Recherche Frankreich exportiert weiterhin verbotene Pestizide

Seit Anfang Jahr hat die französische Regierung die Ausfuhr von über 7400 Tonnen giftigen Pestiziden bewilligt, die im eigenen Land verboten sind. Ein neues Gesetz lässt solche Exporte eigentlich nicht mehr zu. Doch wie eine Recherche von Public Eye und Unearthed zeigt, hat das Gesetz empfindliche Schlupflöcher. Um den Giftexporten einen Riegel zu schieben, braucht es dringend ein EU-weites Verbot.

Im Oktober 2018 hat Frankreich ein historisches Gesetz verabschiedet, das ab 2022 den Export von Pestiziden verbietet, die innerhalb der eigenen Grenzen und in der ganzen europäischen Union (EU) verboten sind. Zuvor war bekannt geworden, dass der Basler Konzern Syngenta sein umstrittenes Herbizid Atrazin aus Frankreich exportierte – Atrazin ist ein hormonaktiver Stoff, der sich im Grundwasser anreichert und deshalb in der ganzen EU längst verboten ist.  Nachdem es einen Rekurs der Industrie abgelehnt hatte, erklärte das französische Verfassungsgericht das Exportverbot 2020 für gültig. Elisabeth Borne, damals Ministerin für ökologische Transition und heute Premierministerin, freute sich über diesen Entscheid, der es Frankreich ermöglichen würde, «weltweit für den Umweltschutz» einzutreten.  

Doch jetzt zeigt unsere Recherche, dass Frankreich ein knappes Jahr nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch immer grosse Mengen gefährlicher Pestizide exportiert, die es auf seinen eigenen Feldern nicht mehr toleriert.

Daten, die wir gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip beschaffen konnten, zeigen das Ausmass dieses giftigen Geschäfts.

Von Januar bis September 2022 bewilligten die französischen Behörden demnach 155 Exportgesuche für Pestizide, die in Frankreich und in der ganzen EU verboten sind. Insgesamt wurde die Ausfuhr von 7475 Tonnen verbotener Wirkstoffe und Pestizidprodukte genehmigt. Es handelt sich um Produkte mit insgesamt 14 Wirkstoffen, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt aus der europäischen Landwirtschaft verbannt wurden.

Fast 40 Prozent des Exportvolumens entfallen auf Picoxystrobin, ein Fungizid, das beim Anbau von Getreide und Sojabohnen zur Anwendung kommt. 2017 wurde es aufgrund seines erbgutverändernden Potenzials und der hohen Risiken für Wasserorganismen verboten. Die französischen Behörden gaben zudem grünes Licht für zahlreiche Exporte von insgesamt vier «Bienenkiller»-Insektiziden (drei Neonicotinoide und Fipronil), die in der EU zum Schutz von Bestäubern und der Artenvielfalt verboten sind.

Rund drei Viertel des Volumens war für Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen bestimmt, in denen die Vorschriften lockerer und die Risiken sehr hoch sind. Brasilien, der weltweit grösste Markt für Pestizide, war mit Abstand das wichtigste Zielland. Dort geht der massive Einsatz von Pestiziden mit schweren Menschenrechtsverletzungen einher, wie ein UN-Bericht nachweist. Unter den zehn wichtigsten Importeuren verbotener Pestizide «Made in France» sind auch die Ukraine, Russland, Mexiko, Indien und Algerien.

© Fabio Erdos/Panos
In Brasilien, dem weltweit grössten Markt für Pestizide, erstrecken sich Monokulturen, so weit das Auge reicht.

Dabei gilt das das Exportverbot im französischen Landwirtschafts- und Ernährungsgesetz eigentlich seit dem 1. Januar 2022. Doch das Gesetz und die entsprechenden Bestimmungen zur Umsetzung weisen erhebliche Schlupflöcher auf, die es der Industrie erlauben, weiterhin grosse Mengen verbotener Pestizide aus Frankreich auszuführen – und dies völlig legal.

Michèle Rivasi, die für die französischen Grünen im Europäischen Parlament sitzt und die Thematik genau verfolgt, zeigt sich auf Anfrage von Public Eye und Unearthed «empört» über die aufgedeckten Fakten. «Das Gesetz, das diese schändliche Praxis stoppen sollte, die ausserhalb der EU zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen führt, wurde missbraucht», sagt sie.

