Missstände bei H&M-Zulieferern: Fabrikpersonal in Bulgarien verdient ohne Überstunden nicht mal einen Zehntel des Existenzlohns

Neue Recherchen von Public Eye und der Clean Clothes Campaign in sechs H&M-Produktionsbetrieben decken massive Missstände auf. Bei Koush Moda, einem „Gold Supplier“ von H&M aus Bulgarien, berichten Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter gar von 12-Stunden-Schichten an sieben Tagen in der Woche. Ohne diese Überstunden kämen sie nicht mal auf den gesetzlichen Mindestlohn, der jedoch auch nur knapp über der Armutsgrenze liegt.

Zwischen März und Juni 2018 haben Rechercheteams der internationalen Clean Clothes Campaign über 60 Arbeiterinnen und Arbeiter in Bulgarien, Indien, Kambodscha und der Türkei nach ihren Löhnen und Arbeitsbedingungen befragt. Alle arbeiten in Vorzeige-Zulieferfabriken von H&M, die der Modekonzern als „Gold-“ oder „Platinum Supplier“ bezeichnet. In Indien und der Türkei verdienen diese Arbeiterinnen und Arbeiter demnach ein Drittel jenes Lohns, der als existenzsichernd gilt. In Kambodscha ist es weniger als die Hälfte und in der bulgarischen Fabrik erhalten die Interviewten in regulärer Arbeitszeit sogar weniger als zehn Prozent eines existenzsichernden Lohns.

Während der schwedische Modekonzern 2017 wieder 2,6 Milliarden Euro Jahresgewinn gemacht hat, sagt ein/e Arbeiter/in* einer H&M „Gold“-Zulieferfabrik in Indien:

„Die Löhne sind so niedrig, dass wir Überstunden machen müssen, um wenigstens unsere Grundbedürfnisse zu decken.“

In drei der sechs untersuchten Fabriken überschreiten die Überstunden regelmässig das gesetzlich zulässige Höchstmass, Sonntagsarbeit ist in allen gängige Praxis. „Wir betreten die Fabrik um 8 Uhr früh, aber wissen nie, wann wir gehen dürfen. Manchmal wird es 4 Uhr morgens“, berichtet ein/e bulgarische/r NäherIn der Fabrik „Koush Moda“ – ebenfalls ein strategischer „Gold“-Zulieferer von H&M. Dort liegt der Lohn für die reguläre Arbeitszeit sowohl unter dem gesetzlichen Mindestlohn als auch unter der Armutsgrenze.

Hungerlöhne, exzessive Überstunden und die zusätzliche Belastung durch den eigenen Haushalt führen bei den Betroffenen häufig zu Mangelernährung und Burnouts. Jede dritte befragte Person in Indien und zwei Drittel der Interviewten in Kambodscha sind am Arbeitsplatz schon einmal in Ohnmacht gefallen. Eine Arbeiterin aus Indien berichtete, dass sie dabei auf eine Maschine gefallen war und aufgrund innerer Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Die Interviews wurden im Rahmen der Kampagne ‚Turn Around H&M‘ geführt. Diese fusst auf der Tatsache, dass H&M sein 2013 gegebenes Versprechen nicht einhält. Damals verkündete der Konzern: „Bis 2018 sollen alle strategischen Zulieferer Lohnstrukturen installiert haben, um einen Living Wage zu zahlen. Bis dahin wird das 850.000 Textilarbeiterinnen und -Arbeiter betreffen“. Aufgrund dieser Aussage wurden in der neuen Studie lediglich Fabriken untersucht, denen H&M seinen Gold- oder Platin-Status verliehen hat.

Zusammen mit der Clean Clothes Campaign fordert Public Eye von H&M statt der ewig gleichen Marketing-Versprechen endlich eine reale Steigerungen der Hungerlöhne in seinen Lieferketten. Dazu braucht der Konzern einen verbindlichen Massnahmenplan mit zeitlich festgelegten Zielen, bis wann die Löhne um wieviel erhöht sein müssen.

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Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
David Hachfeld, Textilexperte, 044 277 79 14, david.hachfeld@publiceye.ch

*Zum Schutz vor Repressionen wurden alle Quellen der Studie anonymisiert.