WTO-Dienstleistungsverhandlungen und fehlende Demokratie

Bereits 1994 wurde das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS abgeschlossen und bereits zu jenem Zeitpunkt verpflichteten sich alle damaligen WTO-Mitglieder – auch die Schweiz – nach dem Jahr 2002 eine neue Liberalisierungsrunde im Dienstleistungsbereich einzuläuten. Bis Ende März 2003 müssen nun alle WTO-Mitglieder eingeben, in welchen Dienstleistungsbereichen sie bereit sind, ihre Grenzen für ausländische Investoren zu öffnen. Die anschliessenden Verhandlungen sollen im Jahr 2005 abgeschlossen sein. Zu den Dienstleistungen gehören nebst Leistungen von Banken, Versicherungen, der Tourismus etc. auch Bereiche des Service public wie Bildung, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung und der öffentliche Verkehr, also politisch stark reglementierte Bereiche. Und solche Regelungen könnten in Zukunft immer mehr als Handelsschranken angesehen, hat die EU doch angeregt, eine Arbeitsgruppe zu bilden, um bestehende Regelungen daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht mehr als notwendig handelsverzerrend wirken.

Gravierendes Demokratiedefizit

Gravierend ist, dass bis zum heutigen Tag kaum jemand – und schon gar nicht das Parlament - genau darüber informiert ist, was die Schweiz in den folgenden Verhandlungen anbieten wird. Denn allein das Staatssekretariat seco formuliert den Verhandlungsvorschlag, nach Konsultation vor allem der Wirtschaftskreise. Dieser wird kurz vor Eingabe dem Bundesrat unterbreitet. Herr Syz vom Staatssekretariat für Wirtschaft seco äusserte sich dazu bei einer Unterredung mit der Erkärung von Bern in Davos wie folgt: «Unser Ziel ist ein liberalisierter Welthandel. Wir liberalisieren da, wo es vernünftig ist.» Erst die zähe Lobbyingarbeit von Nichtregierungsorganisationen hat in den letzten Monaten bei einzelnen ParlamentarierInnen etwas Unruhe ausgelöst. In einzelnen Interpellationen (Vollmer, Bruderer, Ehrler und Motion Zisyadis) wurde versucht, genaueres über den Inhalt und die Vorgehensweise dieser GATS-Verhandlungen zu erfahren. Die Antworten des seco sind allgemein und ausweichend ausgefallen und zeigen grosse Widersprüchlichkeiten. In einem offiziellen Dokument vom Dezember 2000 an die WTO erklärt die Schweiz, dass kein Sektor a priori von den Verhandlungen über die Marktöffnung ausgeschlossen werde.

Keinerlei langfristige Strategie der Schweiz

Im Gegensatz zur Schweiz versucht die EU, etwas grössere Transparenz zu gewähren. Bereits im November 2002 hat die EU eine siebzigseitige Zusammenfassung aller ihrer Offerten zusammengestellt und den einzelnen Regierungen sowie den Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellt. Auch solche Zusammenfassungen genügen noch nicht, denn der Teufel steckt im Detail.

Die Schweiz hat jedoch noch gar nichts unternommen in Transparenz und meint, sie würden zuerst alle Forderungen der anderen Länder abwarten, um dann darauf zu reagieren. Es existiert also keine langjährige Strategie, wie mit diesen Dienstleistungsverhandlungen in Zukunft umgegangen werden soll.

Wo profitiert die Schweiz

Was die Schweiz in diesen GATS-Verhandlungen geben soll, ist das eine Thema, das andere und nicht weniger wichtige ist, welche Vorteile die Schweiz aus den GATS-Verhandlungen zieht und auf wessen Kosten. Per Ende Juni 2002 mussten alle WTO-Mitglieder bei der WTO eine Liste eingeben, in welchen Ländern sie für bestimmte Dienstleistungssektoren Marktzutritt erhalten möchten. Die Schweiz hat von zahlreichen südlichen Ländern die Liberalisierung der Finanzmärkte und insbesondere die Aufhebung von Kapitalverkehrskontrollen verlangt. Und dies, obwohl vor allem seit der Asienkrise 1997/98 die Kapitalverkehrsliberalisierung zunehmend kritisch beurteilt wird. Eine Reihe von negativen Auswirkungen von Kapitalverkehrsliberalisierungen werden seit der Asienkrise vermehrt diskutiert. Ein freier Kapitalverkehr kann zu spekulativen Blasen und Inflation führen, er kann lokalen Eliten noch vermehrt die Möglichkeit zur Kapitalflucht verschaffen. Mit einem liberalisierten Kapitalverkehr sind Länder auch anfälliger auf die Ansteckung durch Finanzkrisen in anderen Ländern. Selbst der internationale Währungsfonds warnt, dass die Geschwindigkeit und die Abfolge von Liberalisierungsschritten für jedes einzelne Land genau bedacht werden müssten (siehe beiliegendes Papier «Die Schweizer GATS-Forderungen für den Finanzsektor»).
Auch die Forderungen an andere Länder werden aus verhandlungstaktischen Gründen geheimgehalten.

Forderungen an die Regierungen

WTO-Verhandlungen, die so tief in politisch heikle Bereiche hineinreichen, sind nicht mehr länger alleinige Sache eines Staatssekretariats für Wirtschaft seco. Nichtregierungsorganisationen aus der Schweiz und Europa, aber auch aus zahlreichen afrikanischen und asiatischen Ländern fordern:

  • Ein Moratorium dieser Dienstleistungsverhandlungen, bis sorgfältige und unabhängie und länderspezifische Untersuchungen gemacht wurden, welche Auswirkungen Liberalisierungen in einzelnen Bereichen haben werden.
  • Die Veröffentlichung aller Listen sowie das verständliche Zugängigmachen von Informationen und Übersetzungen der technischen Sprache monatelang im voraus, um eine öffentliche Diskussion zu ermöglichen.
  • Keinerlei Druck auf ärmere Länder, einzelne Sektoren öffnen zu müssen.
  • Die Herausnahme aller öffentlichen Dienstleistungen von den WTO-Regeln.