Zynisch und absurd: Schweizer Händler verklagen Kaffeeproduzent*innen

In Brasilien, Kolumbien und Äthiopien weigern sich Kaffeeproduzent*innen, ihre Ernte zu vorgängig vereinbarten – jedoch im Vergleich zum jetzigen Börsenpreis – viel zu tiefen Preisen zu verkaufen. «Vertragsbruch! » schreien die weltgrössten Kaffeehändler, welche allesamt hierzulande beheimatet sind. Anstatt endlich existenzsichernde Abnahmepreise für Rohkaffee zu bezahlen, gehen sie lieber rechtlich gegen die Produzierenden vor. Ein weiteres, absurdes Kapitel im Schweizer Rohstoffsektor.

Wie Reuters im November berichtete, veranlasste der Anstieg des Börsenpreises für Rohkaffee Produzierende in Brasilien, Kolumbien und Äthiopien dazu, ihre Ernte trotz bestehenden Abnahmeverträgen nicht an die grossen Kaffeehändler auszuliefern. Dies in der Hoffnung, ihren Kaffee zu den aktuell höheren Preisen anderweitig verkaufen zu können. Einige Kaffeehändler, darunter LDC, Volcafe und Olam, fürchten nun um ihren Nachschub und ergreifen rechtliche Schritte, um die Aushändigung der Kaffeebohnen mit Hilfe der Strafverfolgungsbehörden durchzusetzen. Wie kommt es dazu, dass milliardenschwere Händler Kleinproduzent*innen verklagen?

Rückgang des Angebots führt zu steigenden Preisen

Langanhaltend tiefe Temperaturen, Frost, aber auch Dürren in den Kaffeeanbaugebieten Brasiliens, dem Hauptexporteur des braunen Goldes, führten dieses Jahr zu massiven Ernterückgängen. Logistikengpässe, wie der Mangel an verfügbaren Schiffscontainern, sorgen in Vietnam, dem zweitgrössten Exportland von Rohkaffee, immer noch für Lieferverzögerungen. Und dem drittwichtigsten Kaffeeexporteur Kolumbien vermieste exzessiver Regen eine Spitzenernte. Gekoppelt mit einem Mangel an Arbeitskräften auf den Kaffeeplantagen aufgrund der Corona-Pandemie lassen diese Entwicklungen das Angebot an Rohkaffee auf den Märkten schrumpfen und die Preise an den Börsen in die Höhe steigen.

Eigentlich eine gute Nachricht für die weltweit ca. 25 Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern, müsste man meinen.

Der Abnahmepreis für Kaffee war in den letzten Jahren zusammengebrochen und auf den tiefsten Stand des letzten Jahrzehnts gefallen.

Gleichzeitig waren die Produktionskosten für die kaffeeanbauenden Familien stetig gestiegen. Schliesslich war der Anbau für viele Produzierende nicht mehr profitabel und sie sahen sich gezwungen, ihre Ernte unter den Produktionskosten zu verkaufen. Die Anzahl jener Kaffeebäuerinnen und -bauern, welche (noch weiter) in die Armut abrutschten, stieg dramatisch an. Laut dem Kaffeebarometer 2020 soll der Anteil der Produzierenden, die unter der absoluten Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag leben, 2018 und 2019 in Kamerun um 44% und in Nicaragua um 50% zugenommen haben.

Win-Win für die Händler

Nun, da die Preise im Verlaufe eines Jahres um bis zu 60% angestiegen sind, müssten die Aussichten doch rosiger sein, und die kaffeeanbauenden Familien ganz direkt davon profitieren, oder nicht? Sie ahnen es schon, ganz so einfach ist es nicht. Meist wird der Verkauf von Rohkaffee nämlich über ein Jahr vor der eigentlichen Ernte festgelegt. Produzierende und Händler schliessen einen Vertrag ab, in dem sie Menge, Qualität, Lieferdatum und Abnahmepreis vereinbaren – letzterer orientiert sich am sogenannten Future Preis, also am zum Erntezeitpunkt erwarteten Verkaufspreis an der Börse. Steigen im Laufe des Jahres die Preise über das erwartete Niveau an – wie dies momentan der Fall ist – profitieren die Händler. Sie können zum Erntezeitpunkt den Rohkaffee zu einem günstigeren als dem aktuellen Preis einkaufen, weil sie das zuvor so vereinbart haben, und ihn zu den heute höheren Preisen weiterverkaufen.

