Recherche Verbotene Pestizidexporte: Die Lücken in den Schweizer Bestimmungen

Trotz einer 2021 in Kraft getretenen Verschärfung der Ausfuhrbestimmungen exportiert die Schweiz noch immer verbotene Pestizide. Unzählige gefährliche Stoffe, die in der Schweiz verboten sind, entgehen den Exportverschärfungen des Bundesrates – und ihre Ausfuhr taucht gar nicht erst in den offiziellen Statistiken auf.

«Damit nimmt die Schweiz als Gastland der Sekretariate der multilateralen Chemikalienübereinkommen und als Produktionsstandort multinationaler Hersteller von Pflanzenschutzmitteln ihre Verantwortung wahr.» Mit diesen Worten erläuterte der Bundesrat im Oktober 2020 seine Entscheidung, die Exportbestimmungen für Pestizide zu verschärfen, die in der Schweiz verboten sind. Das Geschäft mit dem Gift war in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, nachdem Public Eye den Export verbotener Pestizide «Made in Switzerland» aufgedeckt und katastrophale Folgen in Indien und Brasilien dokumentiert hatte. Daraufhin hatten 41 Nationalrät*innen aus allen politischen Lagern den Bundesrat in einer Motion dazu aufgefordert, diese Exporte zu stoppen. Vor der Schweiz hatte bereits Frankreich ein solches Verbot ausgesprochen, das 2022 in Kraft in Kraft getreten ist. Auch die Europäische Kommission hat sich verpflichtet, diese Praxis auf der Ebene der Europäischen Union (EU) zu beenden.

Seit Januar 2021 gilt nun für den Export von rund hundert Pestiziden, die in der Schweiz verboten sind, eine Bewilligungspflicht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) gibt erst dann grünes Licht, wenn das Zielland ausdrücklich zugestimmt hat. Zuvor gab es für die Ausfuhr dieser Pestizide lediglich eine Meldepflicht. Ausserdem dürfen fünf «besonders problematische» verbotene Stoffe – Paraquat, Atrazin, Diafenthiuron, Profenofos und Methidathion – gar nicht mehr exportiert werden. Der Bundesrat hatte sich auf Stoffe konzentriert, die in den Jahren davor aus der Schweiz ausgeführt worden waren, und wollte diesen Exporten offensichtlich ein Ende setzen. Bern hat damit eine der weltweit ersten und strengsten Regelungen in diesem Bereich eingeführt. «Dem Bundesrat ist es wichtig, dass Pflanzenschutzmittel, die aus der Schweiz in andere Länder exportiert werden, nicht die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt gefährden», erläutert das BAFU.

Nach unseren Erkenntnissen exportiert die Schweiz jedoch weiterhin Pestizide, die sie auf ihrem eigenen Boden nicht mehr haben will.

Aus Unterlagen, die Public Eye beim BAFU eingefordert hate, geht hervor, dass die Schweiz im Jahr 2021 die Ausfuhr von mehr als 10 Tonnen Pestiziden bewilligt hat, die Triasulfuron enthielten. Dieser Stoff wird von den europäischen Behörden als möglicherweise krebserregend eingestuft; 2016 wurde er in der EU aufgrund von Bedenken hinsichtlich seines erbgutverändernden Potenzials, der Grundwasserverschmutzung und der toxischen Wirkung auf Wasserorganismen verboten. 2022 haben die Schweizer Behörden nochmals die Ausfuhr von über 10 Tonnen dieser Substanz ermöglicht. Triasulfuron gehört zu den 100 Stoffen, deren Ausfuhr seit 2021 bewilligungspflichtig ist.

Syngenta Headquarter, Basel © Sebastien Gerber

Die Triasulfuron-Exporte gehen auf das Konto von Syngenta. Der Konzern betreibt in Monthey (VS) seine weltweit grösste Produktionsstätte. Das Herbizid war für Algerien und Tunesien bestimmt, wo es beim Anbau von Getreide, insbesondere Weizen und Gerste, verwendet wird. In diesen Ländern mit niedrigem Einkommen verfügen die Landwirt*innen in der Regel weder über die notwendige Ausbildung noch über Schutzausrüstung. Die gefährlichen Stoffe können somit nicht sicher verwendet werden. Gefährliche Stoffe, die in der Schweiz oder der EU verboten sind, können dort erst recht nicht sicher eingesetzt werden. Sie haben verheerende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, wie ein Bericht der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) feststellt.

