Verbotene Pestizide Massive Zunahme der Exporte aus der EU

Eine exklusive Recherche von Public Eye und Unearthed zeigt, dass die Europäische Union im Jahr 2024 fast 122’000 Tonnen verbotene Pestizide exportiert hat. Dabei hatte sich die EU-Kommission verpflichtet, diese Praxis einzustellen. Die Pestizide wurden mehrheitlich in Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen exportiert, in denen die Risiken für Gesundheit und Umwelt höher sind. Syngenta gehört zu den wichtigsten Exporteuren dieser Gefahrenstoffe.

Im Oktober 2020 versprach die Europäische Kommission, «mit gutem Beispiel voranzugehen» und den Export von Pestiziden zu unterbinden, die in der Landwirtschaft der Europäischen Union (EU) verboten sind. Dies im Rahmen einer neuen Chemikalienstrategie, die als Pfeiler des «Green Deal» präsentiert wurde. Die Selbstverpflichtung folgte auf eine  Recherche von Public Eye und Unearthed, der Investigativabteilung von Greenpeace UK, die zum ersten Mal den skandalösen Handel mit verbotenen Pestiziden «Made in Europe» aufzeigte.

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«Die EU würde ihrem Ziel einer giftfreien Umwelt nicht gerecht werden, wenn sie weiterhin die Produktion und Ausfuhr gefährlicher Chemikalien zulassen würde, die in der EU nicht eingesetzt werden dürfen»: So äusserte sich Virginijus Sinkevičius, der damalige EU-Umweltkommissar, zu Beginn der öffentlichen Vernehmlassung zu dieser Initiative im Jahr 2023. Verschiedene Mitgliedstaaten hatten bereits strengere Regeln angekündigt und die EU-Kommission hielt einen einheitlichen Ansatz für Europa für «unerlässlich», um die «Harmonisierung und Klarheit der Bestimmungen» zu gewährleisten.

Neue, exklusive Daten von Public Eye und Unearthed zeigen jedoch: Trotz der Verpflichtung der EU-Kommission stiegen die Exporte von verbotenen Pestiziden weiter an. 2024 genehmigten die EU-Mitgliedsländer den Export von fast 122’000 Tonnen Pestiziden, die auf dem eigenen Staatsgebiet wegen inakzeptabler Risiken für Gesundheit oder Umwelt nicht zugelassen sind. Das ist gut 50% mehr als die rund 81’000 Tonnen, die den Behörden 2018 gemeldet worden waren. Berücksichtigt man den Brexit – das Vereinigte Königreich war damals als Hauptexporteur für 40 % des Volumens verantwortlich – haben sich die EU-Exporte in sechs Jahren mehr als verdoppelt.

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Im Rahmen unserer Recherche haben wir Hunderte von Ausfuhrmeldungen untersucht: Dokumente, welche Unternehmen ausfüllen müssen, wenn sie gefährliche Chemikalien, die in der EU verboten sind, in Drittländer exportieren wollen. Gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip haben Public Eye und Unearthed diese Meldungen bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und bei nationalen Behörden eingefordert. Die angegebenen Zahlen entsprechen einer voraussichtlichen Schätzung der Hersteller bei Jahresbeginn, die von den tatsächlich exportierten Mengen abweichen kann. Dennoch sind sie die beste verfügbare Informationsquelle. 

Dass der Umfang dieser problematischen Exporte aus Europa so stark zugenommen hat, ist hauptsächlich dem Umstand geschuldet, dass in der EU seit 2018 rund hundert weitere Pestizide verboten wurden. Die Ausfuhr dieser Stoffe untersteht neu der Meldepflicht. Damit sind die gemeldeten Exportmengen automatisch gestiegen, da die EU diese Stoffe nach und nach von ihrem Markt verbannte, den Export in Drittländer aber weiterhin erlaubt.

In der Schweiz spielt der Bundesrat auf Zeit

Die Schweiz exportiert selbst auch verbotene Pestizide, und zwar in völlig intransparenter Weise. 2020 hatte der Bundesrat noch beschlossen, die Regelungen zu verschärfen, um diese Exporte «strenger zu kontrollieren». Jedoch wurde die Liste der Stoffe, die der Schweizer Regelung für den Export gefährlicher Chemikalien unterliegen, seitdem nie aktualisiert. Dutzende von Pestiziden, die kürzlich in der Schweiz verboten wurden, sind von keiner Kontrolle erfasst und können frei aus der Schweiz exportiert werden. Die Aktualisierung dieser Liste wurde mehrfach verschoben und hätte nun endlich in diesem Jahr erfolgen sollen. Die Dienststellen von Umweltminister Albert Rösti haben diesen Schritt jedoch erneut verschoben, womöglich in der bewussten Absicht, dieses Instrument seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga zu torpedieren. Nun ist von einer Vorlage die Rede, die im Herbst 2026 präsentiert und zwei Jahre später in Kraft treten soll.