«Um Profit zu machen, ist die Pestizidlobby zu allem bereit.»

Erst kürzlich hat die EU-Kommission ihr Versprechen zurückgenommen, bis 2023 einen EU-weiten Exportstopp für verbotenen Pestizide einzuführen und die Exporte verbotener Pestizide ab 2023 auch aus der EU zu untersagen. Die Kommission hatte diesen Schritt in ihrer Chemikalienstrategie angekündigt, hat den Punkt nun aber aus ihrem Arbeitsprogramm gestrichen – offenbar auf Druck der Chemie-Lobby.  Derweil folgen andere europäische Länder wie Belgien und Deutschland dem Beispiel Frankreichs und bereiten bereits den Erlass nationaler Exportverbote vor – (wobei sie aus dem französischen Beispiel auch Lehren über dessen Unzulänglichkeiten ziehen sollten).

Schlupflöcher im französischen Gesetz

Die grösste Schwachstelle ist im Landwirtschafts- und Ernährungsgesetz selbst zu finden. Zwar unterbindet es den Export von «Pflanzenschutzmitteln», die in der EU verbotene Stoffe enthalten, doch gilt dies nicht für Wirkstoffe. Die Hersteller können also weiterhin Wirkstoffe ausführen, die dann im Zielland zu «gebrauchsfertigen» Produkten gemischt werden. Warum sich die französische Regierung mit einer derart lückenhaften Bestimmung begnügte, ist unklar; eine entsprechende Anfrage bleibt unbeantwortet. Es ist umso erstaunlicher, als dass Regulierungen innerhalb der EU stets Wirkstoffe und nicht fertige Produkte betreffen.

Unsere Recherche zeigt, dass diese Lücke in der französischen Gesetzgebung tatsächlich ausgenützt wird. So haben die französischen Behörden seit Januar 2022 dem US-Konzern Corteva (vormals die Agrarsparte des Chemieriesen DowDuPont) die Ausfuhr von über 2900 Tonnen Picoxystrobin ermöglicht. Die grosse Mehrheit –­ 2400 Tonnen – war für Brasilien bestimmt, wo das hochgefährliche Fungizid hauptsächlich im Sojaanbau verwendet wird. Die französischen Exporte allein machen 85% der jährlich in Brasilien verwendeten Mengen an Picoxystrobin aus. Und sie bringen viel Geld ein: Gemäss dem US-amerikanischen Marktanalyseunternehmen S&P Global landen rund 260 Millionen US-Dollar landen in den Kassen von Corteva.

«Wenn man an die EU denkt, stellt man sich vor, dass dort starke Regulierungen gelten und Gesetze eingehalten werden», sagte uns Alan Tygel, Sprecher der Ständigen Kampagne gegen Agrargifte und für das Leben in Brasilien auf Anfrage. «Aber offenbar gibt es immer Wege, die Gesetzgebung zu umgehen und auf Kosten der Gesundheit und der Umwelt in ärmeren Ländern die Profite der chemischen Industrie zu schützen.»

© Lunaé Parracho/Reuters

Ein zweites Schlupfloch im französischen Ausfuhrverbot findet sich in den im März 2022 verabschiedeten Umsetzungsbestimmungen. Demnach dürfen Pestizide weiterhin exportiert werden, wenn sie Stoffe enthalten, deren Zulassung auf europäischem Boden zwar abgelaufen ist, die aber nicht Gegenstand eines formellen Verbots durch EU-Behörden sind. Um den Export eines jeden solchen Stoffs zu verbieten, braucht es zusätzlich einen gemeinsamen Erlass der Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt, der auf «einer Bewertung der Auswirkungen des Verbots» basiert. Bisher wurde noch kein einziger solcher Beschluss gefasst.

