Positionspapier Landwirtschaftsverhandlungen

Zu den WTO-Verhandlungen über die Landwirtschaft, welche im März 2000 begannen, fordert die Schweizer Koordination für einen gerechten Welthandel, dass die WTO als erstes die Auswirkungen der Beschlüsse von Marrakesch analysiert und die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft umfassend in ihre Beratungen einbezieht. Die sozialen, ökologischen, ethischen und kulturellen Aspekte gehören auf die gleiche Stufe wie ökonomische und handelspolitische Ziele. Das selbe gilt für das Anliegen der Nahrungssicherheit. Die Schweizer Koordination für einen gerechten Welthandel verteidigt ein nachhaltig produzierendes und multifunktionale Leistungen erbringendes Modell der Landwirtschaft. Das Ziel ist eine vielfältige und auf die Qualitätsbedürfnisse der Konsumenten ausgerichtete Nahrungsproduktion in allen Erdteilen.

1. Überprüfung der bisherigen Entwicklung

Bevor im Landwirtschaftsbereich neue Liberalisierungsschritte eingeleitet werden, hat die WTO die Folgen des 1994 in Kraft getretenen Landwirtschaftsabkommens einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Dabei müssen die Ernährungslage in allen Teilen der Erde, die sozialen Bedingungen der Bauernfamilien (im speziellen Frauen und der Kinder auf dem Land), die Situation der Umwelt und die Einhaltung der Menschenrechte unter die Lupe genommen werden. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass geeignete Prüfungsrichtlinien institutionalisiert werden. 

2. Nachhaltigkeit

Die Konzentration und Intensivierung der Produktion an bevorzugten Lagen, massive Landflucht und steigende Erwerbslosigkeit in benachteiligten Gebieten, Verschwendung natürlicher Ressourcen und nicht erneuerbarer Energien sowie irrwitzige Transportdistanzen, das sind die Auswüchse globalisierter Agrarmärkte. Die Schweiz engagiert sich dafür, dass die negativen Folgen untersucht und Vorschläge zu deren Verhinderung oder Beseitigung erarbeitet werden. Dazu muss die WTO insbesondere die Internalisierung der externen Kosten in Betracht ziehen.

3. Multifunktionalität

Unter Multifunktionalität werden die Leistungen der Landwirtschaft zugunsten der Gesellschaft zusammengefasst. Darunter fallen die Vorsorge für die Nahrungssicherheit, die Erhaltung attraktiver ländlicher Räume, die Landschaftspflege, besondere ökologische Leistungen, die Bodenfruchtbarkeit und andere Dienste, mit welchen die Landwirtschaft von der Gesellschaft beauftragt wird. Multifunktionale Landwirtschaft basiert auf nachhaltigen Produktionsmethoden und der Befriedigung der Nahrungsbedürfnisse im Land. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass die Multifunktionalität der Landwirtschaft durch die WTO ausdrücklich anerkannt wird, und verteidigt die agrarpolitischen Instrumente der „Greenbox“.

4.Souveränität und Nahrungssicherheit 

Jedem Land müssen angemessene Massnahmen zugebilligt sein, um in der Nahrungsversorgung ein ausreichendes Mass an Sicherheit für die Bevölkerung anstreben zu können. Zu diesen Massnahmen gehören, wo nötig, auch interne Stützungen für die Landwirtschaft und Schutzmassnahmen an der Grenze. Die Schweiz engagiert sich dafür, dass die WTO Nahrungssicherheit und Souveränität der Länder im Agrarsektor als fundamentale Prinzipien anerkennt. Sie unterstützt die Schaffung einer „food box“, welche den armen Ländern Instrumente in die Hand gibt, um sich durch Förderung nachhaltiger Landwirtschaft, lokaler Märkte, zur Sicherung ländlicher Arbeitsplätze und zur Nahrungsproduktion nach den Bedürfnissen der Bevölkerung eigenständig entwickeln zu können.  

5. Marktzutritt

Der Zutritt von Agrarprodukten aus den ärmsten Ländern in westliche Märkte muss verbessert werden. In der Schweiz wurde 1997 im Rahmen der Zollpräferenzen das Prinzip des freien Markzugangs für zahlreiche Agrarprodukte aus den ärmsten Ländern eingeführt. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass dieses Prinzip in der WTO zum festen Instrumentarium gehört und in den Industrieländern breit angewendet wird.   

