Ägypten

© Roger Anis
Im Juni 2016 hat Public Eye in einem Bericht aufgezeigt, wie Pharmafirmen bei Medikamententests in Ägypten gegen ethische Richtlinien verstossen. Knapp zwei Jahre später ist unsere Forderung nach strengerer staatlicher Regulierung ins ägyptische Parlament durchgedrungen.

Ägypten ist eine attraktive Destination für klinische Versuche multinationaler Pharmafirmen. Die Bevölkerungszahl – und damit die Zahl der Patientinnen und Patienten – ist hoch, die Kliniken sind im regionalen Vergleich gut ausgerüstet, die Kosten sind tief. Schweizer Firmen sind im Land besonders aktiv. Eine Stichprobe vom 15. April 2018 ergab 42 aktive klinische Versuche von multinationalen Pharmaunternehmen in Ägypten, wovon 17 von Roche oder Novartis durchgeführt wurden. Das sind gut 40 Prozent.

Internationale Standards verletzt

Public Eye publizierte im Sommer 2016 gemeinsam mit holländischen und ägyptischen Partnerorganisationen einen 60-seitigen Bericht über die Situation klinischer Versuche in Ägypten. Das Fazit war eindeutig: In vielen Fällen wurden die internationalen ethischen Standards verletzt – auch von den Schweizer Pharmamultis. Denn manche in Ägypten getestete Medikamente kamen dort gar nie auf den Markt, andere sind derart teuer, dass sie sich kaum jemand leisten kann. Eine klare Verletzung internationaler Standards. Und zudem ist in vielen Fällen äusserst fraglich, ob die Testpersonen tatsächlich freiwillig oder nicht viel eher aus wirtschaftlicher Not an Versuchen teilnehmen.

Medien in der Schweiz, in den Niederlanden und in Ägypten berichteten über unsere Ergebnisse. In Ägypten seien die Reaktionen in der Bevölkerung teils heftig ausgefallen, berichtete Ayman Sabae von unserer Partnerorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR). Manche hätten gar verlangt, dass eine Regierung, die solche Medikamententests zulasse, zurücktrete. So weit kam es zwar nicht. Aber unser Report hat immerhin dazu beigetragen, dass in Ägypten derzeit ein Gesetzesentwurf zum Thema der klinischen Versuche beraten wird.

Keine gesetzliche Grundlage für Tests

Die Durchführung und Überwachung von klinischen Versuchen ist in Ägypten ungenügend geregelt. Auch die Verantwortlichkeiten einzelner Akteure sind unklar. Firmen, die bei ihren Versuchsreihen unethisch handeln, können vor Ort also kaum zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb forderten wir in unserem Bericht auch die ägyptischen Behörden zum Handeln auf. Ein neues Gesetz solle dafür sorgen, dass die klinischen Versuche der ägyptischen Bevölkerung zugutekommen, schrieben wir damals unter „Empfehlungen“. Des Weiteren forderten wir, dass die Patientinnen und Patienten ausreichend informiert werden, damit eine freiwillige Teilnahme gemäss internationaler ethischer Standards garantiert ist. Und wir verlangten, dass ihnen das Recht auf eine Fortsetzung der Behandlung nach Abschluss der Studie gewährt wird. Kurz: Die Behörden sollten sicherstellen, dass die internationalen ethischen Richtlinien eingehalten werden. Und tatsächlich: Als der Gesundheitsminister den Gesetzesentwurf am 25. Februar 2018 dem Parlament vorlegte, habe er wortwörtlich die Forderungen aus unserem Bericht wiedergegeben, sagt Ayman Sabae.

Eine Recherche, die Public Eye gemeinsam mit Partnerorganisationen durchführte, zeigte: Bei vielen Medikamententests werden internationale ethische Standards verletzt.

