Die Trader bleiben auf ihrem vergifteten Rohöl sitzen

Mitte April wurden in Russland entlang der 5500 Kilometer der Druschba-Pipeline erhebliche Schadstoffbelastungen gemessen. Sechs Monate später zerbrechen sich die Schweizer Trader immer noch den Kopf darüber, wie sie die Millionen von Barrel mit toxischem Rohöl, auf denen sie zurzeit noch sitzen bleiben, mit Profit los werden können.

Auf Russisch bedeutet ihr Name "Freundschaft" (Družba), doch die Gaben, die diese Freundschaft mit sich bringt, vergiften das Ölsystem nun schon seit Monaten. Am 19. April 2019 wurde entlang der russischen Druschba-Pipeline ein Kontaminationsalarm ausgelöst. An der mit 5500 km längsten und grössten Öl-Pipeline der Welt, die Europa und Asien verbindet, wurden ungewöhnlich hohe Mengen (bis zu 20 oder 25x über den Höchstwerten) an organischem Chlorid gemessen. Diese extrem korrosive Flüssigkeit wird zum Entfernen von Ölrückständen verwendet. Wenn sie in die Röhre der Ölverarbeitungsstellen gelangt, droht sie die Ölinfrastrukturen der Hälfte der Industrieländer zu beschädigen. Das ganze System würde lahmgelegt werden.

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Die russische Öl-Pipeline « Druschba » (Freundschaft) verbindet Europa und Asien.

Die pessimistischsten unter den Schwarzsehern rechneten mit einem Volumen von 35,7 Millionen Fässern verunreinigtem Rohöl, was einem Drittel des weltweiten Tagesverbrauchs entspricht. Die zuversichtlicheren Schätzungen gingen von 5 bis 9 Millionen Barrel aus (das entspricht einem Wert von mehreren Milliarden von Dollar an Exporten), die am 21. Mai, also einen Monat nach dem Alarm, immer noch in der Pipeline steckten. Erst Ende Juni konnten die Ölströme wieder freigegeben werden.

Doch was ist aus all dem verunreinigten Rohöl geworden? Das Problem wurde einfach unter einen etwas weiter entfernten Teppich gekehrt...

Zunächst landete das verseuchte Öl in den Häfen, wo es auf Frachtschiffe verladen wurde, die monatelang vor sich her dümpelten, während sich die Trader über die Entschädigung stritten. Der Zuger Riese Glencore sowie Socar Trading mit Sitz in Genf, fechten vor den Londoner Gerichten die 3,1 Millionen Dollar schwere Rechnung für die Liegegebühr des Tankers "Searuby" an, welcher sechs Monate lang seine Ladung nicht löschen konnte.

Was Glencore betrifft, so hat die Firma fast alles versucht, um dieses Öl loszuwerden. Sämtliche europäischen Raffinerien, die in der Regel russisches Rohöl verarbeiten, haben die kontaminierten Ladungen abgelehnt. Um verkauft werden zu können, muss dieses Öl zuerst mit sauberem Rohöl vermischt werden, um die giftigen Substanzen zu verdünnen. Dieser so genannte "Blending"-Prozess ist in der Branche üblich, wie unsere Untersuchung “Dirty Diesel“ aus dem Jahr 2016 belegt, welche den Handel mit giftigen Treibstoffen in Afrika durch Schweizer Trader dokumentiert.

Zehn Barrels sauberes Rohöl für jedes Barrel Giftöl

Allerdings ist dieser Prozess kostspielig. Einige Trader geben an, man brauche zehn Barrel sauberes Rohöl, um ein Barrel kontaminiertes Rohöl wieder brauchbar zu machen. Doch es finden sich keine Käufer, die bereit sind, den "Zauberlehrling" zu spielen. Glencore bleibt auf einer halben Million verseuchter Fässer sitzen. Vitol geht es ebenso. Beide haben daraufhin versucht, die chinesische Karte zu spielen. Doch diesmal haben die lokalen Behörden nicht mitgemacht, und die Einfuhr von russischem Öl kurzerhand verboten. Die drei von den Schweizer Tradern gepachteten Tanker mussten vor der chinesischen Küste wieder wenden und zurückfahren, wie Public Eye im vergangenen Juli berichtete.

Witches blending
"Blending hat eine lange Geschichte." Auszug aus der Präsentation eines Beraters für einen Trader Club in Genf.

Das von den russischen Behörden eingerichtete Kompensationssystem ist jedoch erst dann zugänglich, wenn das unreine Öl vom ersten Käufer weiterverkauft wurde. Nur so ist es möglich, seine Fehlbeträge zu schätzen.

Vitol scheint nun einen Ausweg gefunden zu haben. Am 22. Oktober kaufte der Genfer Händler wissentlich einen Tanker mit 100‘000 Tonnen kontaminiertem Rohöl der Sorte Brent. Laut Reuters war der Tanker Gegenstand eines Rechtstreits zwischen dem russischen Staatsunternehmen Rosneft und der Firma Glencore. Der so erhaltene Rabatt - 25 US-Dollar pro Barrel im Vergleich zu den 10 US-Dollar, die üblicherweise von Russland ausgezahlt werden - macht das für den Trader hochwahrscheinlich zu einem profitablen Geschäft. Vitol beruft sich wie immer auf sein Geschäftsgeheimnis, um weder über die Art der Vereinbarung, die mit den zwei anderen Unternehmen getroffen wurde, noch über die geplante Verwendung dieses toxischen Rohöls Auskunft geben zu müssen.

Wollen wir wetten, dass der Trader eine Gesetzeslücke gefunden hat, in der niemand den Kontaminationsalarm auslösen wird?

«Als ich im Junior-Team spielte, sagte mein Trainer immer: <Wenn Du das Spiel gewinnen willst, musst Du Deinen Kopf dahin stecken, wohin andere nicht einmal den Fuss setzen würden.> Vielleicht hatte er Recht.»

Adrià Budry Carbó ist Mitglied des Rechercheteams von Public Eye, spezialisiert auf den Rohstoffhandel und dessen Finanzierung. Davor war er Journalist bei der Tageszeitung Le Temps sowie der Tamedia-Gruppe. In einem anderen Leben arbeitete er ebenfalls am Nuevo Diario in Nicaragua.

Kontakt: adria.budrycarbo@publiceye.ch
Twitter: @AdriaBudry

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