Warum die französischen Behörden diese Unterscheidung machen, ist unklar. Denn nach dem Landwirtschafts- und Ernährungsgesetz gilt das Ausfuhrverbot für alle Pestizide, deren Inhaltsstoffe «aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von Mensch oder Tier oder der Umwelt nicht zugelassen sind». Und gemäss EU-Recht gilt eigentlich auch ein Stoff, dessen Zulassung abgelaufen ist, als «verboten», sofern er nachweislich Risiken für die Gesundheit oder die Umwelt mit sich bringt. In der Praxis ziehen Pestizidhersteller oft selbst ihre Anträge auf eine Verlängerung von Bewilligungen zurück, wenn sie davon ausgehen, dass die Behörden diese ablehnen würden. So vermeiden sie Negativschlagzeilen als Folge von behördlichen Verboten ihrer schädlichen Produkte.

© Jared Belson

Und laut Umsetzungsbestimmungen gilt ohne behördliches Verbot kein Exportverbot. So haben die französischen Behörden seit Januar 2022 94 Gesuche von Bayer, BASF, Syngenta und Nufarm für den Export von «Bienenkiller»-Produkten genehmigt, die Imidacloprid, Thiamethoxam, Clothianidin oder Fipronil enthalten. Insgesamt wurde die Ausfuhr von mehr als 1800 Tonnen Insektiziden mit einem dieser verbotenen Wirkstoffe bewilligt. Die wichtigsten Importländer waren Russland, die Ukraine, Japan, die USA, Guatemala, Indien und Indonesien.

Im Jahr 2018 hatten die EU-Behörden diese hochgefährlichen Insektizide im Freien verboten, um Bienen und andere Bestäuber zu schützen. In Gewächshäusern blieb die Anwendung erlaubt.  Schliesslich haben die Hersteller ihre Anträge auf eine Verlängerung der Bewilligung selbst zurückgezogen, woraufhin die Zulassungen ausliefen.

Gesetzwidrige Exporte?

Abgesehen von den genannten Schlupflöchern wirft unsere Recherche auch Fragen über die Umsetzung des Gesetzes durch die französischen Behörden auf. Diese haben nämlich auch 29 Gesuche für den Export von insgesamt mehr als 2200 Tonnen Pestiziden bewilligt, welche Stoffe enthielten, die von den EU-Behörden formell verboten worden sind. Wie unsere Daten zeigen, geht es bei diesen offensichtlich gesetzwidrigen Exporten um sechs Wirkstoffe.

Die grössten Ausfuhrmengen entfallen auf Fenamidon, ein Fungizid zur Bekämpfung der Kraut- und Knollenfäule bei Weintrauben, Gemüse, Kartoffeln oder Zierpflanzen. Diesen Stoff haben die EU-Behörden aufgrund von Bedenken hinsichtlich seines erbgutverändernden Potenzials und der Grundwasserkontamination 2018 verboten. Dennoch hat Frankreich seit Januar 2022 die Ausfuhr von 1300 Tonnen Pestiziden mit diesem Inhaltsstoff in Länder wie Mexiko, Algerien, Indien und Ägypten bewilligt.

Auf Anfrage von Public Eye und Unearthed bestätigen die französischen Behörden, dass diese Exporte «sehr wohl in den Geltungsbereich des gesetzlich vorgesehenen Verbots fallen». Auf der Grundlage von «Belegen», die von den Unternehmen übermittelt und als «zulässig» eingestuft worden seien, habe man die Exportanträge jedoch genehmigt. Was die Behörden zu dieser Entscheidung bewogen hat, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Syngenta reagiert mit Produktionsverlagerung

Allen Schwächen im französischen Gesetz und dessen Umsetzung zum Trotz: Die von von Public Eye und Unearthed ermittelten Daten zeigen auch, dass die neuen Bestimmungen immerhin zu einer deutlichen Reduktion der Exportmengen geführt haben. Die insgesamt 7475 Tonnen verbotener Wirkstoffe und Produkte, deren Ausfuhr aus Frankreich zwischen Januar und September 2022 bewilligt wurde, sind deutlich weniger als die 28'479 Tonnen, deren Ausfuhr im Jahr 2021 genehmigt wurden. Damals waren 31 verbotene Stoffe zur Ausfuhr angemeldet worden, im Jahr 2022 waren es noch 14.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Pestizide weiterhin von europäischem Boden aus exportiert werden. Für Agrochemiekonzerne wie BASF, Bayer oder Syngenta, welche Tochterunternehmen und Infrastrukturen in der gesamten EU besitzen, dürfte es relativ einfach sein, die Produktion und den Export dieser verbotenen Pestizide in Nachbarländer zu verlagern, um das französische Gesetz zu umgehen. Insbesondere, wenn sie dieselben Stoffe bereits in einer anderen europäischen Fabrik herstellen.

