Bittere Orangen: Wie brasilianische Saisonniers für den Schweizer Agrarhändler LDC schuften

Gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, vertragslose Beschäftigung, keine existenzsichernden Löhne: Diese Missstände fand Public Eye auf Orangenplantagen in Brasilien vor, die auch die Louis Dreyfus Company (LDC) beliefern. Und die Coronakrise verschärft die prekären Zustände, unter denen sich die Pflücker*innen in der Lieferkette von LDC verdingen, noch weiter.

Unsere gemeinsam mit der investigativen NGO Repórter Brasil durchgeführten Recherchen im Hinterland von São Paolo zeigen, was sich hinter den von hohen Zäunen umgebenen Plantagen verbirgt, von denen der aus der Schweiz operierende Agrarkonzern LDC seine Orangen bezieht. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der zumeist aus dem besonders armen Norden Brasiliens stammenden Pflücker*innen sind prekär: Von der Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns über ein undurchsichtiges und zur Erschöpfung treibendes Lohnsystem bis zu unwürdigen Unterkünften. «Den durch die Amazonas-Abholzung verursachten Rauch konnten alle sehen. Solche Verletzungen der Arbeitsrechte sind leider weniger sichtbar als ein Waldbrand», kommentiert der brasilianische Staatsanwalt des Arbeitsministeriums von Araraquara.

Dafür mitverantwortlich: der weltweit drittgrösste Orangensaftproduzent LDC. Von seinem operativen Hauptsitz in Genf dringt der Agrarkonzern, der früher vor allem im Handel tätig war, seit den 90er-Jahren immer weiter in den Anbau von Orangen vor und hat dadurch grossen Einfluss auf die Produktionsverhältnisse. In Brasilien verwaltet LDC heute 38 Grossplantagen mit über 25'000 Hektaren. Hinzu kommen zahlreiche Zulieferbetriebe. Während das Unternehmen in seinen Hochglanzberichten erklärt, seine «Verantwortung für das Wohlergehen der gesamten Belegschaft [...] sehr ernst» zu nehmen, zeichnen die zahlreichen Erfahrungsberichte von Pflückenden, mit welchen wir in ihren Unterkünften sprechen konnten – trotz Versuchen von LDC, sie davon abzuhalten – ein anderes Bild.

Dies belegen auch die fast 200 Arbeitsrechtsverletzungen im brasilianischen Zitrus-Sektor, die LDC laut den dortigen Behörden seit 2010 begangen hat. Nicht offiziell registriert werden hingegen die systematischen Verletzungen des international anerkannten Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard. Pflücker*innen auf LDC-Zulieferbetrieben berichteten uns, dass sie nicht mal den gesetzlich festgelegten Mindestlohn von umgerechnet knapp 190 Franken pro Monat verdienen. Auf den eigenen Plantagen wird dieser (laut Selbstdeklaration) zwar nicht unterschritten. Ein existenzsicherndes Auskommen erreicht aber auch dort niemand, auch nicht mit den diversen «Produktivitätsprämien». Gemäss dem brasilianischen Institut für Statistik und sozioökonomische Studien bräuchte es zur Deckung des täglichen Bedarfs einer vierköpfigen Familie nämlich mehr als vier Mal den gesetzlichen Mindestlohn.

Dass ein Corona-Dekret der Regierung die Orangenproduktion für «systemrelevant» erklärt hat, wird die Situation kaum verbessern. Im Gegenteil: Die Lohnverhandlungen für die jetzt beginnende Haupterntesaison dürften nicht mal zum überfälligen Teuerungsausgleich von fast 5% führen. Im Vergleich zu 2019 sinken die Reallöhne also sogar. Auch wird wegen der Abstandsregeln auf den Plantagen weniger Personal rekrutiert als in vergangenen Jahren, was den Produktivitätsdruck weiter erhöht. Zudem haben die als Saisonniers angestellten LDC-Pflücker*innen keinen Zugang zu den Gesundheitsleistungen des Konzerns.

Zur Verbesserung dieser Situation muss LDC seiner Sorgfaltspflicht nachkommen und im Minimum den gesetzlich festgelegten Mindestlohn auch auf seinen Zulieferbetrieben sicherstellen. Mittelfristig braucht es für alle Pflückenden aber existenzsichernde Löhne. Zudem müssen in der Schweiz ansässige Unternehmen wie LDC die in den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verankerte Sorgfaltsprüfung umsetzen, wie dies die Konzernverantwortungsinitiative fordert.

Mehr Infos hier oder hier, oder bei:

Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch

Silvie Lang, Expertin für Agrarrohstoffhandel, 044 277 79 10, silvie.lang@publiceye.ch

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