Fünf Jahre nach unserer ersten Bestandesaufnahme zeigt sich: Europa ist nach wie vor führend bei der Herstellung und dem Export der wohl gefährlichsten Pestizide der Welt. Derweil sieht es danach aus, dass Brüssel einen Rückzieher macht: Die Arbeiten der EU-Kommission, dieser Praxis ein Ende zu setzen, haben sich unter dem Druck der Agrochemie-Lobby verzögert. Das Versprechen, bis Ende 2023 eine entsprechende Vorlage zu präsentieren, wurde nicht eingehalten. Mit der Rückkehr von Trump ins Weisse Haus und dem Wahlsieg des rechten Blocks bei den letzten Europawahlen werden die Forderungen nach Deregulierung zudem immer lauter. Die bahnbrechende Reform droht ebenso begraben zu werden wie der gesamte «Green Deal».

Auf Anfrage sagte ein Sprecher der Kommission, dass diese die Bedenken hinsichtlich der Ausfuhr von in der EU verbotenen Pestiziden in Drittländer teile und weiterhin entschlossen sei, dieses wichtige Thema anzugehen und sicherzustellen, dass «die gefährlichsten in der EU verbotenen Chemikalien nicht für den Export hergestellt werden dürfen». 2023 sei eine Folgenabschätzung eingeleitet worden, derzeit würden mögliche Optionen zur Umsetzung ihrer Initiative geprüft. «Es ist von grösster Wichtigkeit, für Mensch und Umwelt sowohl innerhalb der EU als auch weltweit ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten.»

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Fast 122'000 Tonnen verbotene Pestizide wurden 2024 zum Export aus der Europäischen Union (EU) gemeldet.

Marcos Orellana, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für giftige Chemikalien und Menschenrechte, bedauert «eine verwerfliche Doppelmoral». Er spricht von einer «modernen Form der Ausbeutung mit klar rassistischem Unterton». Und weiter: «Für die Länder, die verbotene Pestizide herstellen und exportieren, haben Leben und Gesundheit der Menschen in Empfängerländern offenbar nicht dieselbe Bedeutung wie das Wohlbefinden der eigenen Bevölkerung.» Schliesslich moniert er, dass «die Landarbeiter*innen und ihre Familien leiden, während die Pestizidhersteller die Gewinne einstreichen».

Giftstoffe «Made in Europe»

Unsere Untersuchung zeigt: 2024 wurden insgesamt 75 Pestizide, die in der EU verboten sind, für den Export gemeldet. 2018 waren es erst 41 gewesen. Vom Volumen her an erster Stelle steht Dichlorpropen (1,3-D), ein Pestizid zur Schädlingsbekämpfung im Obst- und Gemüseanbau. Der Stoff wird in den USA als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. In der EU ist er seit 2007 aufgrund von Risiken für das Grundwasser und Gefahren für Bienen, Vögel, Säugetiere und Bodenorganismen verboten. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 20 000 Tonnen davon zur Ausfuhr angemeldet. Darauf folgen in der Rangliste Glufosinat, ein von BASF exportiertes Herbizid, das die Fruchtbarkeit schädigen kann, sowie Mancozeb: Das Fungizid, das als hormonaktiver Stoff gilt und sowohl die Fruchtbarkeit wie auch das ungeborene Kind schädigen kann, wurde in der EU im Jahr 2020 verboten.

Zudem exportiert die EU weiterhin Tausende Tonnen Neonicotinoide: Diese gefährlichen Insektizide sind für den weltweiten Rückgang von Bestäuberpopulationen verantwortlich. Seit 2018 sind sie aufgrund «inakzeptabler» Risiken für Bienen in der EU nicht mehr zugelassen. Die EU-Kommission verbietet sogar per Gesetz die Einfuhr von Lebensmitteln, welche Rückstände zweier Neonicotinoide enthalten. Demnach hält sie diese Stoffe für eine sehr grosse Gefahr für die Biodiversität, die landwirtschaftliche Produktion und die Ernährungssicherheit weltweit. Dennoch exportiert die EU weiterhin grosse Mengen davon. Gemäss unseren Daten sind der Basler Konzern Syngenta und das deutsche Unternehmen Bayer die Marktführer in diesem toxischen Geschäft mit in Europa hergestellten «Bienenkillern».

