Preismodelle, die der Pharmaindustrie in die Hände spielen

Der Bundesrat will Preismodelle mit geheimen Rabatten in einer Reform des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) verankern. Aber diese Massnahmen werden die Kostenexplosion bei Krebsbehandlungen nicht bremsen. Im Gegenteil: Die Pharmakonzerne hätten noch mehr Macht, ihre Preise und überhöhten Margen durchzusetzen. Auf der Strecke bliebe die Transparenz.

In der Schweiz legt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Medikamentenpreise auf der Grundlage von zwei Vergleichen fest: einem geografischen (Referenzpreise in neun anderen europäischen Ländern) und einem therapeutischen (Preis von ähnlichen, auf dem Markt erhältlichen Behandlungen). Doch mit der Zulassung neuer, immer komplexerer und teurerer Arzneimittel, z.B. gegen Krebs, kann das BAG die Fristen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste (SL) – die den Weg für die automatische Erstattung durch die obligatorische Krankenversicherung öffnet – nicht mehr garantieren. Ebenso wenig wie einen Preis, der den gesetzlich festgelegten Bedingungen entspricht.

Im Rahmen des zweiten Massnahmenpakets zur Dämpfung des Kostenanstiegs in der obligatorischen Krankenversicherung will der Bundesrat deshalb das KVG ändern, damit das BAG legal sogenannte «Preismodelle» nutzen und hinter verschlossenen Türen Rabatte auf den offiziellen Preis neuer Medikamente aushandeln kann. Preismodelle (oder «managed entry agreements») sind Vereinbarungen zwischen dem BAG und Pharmaunternehmen, die die Modalitäten der Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste (Preis, Rabatt, Erfordernis zusätzlicher Studien) festlegen, damit die Behandlung von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden kann. Es gibt verschiedene Modellkategorien, die den Fokus auf drei unterschiedliche Kriterien legen: den Preis (von den Pharmakonzernen erteilte Rabatte pro Behandlung), die Menge (Kostenübernahme bis zu einer bestimmten Jahresmenge) oder die Wirksamkeit (Rückerstattung durch den Hersteller, wenn die Medikamente ihr Wirkungsziel nicht erreichen).

Public Eye kämpft seit Jahren für mehr Transparenz bei der Preissetzung von Medikamenten; hier mit einer Kampagne im Jahr 2018.

Politik der vollendeten Tatsachen

Diese Preismodelle sind in der Schweiz auf dem Vormarsch. Waren es im Januar 2019 nur knapp 20, so gibt es heute über 100 Preismodelle für 79 Produkte – fünfmal so viele. Noch vor drei Jahren waren all diese Preisnachlässe in der öffentlichen SL-Datenbank zu finden.

Anfang 2022 bestehen für etwa die Hälfte dieser Preismodelle Geheimrabatte.

Das BAG tendiert also schon heute stark dazu, geheime Rabatte auszuhandeln – noch vor einer allfälligen Änderung des KVG. Diese soll nun eine bereits bestehende Praxis legalisieren: eine Politik der vollendeten Tatsachen. Zusätzlich sollen mit diesem revidierten Gesetz nun aber die Höhe und die Berechnungsmodalitäten dieser Rabatte aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) ausgeschlossen werden können. Es wird also nicht mehr möglich sein, den Nettopreis einer Behandlung, d.h. den von der Krankenversicherung tatsächlich übernommenen Preis, zu eruieren. Das Öffentlichkeitsprinzip wird wirtschaftspolitischen Motiven geopfert und ein gefährlicher Präzedenzfall im Sozialversicherungswesen geschaffen.

Die Schweiz verletzt ihre internationalen Verpflichtungen

In seinem erläuternden Bericht vom August 2020 behauptet der Bundesrat, dass Preismodelle mit Geheimrabatten unvermeidbar seien. Diese hätten in den Ländern der Europäischen Union (EU), die solche Modelle seit langem einsetzen, zu erheblichen Einsparungen geführt. Der Bundesrat zitiert jedoch lediglich drei Studien, von denen eine von der Pharmaindustrie durchgeführt wurde und eine zweite von 2012 stammt … Unabhängige Studien aus der Schweiz und der EU zeigen jedoch, dass die Einführung von Preismodellen mit undurchschaubaren Rabatten weder zu einer schnelleren Aufnahme in die SL und damit einem schnelleren Zugang für Patient*innen noch zu einer besseren Kontrolle der Kosten geführt hat. Im Gegenteil, sie sind weiter rasant gestiegen.