Syngenta erklärt auf Anfrage, dass man die Sicherheit der Produkte für Mensch und Umwelt sehr ernst nehme. «Wir haben Hunderte von Millionen Dollar in unsere Produkte investiert, um deren Sicherheit zu gewährleisten», lässt uns der Konzern über einen Mediensprecher wissen. Syngenta bestreitet, dass Triasulfuron im Verdacht steht, krebserregend zu sein, und verweist darauf, dass für die Exporte eine «Einfuhrgenehmigung der Importländer» vorliege.

«Wie kann die Schweiz, das Heimatland der Menschenrechte, diese Praxis noch tolerieren?», fragt sich dagegen Semia Gharbi, Vertreterin des Vereins für Umweltbildung für zukünftige Generationen in Tunesien. «Alle Menschen sind gleich. Wenn eine Chemikalie für Bürger*innen in der Schweiz oder der EU zu gefährlich ist, dann ist sie es auch für die Menschen in ärmeren Ländern.»

In Tunesien und Algerien, wie auch im übrigen Afrika, entzieht sich der Einsatz von Pestiziden in der Regel jeglicher Kontrolle und verursacht eine regelrechte Gesundheitskatastrophe, deren wahres Ausmass weitgehend unsichtbar bleibt.

Lückenhafte Daten

Doch die Exportdaten des BAFU bilden nicht das ganze Ausmass der Schweizer Exporte verbotener Pestizide ab. Public Eye hat von deutschen Behörden aufschlussreiche Dokumente erhalten: Demnach beantragte Syngenta im Jahr 2022 die Ausfuhr von fast 100 Tonnen Pestiziden aus Deutschland in die Schweiz. Es handelt sich um Stoffe, die in der Schweiz und der EU verboten sind. Aus den uns vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass diese Pestizide für die Wiederausfuhr aus der Schweiz in Drittländer bestimmt waren. Diese Exporte tauchen in den offiziellen Daten der schweizerischen Behörden nirgends auf.

Es geht um vier Stoffe. Erstens Thiamethoxam, ein «Bienenkiller»-Neonicotinoid, das im Verdacht steht, wesentlich zum weltweit beobachteten Rückgang der Bestäuberinsekten beizutragen, der eine ernsthafte Bedrohung für die weltweite Nahrungsmittelsicherheit darstellt. Betroffen ist auch das Herbizid Diquat, das in der EU aufgrund extrem hoher Risiken für Landarbeiter*innen verboten wurde – trotz erbittertem Widerstand von Syngenta. Ebenfalls registriert wurden das wahrscheinlich krebserregende Chlorothalonil, das in der Schweiz wegen Grundwasserverschmutzung verboten wurde, sowie Propiconazol, ein Fungizid, das von den EU-Behörden als fortpflanzungsgefährdend eingestuft wird; es kann beim Kind im Mutterleib Schäden verursachen. Syngenta war nicht bereit, uns zu erklären, warum diese Produkte einen Zwischenhalt in der Schweiz gemacht haben und in welche Länder sie anschliessend exportiert worden waren.

© Lunaé Parracho/Reuters

All diese Pestizide sind in der Schweiz und in der EU in den letzten Jahren aufgrund ihrer Gefährlichkeit für die menschliche Gesundheit und die Umwelt verboten worden. Aber im Gegensatz zu Triasulfuron fallen sie nicht unter die Schweizer Bestimmungen über die Ausfuhr gefährlicher Pestizide. Ihr Export muss dem BAFU nicht gemeldet werden, und sie erscheinen auch nicht in den offiziellen Exportdaten der Schweiz. Auch die vom Bundesrat eingeführten Exportverschärfungen greifen bei diesen Substanzen nicht: Sie können somit ohne Bewilligung des BAFU und ohne Zustimmung des Empfängerlandes exportiert werden.