Syngenta Headquarter, Basel © Sebastien Gerber

Ein Unternehmen scheint das Geschäft mit verbotenen Pestiziden als Reaktion auf die neue französische Regelung jedoch tatsächlich verlagert zu haben: Syngenta. 2021 hatte der Basler Konzern noch die Ausfuhr von 1941 Tonnen verbotenen Pestiziden aus Frankreich angemeldet, die insgesamt 5 verbotene Stoffe enthielten: Thiamethoxam, Propiconazol, Chlorothalonil, Diquat und Pymetrozin. Seit Januar 2022 waren es nur noch 4,6 Tonnen des Insektizids Thiamethoxam.

Im Jahr 2022 meldete Syngenta dafür zum ersten Mal Exporte von Chlorothalonil, Pymetrozin und Diquat aus Deutschland. Das belegen Daten, die wir von deutschen Behörden erhielten. Zudem ist das Ausfuhrvolumen von Propiconazol und Thiamethoxam stark gestiegen.

Noch auffälliger ist das Beispiel Atrazin. Seit 2004 exportierte Syngenta jedes Jahr Herbizide auf Basis von Atrazin aus Frankreich. 2018 gelangten über 1100 Tonnen in die Ukraine, den Sudan und nach Aserbaidschan, wie wir in einer früheren Recherche aufgedeckt hatten. Im Jahr 2021 wurden diese Exporte eingestellt. Gleichzeitig begann Syngenta, genau dieselben Länder aus Deutschland mit Atrazin zu beliefern.

Auf Anfrage von Public Eye und Unearthed war Syngenta nicht bereit, inhaltlich zu antworten. Über einen Sprecher lässt der Basler Riese verlauten, dass «die Sicherheit der Syngenta-Produkte für Mensch und Umwelt für uns sehr wichtig ist» und dass seine Produktionsstätten in Europa sich in Bezug auf Sicherheit und Qualität bewährt hätten und von jahrzehntelanger Erfahrung profitieren. «Um unsere strengen Produktionsstandards zu erfüllen und eine maximale Qualität zu gewährleisten, produzieren wir nur an wenigen Orten auf der Welt, von wo aus wir in über 90 Länder exportieren.»  

© Lunaé Parracho/Reuters

Die Chemie-Lobby hat noch nicht gewonnen

Aus all diesen Gründen braucht es ein EU-weites Exportverbot für verbotene Pestizide. Sonst verlagern die Agrochemiekonzerne ihr giftiges Geschäft einfach von einem Mitgliedsstaat in einen anderen. Diese Feststellung wird von den französischen Behörden geteilt, die einräumen, dass das auf nationaler Ebene erlassene Ausfuhrverbot umgangen werden kann, indem aus einem anderen Land exportiert wird, und dass es daher notwendig ist, dass ein Exportverbot für die gesamte EU eingeführt wird. Doch nach dem jüngsten Rückzieher der EU-Kommission unter dem Druck der Agrochemielobby ist ein umfassendes Verbot zurzeit nicht in Sicht.

Dennoch wird der Spielraum für die Industrie enger. Diverse Länder folgen dem Beispiel Frankreichs und planen die Verabschiedung nationaler Ausfuhrverbote. So will Belgien künftig den Export verbotener Chemikalien beenden, und Deutschland hat sich verpflichtet, ab nächstem Frühling keine verbotenen Pestizide mehr auszuführen. Auch die Schweiz verbietet die Ausfuhr bestimmter «besonders problematischer» Pestizide. Weitere Länder könnten denselben Weg einschlagen.

«Frankreich war ein Pionier, als es den Export von verbotenen Pestiziden verbot», schliesst Michèle Rivasi. »Es sollte die Absicht dieses Gesetzes durchsetzen und sich mit anderen europäischen Ländern verbünden, um es so schnell wie möglich auf ganz Europa auszudehnen.»

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