Lücken in der europäischen Umsetzung des Nagoya-Protokolls

Ein neuer Bericht von Natural Justice und Public Eye zeigt grosse Unterschiede bei der Implementierung des Nagoya-Protokolls in der EU und den Herkunftsländern auf. Die europäische Umsetzung des Protokolls enthält viele Schlupflöcher, welche eine gerechte Vorteilsaufteilung behindern.

Der Bericht «The two worlds of Nagoya» fokussiert auf drei Themenbereiche:  

1. Den “Zeitrahmen”:
Die EU-Regulierung stellt sich auf den Standpunkt, dass eine Verpflichtung zur Vorteilsaufteilung nur bei einer physischen Entnahme genetischer Ressourcen (genetic resources, GR) oder durch den Zugang zu damit zusammenhängendem traditionellem Wissen (associated traditional knowledge, aTK) im Herkunftsland entsteht. Sie beschränkt die Verpflichtung der Nutzer von GRs und aTK auf die Nutzung von Ressourcen, die nach der Ratifizierung des Nagoya-Protokolls durch die EU und die Herkunftsländer im Ursprungsland entnommen wurden. Im Gegensatz dazu legen die meisten Herkunftsländer, wenn nicht alle, das Nagoya-Protokoll anders aus: gemäss ihrer Implementierung entsteht die Verpflichtung zur Vorteilsaufteilung durch die Nutzung von GR und aTK. Diese Auslegung umfasst jede neue Nutzung von GR und aTK nach Inkrafttreten des Nagoya Protokolls oder der nationalen Gesetze zu Zugang und Aufteilung der Vorteile (Access&Benefit-Sharing) des Herkunftslandes, auch wenn die physische Entnahme der Ressourcen vor der Ratifizierung stattgefunden hat (was z.B. bei der Mehrheit der GR und aTK in ex-situ Sammlungen der Fall ist).

2.     Zugehöriges traditionelles Wissen
Die EU-Regulierung schränkt traditionelles Wissen, das unter die Verordnung fällt, durch eine restriktive Definition ein: sie definiert aTK als „traditionelles Wissen einer indigenen oder lokalen Gemeinschaft, welches relevant ist für die Nutzung genetischer Ressourcen und welches als solches in den gegenseitig vereinbarten Bedingungen (mutually agreed terms, MAT) zur Nutzung genetischer Ressourcen beschrieben ist“. Diese Definition, welche nur traditionelles Wissen einschliesst, welches in MAT erwähnt wird, ist problematisch. Sie macht es fast unmöglich, den illegalen Zugang und die Nutzung von traditionellem Wissen zu verfolgen, d.h., die Nutzung von traditionellem Wissen ohne vorgängiges Einverständnis (prior informed consent, PIC) und gegenseitiger Vereinbarung.  

3.     Das „Import-Schlupfloch“
Eine bedeutende Lücke in der EU-Regulierung entsteht, weil sie Sorgfaltsprüfungen nur von Nutzern von GR und aTK in der EU verlangt – jedoch nicht beim Verkauf und der Kommerzialisierung von auf GR und aTK basierenden Produkten, welche ausserhalb der EU entwickelt und hergestellt und dann importiert werden.  

Der Bericht „The two worlds of Nagoya“ argumentiert, dass diese Unterschiede zwischen der EU-Regulierung und der Implementierung durch die Herkunftsländer zu Rechtsunsicherheit führt, sowohl für die Anbieter als auch für die Nutzer von GR und aTK. Wenn keine geeigneten Lösungen gefunden werden, könnte dies zu restriktiveren Zugangsregeln durch die Herkunftsländer führen. Der Bericht schlägt Lösungsansätze für die verschiedenen Akteure vor, damit der Geist der Biodiversitätskonvention und des Nagoya-Protokolls gewahrt werden kann: sie sollen die Rechte der Herkunftsländer und indigener oder lokaler Gemeinschaften schützen, und eine gerechte und ausgeglichene Vorteilsaufteilung gewährleisten.