„Grosses Transparenzproblem“

Den gesamten Inhalt des Gesetzesentwurfs kann aber auch Ayman Sabae vorerst nur erahnen. Seine Organisation arbeitet zwar daran, das Papier in die Hände zu bekommen – aber das Gesundheitsministerium sei diesbezüglich sehr verschwiegen, sagt er. Wie lange die Vernehmlassung dauere, sei ebenfalls völlig unklar. „Wir haben ein grosses Transparenzproblem in Ägypten“, sagt unser Kollege in Kairo. Die Entscheidung könne irgendwann über Nacht gefällt werden, oder aber es könnten noch mehrere Jahre vergehen. Bevor das Gesetz in Kraft trete, müsse man aber auf jeden Fall auch noch die Verabschiedung zahlreicher Durchführungsbestimmungen abwarten – dies allein werde sicher mindestens sechs Monate dauern.

Ein Verdienst unserer Recherche ist auf jeden Fall schon einmal, dass das Thema der klinischen Versuche in Ägypten mittlerweile kontrovers diskutiert wird. Während sich Teile der Zivilbevölkerung generell darüber empörten, dass internationale Pharmaunternehmen Ägypter und Ägypterinnen als Versuchskaninchen missbrauchen, wurden aus religiösen Kreisen etwa wegen der Ausfuhr von Gewebeproben oder Blut Vorbehalte laut. Ein Juraprofessor sagte gemäss der Website der ägyptischen Zeitung Shorouk News zudem, der Gesetzesentwurf widerspreche islamischem Recht und der ägyptischen Verfassung.

Angst um Einnahmequelle

Manche Politiker trieben die Diskussion wiederum mit finanziellen Argumenten voran. So rechnete etwa der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Forschung im Repräsentantenhaus vor, wie gross die Einnahmen aus klinischen Versuchen für Schwellenländer sein könnten. In Jordanien seien klinische Versuche eine der wichtigsten Einnahmequellen, erzählte er. Mit den Medikamententests würden dort Milliarden von Dollars verdient. In Ägypten sinkt derzeit die Anzahl der klinischen Versuche tendenziell. Medikamententests sind immer auf mehrere Jahre ausgelegt – der aktuelle Rückgang ist also möglicherweise darauf zurückzuführen, dass gerade mehrere Studien abgeschlossen wurden. Es ist allerdings auch vorstellbar, dass die Pharmafirmen aufgrund der kritischen Berichterstattung verschiedener Medien und NGOs zurückhaltender darin geworden sind, Versuche in Ägypten zu starten.

Vor Kurzem wurden die Ergebnisse aus unserem Bericht ein weiteres Mal bestätigt. Am 11. April 2018 strahlte der Fernsehsender Deutsche Welle Arabia eine knapp einstündige Sendung zu klinischen Versuchen in Ägypten aus, in der weitere Fälle von Tests aufgedeckt wurden, die gegen ethische Richtlinien und auch gegen geltendes ägyptisches Recht verstossen. Auch in diesem Beitrag wurde die Wichtigkeit einer Gesetzgebung betont, die klinischen Versuchen in Ägypten einen rechtlichen und ethischen Rahmen gibt. Es ist zu hoffen, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier den existierenden Gesetzesentwurf mit der gebührenden Dringlichkeit vorantreiben.

Roche instrumentalisiert ägyptische Probandin und verliert vor Schweizer Gericht

Am 1. Dezember 2016 erreichte Public Eye ein "Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahmen mit Antrag auf superprovisorische Anordnung" vom Regionalgericht Bern-Mittelland. Eingereicht hatte es der Basler Anwalt Benedikt Suter anscheinend im Auftrag einer jener Testpersonen, die für den Report über die ethnischen Probleme bei klinischen Versuchen von Schweizer Firmen in Ägypten ihre bewegende Geschichte erzählt haben.

Diverse Gerichtsdokumente und Kontextinformationen zeigen aber, dass der so späte wie unvermittelte Rückzug des Einverständnisses, das uns die Probandin für die Publikation ihrer Fotos und Aussagen wiederholt und umfassend gegeben hatte, auf Druck des Basler Pharmakonzerns Roche zu Stande kam. Zu diesem Schluss kommt auch die SonntagsZeitung in ihrer Ausgabe vom 12. März 2017, wo sie diese exemplarische Geschichte eines misslungenen Einschüchterungsversuchs rekonstruiert.

Public Eye Report: Clinical Drug Trials in Egypt (in Englisch, 2016)