Gutachten zeigt: Schweizer China-Politik braucht dringenden Neustart

Noch vor Jahresende soll der Bundesrat seine China-Strategie verabschieden. Derweil mehren sich alarmierende Berichte über die dortige Menschenrechtssituation, besonders weil die uigurische Bevölkerung systematisch Zwangsarbeit leisten muss. Das Freihandelsabkommen (FHA) mit China bietet der Schweiz aber keine Möglichkeit, den Import von Produkten aus Zwangsarbeit oder Zollvergünstigungen dafür zu verhindern. Zu diesem Schluss gelangt ein neues Rechtsgutachten.

Die Corona-Krise zeigt eindrücklich die starke wirtschaftliche Abhängigkeit der europäischen Staaten von China. Von dort stammen zum Beispiel die meisten in der Schweiz verkauften Schutzmasken. Ob sie aus Zwangsarbeit stammen? Eine Recherche der New York Times ergab jedenfalls, dass zahlreiche chinesische Masken-Hersteller auf Zwangsarbeit setzen. So werden in der chinesischen Provinz Ostturkestan (Xinjiang) mindestens eine Million Uigurinnen und Uiguren in Lagern festgehalten und Zehntausende zur Arbeit in Zuliefer-Fabriken von internationalen Markenfirmen gezwungen.

Das aktuelle Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und China bietet keinerlei Gewähr, dass keine Produkte aus Zwangsarbeit in die Schweiz gelangen und sogar Zollvergünstigungen erhalten. Denn es «enthält keine Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte», wie ein neues Rechtsgutachten des Berner Professors und Handelsexperten Thomas Cottier festhält.

Keine handelspolitische Sanktionsmöglichkeit

Da im FHA jegliche Verknüpfung zwischen Handel und Menschenrechten fehlt, erachtet Cottier die Chancen für Vertragsanpassungen bezüglich Menschenrechtsschutz als gering. Das vom Bundesrat immer wieder bemühte Abkommen über die Zusammenarbeit in Arbeitsfragen, das mit dem FHA in Kraft trat, biete bei systematischer Zwangsarbeit keine Handhabe. Unklar ist demnach sogar, ob dieses Parallelabkommen völkerrechtlich überhaupt bindend ist.

Da das FHA mit China auf WTO-Recht beruht, hätte die Schweiz zwar die Möglichkeit, bei Produkten aus Gefangenenarbeit auf den Streitbeilegungsmechanismus der WTO zurückzugreifen. Da sich die WTO-Rechtsprechung wesentlich auf Präzedenzfälle stützt und noch keine Entscheide zu Zwangsarbeit vorliegen, scheint diese Option jedoch aussichtslos, zumal die äusserst schwierige Beweislast jener Partei obliegt, die das Schiedsgericht anruft.

Das Gutachten empfiehlt daher, dass die Schweiz die Grundlagen ihrer Menschenrechtspolitik künftig im Aussenwirtschaftsrecht festlegt. Hierfür sei ein neues Aussenwirtschaftsgesetz denkbar, welches in einem demokratischen Prozess die Voraussetzungen definiert, unter denen internationale Verträge auszuhandeln seien.

Neustart der Schweizer China-Politik gefordert

Damit bestätigt Cottier die Befürchtungen, welche Alliance Sud, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Public Eye schon vor Abschluss des FHA formulierten. Das bundesrätliche Motto vom «Wandel durch Handel» gilt im Fall von China längst als überholt. Die Schweiz muss gegenüber China den Schutz der Menschenrechte und der eigenen Werte zwingend ins Zentrum stellen. Zu diesem Schluss kommt auch der jüngste Lagebericht des Schweizer Nachrichtendienst. Ende Jahr wird der Bundesrat seine erste offizielle China-Strategie verabschieden. Alliance Sud, die GfbV und Public Eye fordern diesbezüglich die Priorisierung der Menschenrechte gegenüber kurzfristigen Wirtschaftsinteressen.

Informationen und Auskunft:

Angela Mattli, Kampagnenleiterin, Gesellschaft für bedrohte Völker, Tel. 079 378 54 30

Isolda Agazzi, Bereich Handel und Investitionen, Alliance Sud, Tel. 079 434 45 60

Thomas Braunschweig, Verantwortlicher Handelspolitik, Public Eye, Tel. 044 277 79 11

Zum Rechtsgutachten von Prof. Thomas Cottier

Zur GfbV-Kampagne #NoComplicity: Menschenrechte in China