Die Schweiz hatte sich im Mai 2019 bei der Weltgesundheitsorganisation für mehr Transparenz eingesetzt und in der Resolution WHA 72.8 die Notwendigkeit des «öffentlichen Austauschs von Informationen über Nettopreise von Gesundheitsprodukten (nach Abzug von Rabatten)» unterstützt.

Mit einer intransparenteren Festlegung der Medikamentenpreise verstösst die Schweiz gegen die internationalen Verpflichtungen, die sie eingegangen ist.

In einer ersten Vernehmlassung zur KVG-Änderung, an der Public Eye 2020 teilgenommen hat, lehnten mehr als die Hälfte der 126 Vernehmlassungsteilnehmenden den Ausschluss von Rabatten aus dem Geltungsbereich des BGÖ klar ab, wie aus dem vom BAG veröffentlichten Vernehmlassungsbericht hervorgeht. Daher ist es am Bundesrat, in der neuen Version des Massnahmenpakets, die er im Laufe des Jahres 2022 vorlegen wird, auf die geheim ausgehandelten Rabatte und deren Ausschluss aus dem Geltungsbereich des BGÖ verzichten. Ob er dies tun wird, ist jedoch fraglich, denn das Lobbying der Pharmaindustrie bei den Schweizer Behörden ist sehr effizient.

© Mark Henley / Panos

Machtgefälle als Mittel zur Lösung

Preismodelle ändern weder die Methode der Preisfestsetzung, die weiterhin auf verzerrten geografischen und therapeutischen Vergleichen beruht, noch das ungleiche Machtverhältnis zwischen einer Pharmaindustrie in Monopolstellung und dem BAG, das nicht einmal weiss, wie viel tatsächlich in die Entwicklung eines Medikaments investiert wurde. Es herrscht ein eklatantes Machtgefälle.

Wie Studien bestätigen, werden die Pharmakonzerne die Preismodelle mit Geheimrabatten nutzen und ihre Preisgebote höher ansetzen, um ihre Gewinnspanne hoch zu halten und dem BAG gleichzeitig vorgaukeln, die angeblich höheren – weil geheim gehaltenen – Rabatte würden zu Einsparungen führen. Solche Deals hinter verschlossenen Türen sind eine langjährige Forderung der Pharmaindustrie. Sie zielen darauf ab, die offiziellen – auch als «Schaufensterpreise» bezeichneten – Preise, die als internationale Vergleichsgrundlage dienen, hoch zu halten, ohne die gewährten Rabatte offenlegen zu müssen. Davon profitiert die Pharmaindustrie auch andernorts: beispielsweise orientieren sich 20 Länder bei der Festlegung ihrer Medikamentenpreise an der Schweiz.

Die Schweiz muss ganz im Gegenteil für mehr Transparenz sorgen, indem sie einerseits die Höhe der Rabatte veröffentlicht. Andererseits muss sie auch gesetzliche Bestimmungen erlassen – wie jüngst Italien und Frankreich –, die die Pharmaindustrie dazu verpflichten, (mindestens) die für die Forschung und Entwicklung eines Produkts erhaltenen öffentlichen Subventionen offenzulegen.

Ausserdem muss sie mithilfe von Zwangslizenzen stärker gegen die missbräuchliche Nutzung von Monopolen vorgehen und die Preise gemeinsam mit anderen EU-Ländern mit vergleichbarer Ausgangslage aushandeln. Kurz gesagt: Die Schweiz muss ein Machtverhältnis herstellen, welches echte Verhandlungen für faire Preise ermöglicht, die im Verhältnis zu den tatsächlich getätigten Investitionen stehen.

Bei solch undurchsichtigen Preismodellen gewinnt die Pharmaindustrie, nicht das öffentliche Interesse. Angesichts der längerfristigen negativen finanziellen Auswirkungen einer solchen Politik – den stetig steigenden Preisen in der Schweiz und anderswo – ist das Argument der kurzfristigen Einsparungen für die obligatorische Krankenversicherung reine Augenwischerei.

Keine Geheimdeals Für transparente Medikamentenpreise