Was Inditex unter «Respekt» versteht

Der Textilgigant Inditex, zu dem auch die Marke Zara gehört, präsentiert sich gerne als transparentes Unternehmen, dem das Wohlergehen seiner Näherinnen besonders am Herzen liegt. Eine Recherche von Public Eye zu den Produktionsbedingungen eines symbolträchtigen Zara-Hoodies gewährt einen Blick hinter diese Kulisse: Dumpinglöhne, exzessive Überstunden, prekäre Arbeitsverträge. Für den massiven Preisdruck, den der Modekonzern auf seine Zulieferer ausübt, bezahlen am Schluss die Arbeiterinnen und Arbeiter. Laut einer mit Partnern erstellten Schätzung verdient Inditex an jedem Kleidungsstück zwei Mal mehr als alle in der Herstellung involvierten Personen zusammen.

Public Eye wollte die Marketingfloskeln von Inditex einem Faktencheck unterziehen und hat dazu die Spur eines Kapuzenpullovers aus der Nachhaltigkeitskollektion «Join Life» zurückverfolgt ─ bis ins türkische Izmir. Der Hoodie-Aufdruck «R-E-S-P-E-C-T: find out what it means to me», eine Referenz an den Song von Soulkönigin Aretha Franklin, tönte vielversprechend. Unsere Recherchen entlang der Lieferkette zeigen einen immensen Preisdruck, den der Textilgigant auf seine Produktionsstätten ausübt: Eine mit der Herstellung von 20‘000 (in der Schweiz für je 45,90 CHF verkauften) Hoodies beauftragte Fabrik verdient pro Stück gerade mal neun türkische Lira (1,77 CHF). Und die Druckerei dürfte gerade mal rund 10 Rappen pro Print erhalten haben. Angesichts solcher Tiefstpreise bleibt den Fabrikbesitzern als Ausweg nur, ihrem Personal weniger zu zahlen, als dieses verdienen müsste, oder es länger arbeiten zu lassen, als es sollte.

Die Löhne, von denen man uns berichtet hat, liegen zwischen 2000 und 2500 Lira (340-420 CHF). Das entspricht etwa einem Drittel des von der Clean Clothes Campaign errechneten Existenzlohns von 6130 Lira. Dabei steht im Verhaltenskodex von Inditex, dass ihre Zulieferer Gehälter zahlen sollen, die in jedem Fall reichen, um zumindest die «Grundbedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familien sowie alle übrigen angemessenen Bedürfnisse zu decken.» In einer der von uns besuchten Fabriken lief die Produktion offenbar rund um die Uhr, aufgeteilt in nur zwei Schichten. Folglich dürfte auch nachts zwölf Stunden gearbeitet werden, was nicht nur Inditex‘ internen Richtlinien, sondern auch dem türkischen Gesetz widersprechen würde. Dieses beschränkt nächtliche Arbeitszeit auf maximal 7,5 Stunden. In einer der Produktionsstätten arbeite ein beträchtlicher Teil des Personals überdies auf der Basis von Tagesverträgen, also ohne Gewissheit, ob sie am Tag darauf noch eine Arbeit haben. Aus Angst, den Auftraggeber oder die Anstellung zu verlieren, wollte sich kaum einer der Befragten zitieren lassen.

Da der Fast Fashion-Riese keinerlei Zahlen zu den Löhnen seiner Lieferanten oder seinen Einkaufspreisen veröffentlicht, haben wir zusammen mit unseren Partnern von der Clean Clothes Campaign und BASIC detailliert nachgerechnet, wie sich der Verkaufspreis des Hoodies in etwa zusammensetzt. Das Resultat: Inditex sackt pro Stück 4,86 CHF ein, was ungefähr doppelt so viel ist, wie alle übrigen in der Herstellung involvierten Personen zusammen daran verdienen (2,40 CHF) – von den indischen Baumwollfeldern über die Spinnerei im zentraltürkischen Kayseri bis in die Fabriken von Izmir. Nur 4,19 CHF pro Pullover wären nötig, um aus den aktuellen Hungerlöhnen garantierte Existenzlöhne zu machen. Im vergangenen Rekordjahr belief sich der Nettogewinn von Inditex auf sagenhafte 3,44 Milliarden Euro. Der Branchenprimus muss die Herstellerinnen und Hersteller seiner Produkte endlich an diesem Erfolg teilhaben lassen.

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Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
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