Die Pharma-Lobby torpediert eine Motion von öffentlichem Interesse

Mit einer Abstimmung von 96 gegen 92 hat der Nationalrat diesen Donnerstag, 26. September eine parlamentarische Motion äusserst knapp abgelehnt, die eine Gesetzeslücke im Medikamentenbereich schliessen sollte. Die Motion basiert auf einer juristischen Beurteilung von Valérie Junod, Expertin und Professorin im Arzneimittelrecht an der Universität Genf. Der Bundesrat hatte dem Anliegen der Motion bereits zugestimmt, doch die Pharma-Lobby hat hinter den Kulissen daran gearbeitet, die Motion bereits in der ersten Debatte vom Tisch zu wischen – entgegen dem öffentlichen Interesse und entgegen der eigenen Verpflichtungen der Pharma.

Die Motion 19.3319 – letzten März von Angelo Barrile (SP/ZH) eingereicht – verlangt die Korrektur einer offensichtlichen gesetzliche Inkohärenz in Bezug auf den schnellstmöglichen Vertrieb von Generika im Falle einer erteilten Zwangslizenz im öffentlichen Interesse. Die aktuellen gesetzlichen Grundlagen stellen ein Hindernis in diesem Bereich dar (etwa bezüglich des Unterlagenschutzes), welches es zu korrigieren gilt (siehe unten: «Um welche Inkohärenz geht es?»). Der Bundesrat hatte diese Motion im Mai 2019 angenommen.

Angeführt von Nationalrat Sebastian Frehner (SVP/BS) – bekannt als eifriger Verteidiger der Brancheninteressen – hat die Pharma-Lobby hart daran gearbeitet, die Motion zu Fall zu bringen. Diese Opposition ist umso erstaunlicher, als selbst Interpharma - die Dachorganisation der grossen Pharmaunternehmen - anerkennt, dass eine Zwangslizenz im Interesse der Öffentlichkeit Vorrang vor dem Unterlagenschutz geniesst; in anderen Worten ausgedrückt, dass dieser kein Hindernis in so einem Fall darstellen darf. Die Motion wollte ausserdem eine Ausnahme im Unterlagenschutz vorsehen, welche einzig im sehr spezifischen Fall der Gewährung einer Zwangslizenz im öffentlichen Interesse zum Tragen kommt.

Die Pharma-Lobby, die unter der Bundeshauskuppel sehr präsent ist – wie z.B. durch die obskure «Interessensgemeinschaft biomedizinische Forschung und Innovation » (IG Biomed) mit mehreren Parlamentsmitgliedern und einem von Interpharma geleiteten Sekretariat*  - hält sich somit nicht an ihre eigenen öffentlichen Verpflichtungen.

Mit der Annahme dieser Motion hätte der Nationalrat einen politischen Weg einschlagen können, der die Schweiz als Macherin und sogar für einmal als Pionierin zeigt, indem sie diese offensichtliche Inkohärenz korrigiert. Denn die Europäische Union, die selbst über einen Unterlagenschutz ohne Ausnahmen und Sonderfälle verfügt, befindet sich im gleichen Dilemma, und die Schweiz hätte hier eine Vorreiterrolle einnehmen können. Im Endeffekt dient eine kohärente Gesetzgebung den Interessen der Patientinnen und Patienten.

Stattdessen beobachten wir, dass die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter es erneut verpasst haben, ein gewisses Gleichgewicht zwischen den öffentlichen und privaten Interessen herzustellen – notabene in einem Bereich, der die Schweizer Bevölkerung vor den bevorstehenden nationalen Wahlen vorrangig beschäftigt:  dem nachhaltigen Zugang zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung. Die Knappheit des Resultats zeigt aber, dass das Anliegen der Motion für eine kohärente Gesetzgrundlage in diesem Bereich breit unterstützt wird.

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* Weiterführend zu diesem Thema: Der Artikel «Die weitreichende Macht der Pharmalobby», erschienen in der Ausgabe Nr. 12 vom Public Eye Magazin – Juni 2018 (Seite 12).

Um welche Inkohärenz geht es?

Das Bundespatentgesetz sieht das Instrument der Zwangslizenzierung vor, mit dem der Staat die Kommerzialisierung eines Generikums, das günstiger als das patentierte Original ist, gegen Entgelt für den Patentinhaber erlauben kann. Die Zwangslizenz ist ein juristisches, international und national rechtskonformes Instrument, welches es ermöglicht, eine durch ein Patent garantierte Monopolstellung temporär aufzuheben, um die öffentlichen Interessen wiederherzustellen. Zum Beispiel falls der Zugang zu einem Medikament nicht mehr für die Gesamtheit der Bevölkerung garantiert ist, in Notsituationen oder um die öffentlichen Ausgaben zu entlasten.

Auf der anderen Seite sieht das Heilmittelgesetz vor, dass der Produzent eines Generikums sich während zehn Jahren nach der Kommerzialisierung des Originalprodukts nicht auf die Zulassungsdaten des Originalprodukts berufen darf: das wird als Unterlagenschutz bezeichnet. Hierzu gibt es keine Ausnahmen. Das bedeutet, dass - selbst wenn das Bundespatentgericht sich nach einer gründlichen Untersuchung dazu entscheiden würde, eine Zwangslizenz für ein bestimmtes Medikament zu gewähren - der Produzent des Generikums Schwierigkeiten haben dürfte, die Zulassung für sein Produkt zu erhalten, was wiederum die Markteinführung verspäten würde. Dieser Verzug ist nicht im öffentlichen Interesse und widerspricht der Entscheidung, auf eine Zwangslizenz zurückgreifen zu können, bei der gerade dieses öffentliche Interesse geltend gemacht wird.

Die aktuelle Gesetzgebung unterscheidet nicht zwischen einem gewöhnlichem Zulassungsfall und der Sondersituation einer Zwangslizenz im öffentlichen Interesse. Es ist diese Inkohärenz, welche es zu korrigieren gilt, indem im Gesetz präzisiert wird, dass der Unterlagenschutz im Fall einer Zwangslizenz im öffentlichen Interesse nicht zum Tragen kommt.