Russland

Zwar wurden 2010 in Russland Gesetze erlassen, die zur Einrichtung dezentraler Ethik-Kommissionen führen sollten, die zentrale Behörde verblieb jedoch auf der Ebene des Gesundheitsministeriums. Trotz dieser Fortschritte ist die Lage in Russland weit davon entfernt, ideal zu sein.

Einerseits gibt es das „offizielle“ Komitee, welches über die Zulassung eines Versuchs entscheidet, aber völlig überlastet ist. Andererseits sind da die „lokalen“ Komitees, die – sofern sie überhaupt bestehen – sich zwar mit den Dossiers befassen, aber über keinerlei Entscheidungsbefugnis verfügen. Zudem bestehen unzählige Interessenkonflikte. In einem Moskauer Krankenhaus, war beispielsweise, der für einen klinischen Versuch zuständige Arzt niemand anderes als der Präsident der ethischen Kommission, die mit der Bewertung des Versuchs betraut war. Zu diesem Zustand befragt, sagte der betroffene Mediziner, dass er darin kein Problem sähe.

Medizinerinnen und Mediziner in Russland zögern nicht, Testpersonen über das Internet anzuwerben und dabei so weit zu gehen, dass sie von «Beobachtungsprogrammen» sprechen, statt von Medikamententests. Weil sie selber finanziell von den Versuchen profitieren – oftmals stellen die damit verbundenen Entschädigungen ein Mehrfaches ihrer Grundgehälter dar – gehen einige dabei bis zum Äusserten.

Die Schutzlosigkeit der Patientinnen und Patienten ist gefährlich. Treten Nebenwirkungen auf, auch schwerwiegende, so bevorzugen es die Testpersonen, die Medikamente zwar nicht zu nehmen, aber bei sich zu Hause zu lagern – aus Angst, von den Versuchen ausgeschlossen zu werden. Auf diese Art können die Ergebnisse der klinischen Versuche verfälscht werden.

Novartis von den Testpersonen hinterfragt

Im Rahmen unserer Untersuchungen wurden Personen befragt, die an einer Novartis-Studie zu Gilenya teilgenommen hatten, einem Medikament zur Behandlung multipler Sklerose. Diese beklagten mehrere Verstösse, beispielsweise hinsichtlich der Unterzeichnung des Einwilligungsformulars zu Beginn der Behandlung, dem Fehlen einer Entschädigung bei Auftreten von Nebenwirkungen oder das Unterbrechen der Behandlung am Ende des Versuchs. Während im Einwilligungsformular eine Versicherung erwähnt wird, die beim Auftreten von Nebenwirkungen zum Tragen kommen soll, scheint es dennoch so, als seien Entschädigungen in Russland inexistent.

Die russische Arzneimittelbehörde verfügt weder über finanzielle noch rechtliche Mittel bei Verstössen und ist daher völlig machtlos. Zu diesem Thema befragt, hat ein Inspektor sogar von «Phantomstudien» gesprochen, die ohne Versuchspersonen und Ärzte durchgeführt werden. Diese Anschuldigung wurde vom Verantwortlichen einer CRO (Contact Research Organization), bestätigt.

Diese Recherche wurde von Public Eye nicht weiterverfolgt oder aktualisiert. Die Ergebnisse, wie sie auf dieser Website erscheinen, sind die Ergebnisse unserer Forschung im Jahr 2013.

Public Eye Report: Russia - The Mirage of Swiss Clinical Trials (in Englisch, 2013)