Auf Anfrage von Public Eye bestätigt das BAFU, dass Deutschland den Export von «insgesamt 98'610 kg» Produkten in die Schweiz gemeldet hat, die Diquat, Chlorothalonil, Propiconazol und Thiamethoxam enthalten. Das Amt bestätigt auch, dass diese Stoffe von den Unternehmen «in Eigenverantwortung ohne Ausfuhrgenehmigung oder Ausfuhranmeldung» anschliessend aus der Schweiz exportiert werden können; und weist darauf hin, dass zurzeit «Abklärungen bezüglich einer möglichen künftigen Aufnahme» dieser Stoffe in die Schweizer Exportgesetzgebung für gefährliche Pestizide liefen.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Es handelt sich hierbei nicht um Einzelfälle. Gemäss unserer Recherche gibt es insgesamt 90 verbotene Pestizide, die von der schweizerischen Gesetzgebung nicht erfasst werden. Während alle diese Stoffe auf europäischer Ebene bestimmten Ausfuhrbeschränkungen unterliegen, entgehen sie in der Schweiz jeglicher Kontrolle und können ohne Einschränkung exportiert werden. Ihre Ausfuhr ist für die Behörden und die Öffentlichkeit unsichtbar. Dies steht in krassem Gegensatz zur Absicht des Bundesrates, den Export verbotener Pestizide strenger zu kontrollieren.

Das Problem scheint grösstenteils der schleppenden Aktualisierung der Liste der Stoffe geschuldet, die den Ausfuhrbestimmungen für gefährliche Pestizide unterliegen. Auf europäischer Ebene wird diese Liste jedes Jahr aktualisiert: alle Pestizide, die in den vergangenen zwölf Monaten innerhalb der EU verboten wurden, werden jeweils neu hinzugefügt. Dabei kamen in den letzten vier Jahren auf EU-Ebene über 70 verbotene Substanzen hinzu, 22 davon allein im April 2022. In der Schweiz wurde die entsprechende Liste zuletzt im März 2020 angepasst – also Monate vor der Einführung des Exportverbots. Und es wurden nur rund 10 Stoffe neu aufgeführt.

Das BAFU bestreitet dies nicht grundsätzlich, antwortet aber, dass ein Vergleich der schweizerischen mit den europäischen Listen «keinen Sinn» mache, da diese «mit jeweils unterschiedlichen Regulierungen verbunden» seien. Doch laut der Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln übernimmt der Bund Anwendungsverbote von gefährlichen Pestiziden durch die EU. Pestizide, die in der EU verboten sind, sind somit auch in der Schweiz verboten und sollten daher auch entsprechenden Exportbeschränkungen unterliegen.

Das BAFU erklärt, dass die Aufnahme neuer Substanzen in die helvetische Gesetzgebung über die Ausfuhr gefährlicher Pestizide im Rahmen von «Verordnungspaketen zur Änderung des Umweltrechts» erfolge und dass jährliche Aktualisierungen «mit den verfügbaren Personalressourcen nicht möglich wären». Das Amt weist jedoch darauf hin, dass der Bundesrat in Kürze über die Aufnahme von 69 neuen Wirkstoffen in die Gesetzgebung entscheiden soll, die seit 2019 vom Markt genommen wurden.

© Mark Henley/Panos

«Wenn der Bundesrat wirklich dazu beitragen will, Gesundheit und Umwelt in Schwellen- und Entwicklungsländern besser zu schützen, muss er die Lücken schliessen, die es den Herstellern ermöglichen, die Verschärfung der Exportbestimmungen für Pestizide zu umgehen» findet die Genfer Ständerätin der Grünen Lisa Mazzone.

Public Eye fordert, dass die Schweiz die Liste der Stoffe, die von Ausfuhrbestimmungen für gefährliche Chemikalien betroffen sind, regelmässig aktualisiert und alle verbotenen Pestizide aufnimmt, die auch in der EU-Regelung gelistet sind. Zudem sollte sie künftig den Export aller verbotenen Pestizide verbieten, die seit Inkrafttreten der Ausfuhrverschärfungen weiterhin aus der Schweiz exportiert wurden,  angefangen mit Triasulfuron, Thiamethoxam, Diquat, Chlorothalonil und Propiconazol.

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