Moderne Sklaverei bei Nestlés Kaffeelieferanten
Zürich, Lausanne, 18. Juni 2025
Das Wichtigste in Kürze:
- Exklusive Recherchen dokumentieren in Nestlés brasilianischer Kaffee-Lieferkette unter anderem Schuldknechtschaft und entwürdigende Arbeitsbedingungen, was für die Behörden den Tatbestand der “modernen Sklaverei” erfüllt.
- Der Kaffee der betroffenen Farmen wurde vom 4C-Standard oder von Nespresso entwickelten Programm AAA als “verantwortungsvoll” beschafft zertifiziert.
- Nestlé weiss schon seit Jahren um eklatante Missstände bei brasilianischen Lieferanten und gelobte Besserung, die mehr denn je auf sich warten lässt.
Am 3. Mai 2023 befreiten Beamte des Arbeitsministeriums im brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo zehn Erntearbeiter aus «sklavenähnlichen Verhältnissen». Gemäss dem Public Eye exklusiv vorliegenden Inspektionsbericht schufteten die unterbezahlten Arbeiter auf der Kaffeefarm Mata Verde unter «entwürdigenden Bedingungen» und in Schuldknechtschaft. Sie verrichteten also international geächtete Zwangsarbeit. Die Behörden stellten zudem "Drohungen, Betrug, Täuschung oder Zwang" fest. Zwei Betroffene, die wir interviewen konnten, fürchteten gar um ihr Leben und sind deshalb von der Farm geflohen.
Mata Verde lieferte ihren Robusta-Kaffee an die Grosskooperative Cooabriel, ein Direktlieferant von Nestlé und offizielle Partnerin vom Nescafé Plan, dem wichtigsten Nachhaltigkeitsprogramm der Weltmarke. Produziert wurde der Kaffee nach dem 4C-Standard, der Nestlés Kaffee als "verantwortungsvoll beschafft" zertifiziert. Erst nach dem Bekanntwerden der staatlichen Rettungsaktion wurde der Betrieb aus dem 4C-System ausgeschlossen. Wie unsere Recherchen zeigen, wurden 2022 auf zwei anderen Cooabriel-Farmen schwere Verstösse gegen das brasilianische Arbeitsrecht festgestellt. Zudem überführten die Behörden im Juli 2023 eine Farm der modernen Sklaverei, die durch Nespressos AAA-Programm produzierte. Nestlé’s Lieferant hat die Geschäftsbeziehungen zur Farm erst eineinhalb Jahre später nach entsprechenden Hinweisen von Public Eye abgebrochen.
Die ersten Sklaverei-Fälle in Nestlés brasilianischer Kaffee-Lieferkette wurden bereits 2016 bekannt, worauf der Schweizer Konzern eine diesbezügliche « Nulltoleranz » ankündigte. 2019 stellte Nestlé in Brasilien vollständig auf zertifizierten (also vorgeblich «verantwortungsvoll beschafften») Kaffee um. Um die eigenen Versprechen endlich einzulösen, braucht es rigorose Kontrollen sowie wirksame Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, umgesetzt in Kooperation mit lokalen Arbeiterorganisationen. Zur Respektierung der Arbeiter- und Menschenrechte gehört auch ein existenzsichernder Verdienst für alle Erntearbeiter* innen und Kaffeeproduzent*innen. Die kürzlich eingereichte Konzernverantwortungsinitiative verpflichtet Unternehmen zu entsprechenden menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und macht sie bei Verstössen haftbar.
Mehr Infos hier oder bei
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin, 044 277 79 04, carla.hoinkes@publiceye.ch