Recherche von Public Eye zeigt: Die Schweiz tappt bei der Sanktionierung russischer Kohle im Dunkeln

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die Schweiz in den letzten 20 Jahren zu einer zentralen Drehscheibe für russische Kohle entwickelt. Drei Viertel der Exporte aus Russland werden heute in Zug und der Ostschweiz gehandelt, wie eine exklusive Untersuchung von Public Eye zeigt. Das Zuger «Coal Valley» beherbergt die grössten Bergbaukonzerne Russlands, die jährlich über 225 Millionen Tonnen Kohle produzieren – darunter auch die vom Oligarchen Andrei Melnitschenko gegründete SUEK. Obwohl seit Ende April ein Embargo für russische Kohle in Kraft ist, weiss das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bis heute nicht einmal, welche Unternehmen in der Schweiz ansässig sind oder wem sie gehören. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die Schweiz ihre Scheuklappen ablegen und die Regulierung des Rohstoffhandels in Angriff nehmen muss.

Rückzugsort für Oligarchen und ihre Vermögen, Drehscheibe für den Handel mit russischem Öl und Getreide: Die Schweiz unterhält seit Jahrzehnten enge Beziehungen zum Regime von Wladimir Putin, die durch den Krieg in der Ukraine ins Rampenlicht gerückt sind. Doch ein anderer strategischer Rohstoff - der für kometenhafte Aufstiege und gefährliche Verbindungen zur Macht steht - blieb bislang im Schatten: die Kohle. Seit dem 27. April sind die Einfuhr, der Verkauf und die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit russischer Kohle in der Schweiz verboten, Ende August laufen die Übergangsbestimmungen aus. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ist zuständig für die Einhaltung dieses von der Europäischen Union übernommenen Embargos; doch es verfügt bis heute nicht einmal über eine Liste der Unternehmen, die in dieser äusserst undurchsichtigen Branche tätig sind.  

Public Eye hat sich dazu entschieden, auch diesen toten Winkel des Schweizer Rohstoffhandelsplatzes zu beleuchten. Wir haben die kantonalen Handelsregister durchforstet und mittels öffentlich zugänglicher Daten das helvetische «Kohledreieck» kartographiert, das aus 240 Firmen in Zug, Genf und Lugano besteht, und in dem Zug die russische Achse bildet. Die Stadt, die für ihre Steuervergünstigungen bekannt ist, beherbergt 52 Kohleunternehmen, von denen mindestens 12 direkt von russischen Staatsbürger*innen kontrolliert werden. Unsere Recherchen haben ergeben, dass sich die neun grössten russischen Kohleförderer seit den frühen 2000er Jahren in Zug oder der Ostschweiz niedergelassen haben -  nur einer hat seitdem seine Zelte wieder abgebrochen. Diese von uns porträtierten Unternehmen, die mit einem schlichten Büro oder einem unauffälligen Schild in einer Strasse voller Briefkastenfirmen vertreten sind, konkurrieren mit Glencore auf dem Kohlemarkt und handeln von der Schweiz aus mit etwa 75% der exportierten russischen Kohle.

Diese Unternehmen befinden sich im Besitz von russischen Oligarchen oder reichen Geschäftsleuten: dazu gehört auch die Sibirische Kohleenergiegesellschaft (SUEK), Russlands grösster Kohleproduzent, deren Handelsniederlassung seit 2004 in Zug domiziliert ist. Am Tag bevor Brüssel Sanktionen gegen ihn verhängte, machte Andrei Melnitschenko seine Frau zur Begünstigten des Trusts, der Eigentümer der SUEK ist. Ein juristischer Winkelzug, der vom SECO genehmigt wurde. Am 10. Juni hat der Bundesrat indes das 6. Sanktionspaket der EU übernommen und damit nach ihrem Mann auch Aleksandra Melnitschenko auf die schwarze Liste gesetzt.

Obwohl die Schweiz wegen ihrer laschen Umsetzung der Sanktionen unter Beschuss steht, zögerte der Nationalrat nicht, am 9. Juni mit 103 zu 80 Stimmen eine Motion abzulehnen, die die Schaffung einer Aufsichtsbehörde für den Rohstoffsektor forderte. Eine solche branchenspezifische Behörde könnte jedoch, ähnlich wie die Finanzmarktaufsicht Finma, für mehr Transparenz sorgen indem sie Lizenzen an Unternehmen erteilt und die Einhaltung der Lizenzbedingungen überprüft, insbesondere um die wirtschaftlich Berechtigten dieser Firmen zu identifizieren. Wenn es die 2014 von Public Eye erdachte Rohstoffmarktaufsicht Rohma gäbe, wüsste das SECO heute, welche im Kohlegeschäft tätigen Unternehmen in der Schweiz angesiedelt sind und wer deren Eigentümer sind. Damit wäre es auch besser auf das Embargo auf russisches Öl vorbereitet, welches der Bundesrat letzte Woche im Fahrwasser der EU verabschiedet hat.

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