«Paraquat Papers»: Wie Syngenta den Profit über die Produktsicherheit gestellt und dadurch Tausende von Toten toleriert hat

Der Basler Agrochemieriese Syngenta und seine Vorgängerfirma wissen schon seit Jahrzehnten, dass die den Paraquat-Produkten aus Sicherheitsgründen beigemischte Dosis an Brechmittel unwirksam ist. Eine Erhöhung des Brechmittel-Anteils lehnte die Konzernleitung ebenso wie andere Massnahmen stets ab – primär aus Kostengründen. Das belegen Hunderte interne Firmendokumente, die Public Eye zusammen mit Unearthed, der britischen Investigativabteilung von Greenpeace, exklusiv analysiert hat. Sie stammen aus einem US-Verfahren gegen Syngenta, in dem auch ein Whistleblower aussagt, der über 20 Jahre für die Sicherheit der Paraquat-Produkte zuständig war.

Ein Schluck ist meist schon tödlich: Das von Syngenta hergestellte Gramoxone mit dem Wirkstoff Paraquat ist nicht nur einer der weltweit gefährlichsten Unkrautvernichter, es gibt im Vergiftungsfall auch keinerlei Gegenmittel dazu. Seit seiner Markteinführung 1962 durch ICI, die britische Vorgängerfirma von Syngenta, hat das Pestizid nach Expertenschätzungen Zehntausende von Todesfällen verursacht. Die weitaus meisten geschehen durch Unfälle mit ungesicherten Behältern oder Selbstmorde. Und viele davon betreffen Kinder. Kein Wunder also, ist Paraquat heute in über 50 Ländern verboten – in der Schweiz seit 1989. Um zu verhindern, dass Behörden ihr Kernprodukt auch aus Schlüsselmärkten wie den USA verbannen, versuchten erst ICI und dann Syngenta dessen Sicherheit zu erhöhen. Dies unter anderem durch Beimischung eines von ICI/Syngenta patentierten Brechmittels mit der Bezeichnung PP796.

Ein von 1986 bis 2007 für die Produktsicherheit von Paraquat zuständiger Toxikologe machte seine Vorgesetzten 1990 erstmals darauf aufmerksam, dass die zentrale interne Studie, auf der die PP796-Konzentration heute noch beruht, «unwissenschaftlich» und «manipuliert» sei. Auf verlässlicheren Daten basierende Laborversuche würden zeigen, dass es für den gewünschten Brecheffekt bis zu zehn Mal mehr PP796 braucht. Dennoch haben Syngenta und ihre Vorgänger die Erhöhung des Brechmittelanteils wie auch eine Verdünnung oder Granularisierung, was das Produkt ebenfalls sicherer gemacht hätte, wiederholt abgelehnt – vor allem aus Kostengründen. 1987 heisst es in einem ICI-Memo, solche Massnahmen «würden die Konzerngewinne zerstören». Trotz mehrfacher Warnung der eigenen Wissenschaftler und konkreter Evidenz aus vielen Ländern zur Tödlichkeit von Gramoxone lobbyierte Syngenta bei der Welternährungsorganisation (FAO) für die Verankerung des unwirksamen Brechmittelanteils als globalen Paraquat-Standard, der auch für Nachahmer-Produkte bis heute als Massstab gilt.

Die von Public Eye und Unearthed exklusiv ausgewerteten «Paraquat Papers» belegen diese brisanten Vorwürfe detailliert. Sie beinhalten unter anderem wissenschaftliche Daten, interne Memos und Mailwechsel. Dass diese vielen hundert Dokumente nun ans Tageslicht kommen, ist einem US-Gerichtsverfahren gegen Syngenta zu verdanken, in dem der erwähnte Toxikologe Mitte Mai aussagen wird. Sein Motiv dafür beschrieb er 2019 in einem Mail an die FAO: «Ich habe nichts gegen Syngenta. Ich will nur, dass das nächste Kind, dass versehentlich einen Schluck Paraquat trinkt, eine bessere Überlebenschance hat.»

Mehr Infos im englischen Original-Report oder bei

Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch

Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin, 044 277 79 04, carla.hoinkes@publiceye.ch

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