Zielländer mit hohen Risiken

Wohin gelangen diese Exporte? Auf der Liste der Abnehmer stehen 93 Staaten, drei Viertel davon Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Dies, obwohl UN-Behörden davor warnen, dass die Verwendung dieser hochgefährlichen» Pestizide in solchen Ländern mit höheren Risiken einhergeht als anderswo. Die USA, deren Regulierungen viel lockerer sind als diejenigen der EU, importieren am meisten verbotene Stoffe, gefolgt von Brasilien, dem weltweit grössten Markt für Pestizide.

Die ehemalige portugiesische Kolonie führte fast 15’000 Tonnen verbotene Pestizide «Made in Europe» ein, darunter vor allem das Fungizid Picoxystrobin, das im Getreide- und Sojaanbau eingesetzt wird. In der EU wurde es 2017 wegen seines genotoxischen Potenzials und den hohen Risiken für Wasserorganismen verboten.

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Brasilien ist eines der Hauptziele für verbotene Pestizide «made in Europe».

«Wir sind empört über den Anstieg der Exporte gefährlicher Pestizide», reagiert Alan Tygel, Koordinator der Permanenten Kampagne gegen Agrochemikalien und für das Leben, einem Netzwerk brasilianischer Aktivistinnen und Aktivisten. «Dass europäische Länder immer mehr Pestizide für den Eigengebrauch verbieten, diese Substanzen aber für den Export zulassen, unterstreicht die Scheinheiligkeit der EU, die vorgibt, mit gutem Beispiel voranzugehen.» 

Unsere Untersuchung zeigt weiter, dass fast 9000 Tonnen verbotene Pestizide für den Export auf den afrikanischen Kontinent gemeldet wurden. Die wichtigsten Zielländer sind hier Marokko und Südafrika. Für Kara Mackay, Kampagnenkoordinatorin der südafrikanischen Organisation Women on Farms, ein Ausdruck einer «eklatanten Doppelmoral und rassistisch-kolonialen Denkweise, unter der Europa noch immer leidet». Ihre Botschaft an Europa: «Verbotene Pestizide nach Afrika oder in andere Länder mit niedrigem Einkommen zu schicken, ist nur möglich, wenn man die Menschen, die sie verwenden, als minderwertig betrachtet und sich daher nicht um ihre Gesundheit schert. Diese Praxis stellt Profit über Menschenleben. In Südafrika wollen wir, dass sich das ändert. Wir haben genug davon, und es macht uns buchstäblich krank!»

Ein florierendes Geschäft

Mit mehr als 33’000 Tonnen, die 2024 zum Export gemeldet wurden, ist BASF mit Abstand die Nummer eins in diesem Geschäft, gefolgt von Teleos Ag Solutions, Agria, Corteva Agriscience und Syngenta. Der Basler Konzern meldete im vergangenen Jahr den Export von fast 9000 Tonnen verbotener Pestizide aus der EU, davon der allergrösste Teil aus Deutschland.

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Studien zeigen, dass Neonicotinoid-Insektizide zu den wichtigsten Ursachen des weltweiten Rückgangs der Populationen von Bienen und anderen Bestäubern gehören.

Mehr als ein Viertel davon bestand aus Produkten mit dem Wirkstoff Thiamethoxam, einem Insektizid aus der Gruppe der Neonicotinoide, die als «Bienenkiller» berühmt wurden. Zwei weitere Produkte gehören zu den wichtigsten Exportgütern von Syngenta: Propiconazol, ein Fungizid, das 2018 in der EU aufgrund seiner Reproduktionstoxizität und der Gefahr für das Grundwasser verboten wurde, sowie Chlorothalonil, ebenfalls ein Fungizid, das als krebserregend eingestuft wird und das Trinkwasser in der Schweiz, in Frankreich aber auch in Costa Rica grossflächig verschmutzt, wie eine Recherche von Public Eye gezeigt hat.

