Intransparente Kosten für Forschung und Entwicklung

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Gewisse Pharmaunternehmen rechtfertigen die teuren Preise ihrer Medikamente – insbesondere Krebsmedikamente - unbeirrt mit den angeblich hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E). Sie zitieren immer wieder die abwegigen und übertriebenen Kosten von 2,6 Milliarden Franken für die durchschnittliche Entwicklung eines neuen Wirkstoffs.

Die Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi), eine Nonprofitorganisation, spricht von 150 bis 200 Millionen Franken, das heisst zehnmal (!) weniger, selbst unter Berücksichtigung der Ausfallrate.

Eine im November 2017 im renommierten JAMA-Journal veröffentlichte amerikanische Studie hingegen schätzt die Kosten für die Entwicklung eines neuen Antikrebs-Wirkstoffs auf ungefähr 650 Millionen Franken. Nebenbei weist sie darauf hin, dass die Investitionen in F&E nicht nur schnell zurückgewonnen, sondern innerhalb weniger Jahre bereits um das Zehnfache wieder eingespielt werden – ein Return on Investment, der in praktisch keinem anderen Wirtschaftssektor zu finden ist.

Die Pharmaindustrie gilt als einer der lukrativsten Wirtschaftszweige mit einem Reingewinn von häufig über 20% des Umsatzes.

Nur die Tabakindustrie und der Bankensektor schneiden manchmal besser ab.

Profit- statt bedarfsorientiertes Innovationssystem

Das weltweite Patentsystem steht immer wieder in der Kritik, weil es sich eher nach dem Profit als nach gesellschaftlichen Bedürfnissen richtet. Auch F&E sind profitgesteuert. Besonders problematisch ist dies in Bereichen von öffentlichem Interesse wie der Gesundheit, denn die Abhängigkeit von Marktanreizen führt zu «Lücken» in gewissen Forschungsbereichen (z.B. bei vernachlässigten Tropenkrankheiten oder Antibiotika) und verursacht hohe Kosten, die den Zugang zu Behandlungen behindern.

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Dieser marktorientierte Ansatz in F&E hat zur Folge, dass der Innovationsfokus auf Krankheiten liegt, die vorwiegend wohlhabende Patientinnen und Patienten betreffen. Für Krankheiten mit geringem wirtschaftlichem Potenzial hingegen gibt es wenig F&E – weil zu wenig Menschen betroffen sind oder weil sie zu arm sind. Kommt es dennoch zu einem Durchbruch, sind die Arzneimittel oft zu teuer und deshalb für die meisten Patientinnen und Patienten unerschwinglich.

Evergreening: Profitmaximierung auf Kosten der Kranken

Mit einem Nettogewinn von häufig über 20 Prozent ist die Pharmaindustrie eine der lukrativsten Branchen.

Um Profite zu sichern und Marktanteile zu gewinnen, scheuen die Pharmafirmen nicht davor zurück, ein und dieselbe Substanz mit mehreren Patenten zu belegen, um so den Patentschutz zu verlängern und die mit Generika handelnde Konkurrenz zu hemmen.

Diese Praxis nennt sich «Evergreening» und ist integraler Bestandteil des Geschäftsmodells der Branche. Sie bremst nicht nur pharmazeutische Entwicklungen, sondern bedroht auch den Zugang der Bevölkerung armer Länder zu lebenswichtigen Medikamenten, da sie die Einführung von Generika und damit Preissenkungen verzögert.

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Preissetzungs-Macht der Pharmaindustrie

Unabhängige wissenschaftliche Analysen heben einen Hauptgrund für die Preisexplosion bei Medikamenten hervor: die Preissetzungsmacht (Pricing power) der Pharmaindustrie. In Europa ist die Preiskontrolle national geregelt, weshalb jedes Land einzeln mit den Pharmakonzernen über die Preise neuer Medikamente verhandelt – unter sehr intransparenten Bedingungen.

Bei diesen intransparenten Verhandlungen sitzt klar die Pharmaindustrie am längeren Hebel.

Erstens dient der für den amerikanischen Markt festgelegte – in der Regel sehr hohe – Preis als Grundlage. Zweitens drohen die Konzerne notfalls auch damit, das Produkt vom Markt zu nehmen (oder es von der Vergütung auszuschliessen), wenn die Behörden einen zu tiefen Preis fordern - oder auch damit, den Rechtsweg einzuschlagen, wobei sie oft gewinnen. Veröffentlicht werden schliesslich nur die Höchstpreise («Schaufensterpreise»), fiktive Grössen, die im internationalen Preisvergleich als Referenzpreise dienen, jedoch keinesfalls dem mit der Regierung real ausgehandelten Preis entsprechen.

Auch wenn die europäischen Länder neuerdings versuchen, sich zusammenschliessen, um gemeinsam angemessenere Preise auszuhandeln (vgl. die „BeNeLuxA“-Initiative sowie die „Valetta Declaration“), bleiben die Hebel unterschiedlich lang. Die Regierungen kommen im Rahmen des gegenwärtigen Preissetzungssystems nicht gegen die Preismacht der Pharmaindustrie an.