Keine existenzsichernden Einkommen für die Produzierenden

Die Produzent*innen hingegen haben das Nachsehen, denn sie müssen ihren Ernte zu viel tieferen als momentan aktuellen Preisen verkaufen. Dagegen setzen sich Kaffeeproduzent*innen nun zur Wehr und sie sind damit nicht allein. Wie Reuters im Frühling berichtete, versuchten auch brasilianische Sojaproduzent*innen, ihre Ernte zu besseren als vertraglich vereinbarten Konditionen zu verkaufen. Und wie im Falle der Kaffeehändler, ergriffen die weltgrössten Sojahändler – Archer Daniels Midland (ADM), Bunge, Cargill und LDC – ebenfalls rechtliche Schritte. Sie versuchten sogar mittels Satellitenüberwachung, Spionage und dem Einsatz einer Armada von Anwält*innen, die Produzierenden zum Verkauf des Sojas zu zwingen.

Angesichts der Tatsache, dass Bäuerinnen und Bauern ihre Ernte vielerorts sogar unter dem Produktionspreis verkaufen mussten, ist ihre Gegenwehr mehr als verständlich.

Solange die Händler nicht bereit sind, existenzsichernde Einkommen zu bezahlen, werden sie in Zukunft wohl mit mehr Widerstand rechnen müssen. Dass dies wiederum den Händlern nicht in den Kram passt, liegt auf der Hand, denn sie sind es sich eigentlich gewohnt, immer zu profitieren.

Kaffeehandel in Schweizer Hand

Wie das, fragen Sie? Der Kaffeesektor ist enorm konzentriert. Wenige grosse Unternehmen dominieren die globale Wertschöpfungskette von Kaffee. Gemäss dem Kaffeebarometer 2020 sind nur fünf Händler – Neumann Kaffee Gruppe (NKG), LDC, ECOM Agroindustrial (ECOM), Volcafe, und Olam – für die Hälfte des global gehandelten Rohkaffees verantwortlich. Organisiert wird dieser Handel übrigens aus den Schweizer Büros der Kaffeeriesen, was die kleine Schweiz zur grössten Drehscheibe im globalen Kaffeehandel macht.

Ihre enorme Markt- und damit auch Verhandlungsmacht ermöglicht den Händlern, Vertragsbedingungen – und damit auch die nicht existenzsichernden Abnahmepreise – zu bestimmen. Aber nicht nur den Handel dominieren die Trader, auch in den Anbau dringen sie immer weiter vor, was ihre Dominanz weiter vergrössert. Wie unsere Recherche zum Plantagenbesitz von Schweizer Händlern zeigt, kontrollieren diese auch Kaffeeplantagen und sind direkt verantwortlich für die dortigen Missstände wie Landgrabbing und Arbeitsrechtsverletzungen.

Den wenigen marktmächtigen Händlern stehen 25 Millionen Produzierende gegenüber, die kaum über Verhandlungsmacht verfügen. Auch Zugang zu Massnahmen, um Preisrisiken zu mindern, haben sie meist nicht. Ganz im Gegensatz zu den Händlern. Diese können sich nämlich an der Börse gegen Risiken wie Preisschwankungen absichern. Wird zum Beispiel ein Anstieg der Börsenpreise erwartet, wetten die Händler einfach auf sinkende Preise und können so Verluste ausgleichen. Die Produzierenden sind den Schwankungen der Rohstoffpreise direkt ausgesetzt und von viel zu tiefen Abnahmepreisen existenziell bedroht.

Es ist an der Zeit, dass Schweizer Agrarhändler ihr Geschäftsmodell umkrempeln.

Was es eigentlich braucht sind Preise, welche die Kosten und Bedürfnisse der Produzierenden abbilden und ihnen ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen statt Preise, die von den Händlern und dem «Markt» gemacht werden. Davon sind wir jedoch noch meilenweit entfernt. Solange der Agrarhandelssektor auf Armut und Ausbeutung beruht, und für die Rohstoffe keinen angemessenen Preis bezahlen will, ist es mehr als verständlich, dass sich die Produzierenden mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen.

«Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann - tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.» (Margaret Mead)

Silvie Lang arbeitet seit 8 Jahren bei Public Eye. Wenn sie sich nicht gerade mit der Rolle des Schweizer Agrarhandelssektors beschäftigt, bäckt und isst sie leidenschaftlich gern Kekse.

Kontakt: silvie.lang@publiceye.ch
Twitter: @silvielang

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Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

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