WTO: Schweiz blockiert Lockerung des Patentschutzes bis zum bitteren Ende

Die Welthandelsorganisation (WTO) steuert bei der Bewältigung der Corona-Krise auf einen grossen politischen Misserfolg zu. Zum Auftakt ihrer 12. Ministerkonferenz am Sonntag können sich die Mitgliedstaaten offenbar nicht auf die Forderung Indiens und Südafrikas einigen, die geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe, Tests und Medikamente gegen Covid-19 auszusetzen. Durch ihre systematische Blockadepolitik steht die Schweiz an vorderster Front dieses multilateralen Versagens, das keine kohärente Lösung für einen gerechten Zugang zu Mitteln zur Bekämpfung von Gesundheitskrisen bietet.

Nächste Woche wird in Genf die Glaubwürdigkeit der WTO und ihrer Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala auf dem Prüfstand stehen. Auf der Tagesordnung der 12. Ministerkonferenz (MC12) vom 12. bis 15. Juni steht unter anderem die TRIPS-Ausnahmeregelung («TRIPS Waiver»), benannt nach dem von Indien und Südafrika im Oktober 2020 gestellten Antrag auf vorübergehende Suspendierung der Rechte an geistigem Eigentum für die Herstellung und Vermarktung von Impfstoffen, Tests und Medikamenten während Covid-19. Dieser Antrag wurde von rund 100 Ländern sowie zahlreichen internationalen Organisationen und Persönlichkeiten unterstützt, doch die Staaten, in denen grosse Pharmaunternehmen ansässig sind, darunter die Schweiz, haben ihn systematisch blockiert.

Sollte die MC12-Konferenz am Schluss doch noch eine Einigung erzielen, wird sie angesichts der letzten veröffentlichten Texte weit von einer allgemeinen Suspendierung der Rechte an geistigem Eigentum entfernt sein. Die Einigung wird höchstens auf bereits existierende Instrumente zurückgreifen, wie die Zwangslizenz, die es einem Staat ermöglicht, die Vermarktung von Generika trotz eines Patents zu erlauben. Dagegen sind andere Exklusivrechte, wie Geschäftsgeheimnisse oder der Schutz von Zulassungsdaten, nachweislich hinderlich für einen fairen Zugang und Technologietransfer. Gegen sie kann auch eine Zwangslizenz nichts ausrichten. Darüber hinaus müsste man Produkt für Produkt und Land für Land vorgehen, ganz zu schweigen vom diplomatischen und kommerziellen Druck, der mit solchen Schritten systematisch einhergeht. Das einzige Zugeständnis auf derselben Ebene wie eine Ausnahmeregelung ist die Möglichkeit für ein berechtigtes Land, einen unter Zwangslizenz hergestellten Impfstoff wieder zu exportieren, allerdings nur in sehr begrenztem Umfang.

Dieser Text wird als «Kompromiss» zwischen den Mitgliedstaaten präsentiert, während er diesen in Tat und Wahrheit von den westlichen Ländern einschliesslich der Schweiz aufgezwungen wurde. Solange es bei der MC12 nicht zu einer Kehrtwende kommt, wird er die ungleiche Verteilung der Mittel zur Bekämpfung von Covid-19 nicht antasten. Erstens betrifft er nur Impfstoffe, während der Zugang zu Behandlungen und diagnostischen Tests aufgrund der Exklusivrechte von Pfizer, Roche und Co. ebenso ungleich verteilt ist. Zweitens schliesst er viele Länder aus kommerziellen oder geopolitischen Gründen von der Möglichkeit aus, ihn in Anspruch zu nehmen, obwohl die WTO-Regeln überall und ohne Diskriminierung gelten sollten. Nicht zuletzt baut er neue Hürden für die in Frage kommenden Länder auf, die diesen Mechanismus nutzen wollen, und schafft damit einen gefährlichen Präzedenzfall, der auch die Reaktion auf künftige Pandemien beeinträchtigen wird.

Ein solches Abkommen wirft ein schlechtes Licht auf westliche Länder wie die Schweiz, die von sich behaupten, die Menschenrechte – darunter das Recht auf Gesundheit – zu achten. Als Gastgeberland der MC12, das darüber hinaus seit März dieses Jahres den Vorsitz des obersten Entscheidungsgremiums der WTO innehat, verfügt die Schweiz über die notwendigen Hebel, um das Endergebnis positiv zu beeinflussen. Obwohl sie mit Impfstoffen, Behandlungen und Tests (über-)versorgt ist, zieht sie es vor, den Interessen der Pharmakonzerne den Vorrang zu geben. So können diese weiterhin darüber entscheiden, wer wie viel, wann und zu welchem Preis erhält. Covid-19 hat gezeigt, dass die WTO nicht über geeignete Regeln verfügt, um effizient auf eine globale Gesundheitskrise zu reagieren, und sie hat achtzehn Monate lang nichts unternommen, um solche Instrumente einzuführen.

Für weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Fachverantwortliche «Handel und Investitionen» Alliance Sud, isolda.agazzi@alliancesud.ch; Tel.: +41 79 434 45 60

Patrick Durisch, Experte für Gesundheitspolitik, Public Eye, patrick.durisch@publiceye.ch, Tel.: +41 21 620 03 06