6. Angemessenes Schutzniveau

Zahlreiche Entwicklungsländer besassen keinen oder nur einen geringen Schutz gegenüber Importen in den Jahren 1986–1988, die die WTO als Referenzjahre festlegte. Sie haben deshalb im Uruguay-Abkommen keinen ausreichenden Zollschutz anmelden können. Die Schweiz unterstützt die Entwicklungsländer bei den Bestrebungen zur Korrektur dieses Ungleichgewichtes. Die Entwicklungsländer sollen ein Schutzniveau etablieren dürfen, das der oberstenen Bandbreite der Schutzmassnahmen der Industrieländer entspricht. Das erlaubt den Entwicklungsländer, die Überschussbeseitigung zu Dumpingpreisen aus anderen Weltgegenden wirksamer abzuwehren.

7. Exportsubventionen

Die Schweiz engagiert sich, dass alle Exportsubventionen rasch abgeschafft werden, die als ökonomische, ökologische und soziale Dumpingmassnahmen den Weltmarkt verzerren. Exportsubventionen schädigen die Produzenten des Nordens und des Südens. Das Verhöckern überschüssiger Ware drückt weltweit die Preise unter die Produktionskosten. Exportsubventionen verunmöglichen den Produzenten auf ihren angestammten Märkten wettbewerbsfähig zu sein, sie verfälschen die Konkurrenzbedingungen und bremsen die wirtschaftliche Entwicklung.   

8. Gesundheitsnormen und Vorsorgemassnahmen 

Die Mitgliedorganisationen der WTO müssen Importe von Agrarprodukten unterbinden können, von denen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt befürchtet werden. Das Vorsorgeprinzip kehrt die Beweislast um, insofern es einem Land erlaubt, den Import eines Produkts so lange zu verbieten, bis die Unschädlichkeit eines Produktes wissenschaftlich nachgewiesen ist. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass sich die WTO für das Vorsorgeprinzip stark macht und es ausdrücklich in den STS- und TBT Bestimmungen (Sanitäre und phytosanitäre Massnahmen sowie Technische Handelshemmnisse) verankert.   

9. Produktedeklaration und ökologische und soziale Label 

Konsumentinnen und Konsumenten müssen Produkte nach Herstellungsmethode und Herkunft auslesen können. Die Deklaration in- und ausländischer Nahrungsmittel sowie ökologische und soziale Label sind Instrumente, die diesem Zweck dienen und durch die WTO-Vereinbarungen über technische Handelshemmnisse nicht eingeschränkt werden dürfen. Die Schweiz setzt sich dafür in den nächsten Verhandlungen ein.   

10. Patentierbarkeit von Lebewesen 

Die Schweiz muss zur Patentierbarkeit von Lebewesen eine ablehnende Verhandlungsposition einnehmen. Sie unterstützt die Klärung der Bestimmungen im TRIPS-Abkommen in diesem Sinn. Sie verteidigt gleichzeitig das Recht der WTO-Mitgliedstaaten, das Urheberrecht über Pflanzensorten und Tierrassen selbständig zu regeln. Allgemein plädiert die Schweiz dafür, dass alle Aspekte der Biodiversität ausserhalb der WTO geregelt werden. Sie setzt sich im TRIPS-Abkommen dafür ein, dass die WTO das Recht auf Nachbau von eigenem Saatgut (Bauernrechte) und die Gewinnbeteiligung der Landwirtschaft für den Zugang zu den natürlichen Ressourcen (Bauernprivileg) ausdrücklich anerkennt.. Die Schweiz unterstützt die Forderung nach Harmonisierung der WTO-Bestimmungen mit der Biodiversitätskonvention, damit traditionellen Züchtungen derselbe Schutz zugestanden wird wie neuen.   

11. Hilfe an die Landwirtschaft in armen Ländern 

Der Ministerratsbeschluss von Marrakesch sah Massnahmen vor, um die negativen Auswirkungen der Liberalisierung im Agrarbereich auf die Nahrungsmittel-Importländer zu begrenzen. Die Schweiz unterstützt die betroffenen Entwicklungsländer bei den Bemühungen, dass es in dieser Beziehung nicht bei Absichtserklärungen bleibt. Die Schweiz soll zusätzliche technische und finanzielle Hilfe an Netto-Agrarimportländer, die der Gruppe der ärmsten Länder zugerechnet werden, bieten. Dies soll im Sinn einer begleitenden Hilfe während der ganzen Verhandlungsrunde geschehen und nicht von einem Nachweis von Nachteilen abhängig gemacht werden.