgutachten zeigt, dass der Ausschluss von Medikamentenrabatten aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) nicht nur das Öffentlichkeitsprinzip beschneidet, sondern auch einen gefährlichen, möglicherweise wettbewerbsverzerrenden Präzedenzfall im Sozialversicherungswesen schaffen würde. Das BGÖ darf nicht für Wirtschaftsinteressen missbraucht oder abgeschwächt werden, indem es den Pharmakonzernen in ihrer Monopolstellung zusätzliche Privilegien einräumt.

Mit dem seit 2006 geltenden Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) wurde das grundlegende Prinzip der Transparenz in der Verwaltung eingeführt, um die demokratische Kontrolle sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen zu stärken. Das BGÖ sieht vor, dass jeder Person auf Antrag Zugang zu amtlichen Dokumenten gewährt wird, ohne dass sie eine Begründung vorzulegen hat.

Das BGÖ sieht auch Ausnahmen vor, durch die der Zugang zu amtlichen Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden kann. Keine der im BGÖ genannten Ausnahmen betrifft jedoch die Arzneimittelpreise, für deren Festsetzung das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig ist. Bei der Festsetzung eines Medikamentenpreises kann das Geschäftsgeheimnis gemäss Rechtsprechung ausserdem nicht als Ausnahme geltend gemacht werden.

Die Legalisierung von geheimen Rabatten würde somit eine neue Spezialbestimmung im Sinne von Artikel 4 BGÖ darstellen – die erste für das Sozialversicherungswesen (und die Krankenversicherung). Doch die Argumente, die der Bundesrat zur Rechtfertigung dieser Spezialbestimmung vorbringt, sind aus juristischer Sicht nicht überzeugend, wie das Rechtsgutachten zeigt.

© Martin Bichsel
Bild aus der Public-Eye-Kampagne für bezahlbare Medikamente 2018.

Dahinter steckt vielmehr eine Politik, die der Pharmaindustrie zusätzliche Privilegien verschaffen will. Die Pharmaindustrie fordert seit langem geheime Rabatte, um die offiziellen Preise (auch «Schaufensterpreise»), die als internationale Vergleichsgrundlage dienen, hoch zu halten, ohne die gewährten Rabatte offenlegen zu müssen.

Es wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, das Öffentlichkeitsprinzip für wirtschaftspolitische Zwecke zu nutzen und zu schwächen. Die Finanzierung der Krankenversicherung wird grösstenteils von den Versicherten getragen. Ein hohes Mass an Transparenz in Bezug auf die staatliche Festsetzung der Arzneimittelpreise, einschliesslich ausgehandelter Rabatte, ist deshalb unerlässlich. Sie in einen noch dickeren Mantel des Schweigens zu hüllen, würde den von der Schweiz propagierten Transparenzzielen zuwiderlaufen.

Gesamtes Rechtsgutachten

Markus Prazeller, 3.3.2022

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Keine Geheimdeals Für transparente Medikamentenpreise