Syngenta betont auf Anfrage, dass seine Exporte «den strengen Anforderungen der europäischen Chemikalienverordnung entsprechen» und erklärt, dass seine Fabriken auf «wenige Standorte weltweit» konzentriert sind, um sicherzustellen, dass seine Produkte «den strengen Produktionsstandards entsprechen und von höchster Qualität sind». Das Unternehmen versichert, dass es «die Souveränität und die Richtlinien der importierenden Staaten respektiert, alle internationalen gesetzlichen Anforderungen erfüllt […] und im Land selbst detaillierte Informationen bereitstellt, um den sicheren Einsatz durch die Anwender*innen zu fördern».

Vereinigtes Königreich: Gift von Syngenta

Auch aus dem Vereinigten Königreich exportiert der Basler Agrochemiekonzern Syngenta verbotene Pestizide. Und das in rauen Mengen. Dabei ist das wichtigste Produkt das Herbizid Diquat, das in der Europäischen Union wegen seiner akuten Toxizität und dem «hohen Risiko» für Landwirtinnen und Landwirte sowie Anwohnende verboten ist. In seinem Werk in Huddersfield produziert Syngenta das Herbizid nach wie vor für den Export, und zwar mehrheitlich nach Brasilien. Dort wird eine steigende Zahl von Vergiftungsfällen bei Landarbeitenden verzeichnet, wie Public Eye für den Bundesstaat Paraná konkret belegen konnte. 

Zudem liefert Syngenta weiterhin Tausende Tonnen des berüchtigten Produkts Paraquat aus: ein Herbizid, das weltweit für Zehntausende Vergiftungen verantwortlich ist. In den USA, dem grössten Importeur, sieht sich der Konzern mit Klagen von Hunderten von Farmer*innen konfrontiert, die teils an Parkinson erkrankt sind. Sie machen Paraquat dafür verantwortlich und werfen dem Schweizer Konzern vor, sie nicht über die potenziellen Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung dieses Produkts informiert zu haben.

Insgesamt wurden mehr als 40% der aus der EU exportierten Mengen von Deutschland gemeldet. Das Land hat sich zum wichtigsten europäischen Umschlagplatz für den Handel mit verbotenen Pestiziden entwickelt: Letztes Jahr waren es nicht weniger als 50’000 Tonnen. Das sind sechs Mal so viel wie 2018. Der massive Anstieg hängt mit dem Verbot von Glufosinat Ende 2018 zusammen, dessen Export seither stark zugenommen hat. Ein weiterer Grund dafür ist, dass Syngenta einen Teil seiner Aktivitäten nach Deutschland verlagert hat, insbesondere aus Frankreich: Seit 2022 verbietet ein französisches Gesetz den Export verbotener Pestizide. In Belgien ist in Mai 2025 ein Königlicher Erlass in Kraft getreten, der solche Exporte untersagt. 2024 war das Land noch der zweitgrösste Exporteur, gefolgt von Spanien, den Niederlanden und Bulgarien.

«Mit zweierlei Mass»

An einer Demonstration Ende Juni in Brüssel forderte eine Koalition aus über 600 NGOs und Gewerkschaften, darunter Public Eye, die Präsidentin der EU-Kommission auf, ihr Versprechen einzuhalten: Ursula von der Leyen soll endlich den Export von in Europa verbotenen Pestiziden stoppen. Die NGOs kritisieren die Untätigkeit und die Doppelmoral der EU-Kommission; damit untergrabe sie auch die Glaubwürdigkeit der EU und ihre weltweite Führungsrolle beim Schutz vor gefährlichen Chemikalien. Ausserdem setzt sie die Bevölkerung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen einem «inakzeptablen Risiko» aus, hält die Koalition fest. Auch Konsumentinnen und Konsumenten in Europa seien aufgrund von Rückständen verbotener Pestizide in importierten Lebensmitteln gefährdet. Problematisch ist zudem der «unlautere Wettbewerb» für europäische Landwirt*innen, die solche Pestizide nicht einsetzen dürfen.

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Im Juli forderte eine Koalition aus über 600 NGOs und Gewerkschaften die Europäische Kommission in Brüssel dazu auf, den Export verbotener Pestizide zu stoppen.

Dieselben Anliegen wurden zuvor in einem Schreiben von Dänemark, Österreich, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen und Schweden an die neue Umweltkommissarin Jessika Roswall formuliert. Der Brief von Dezember 2024 fordert die EU-Kommission auf, unverzüglich auf ein europaweites Verbot der Ausfuhr verbotener Pestizide hinzuarbeiten. «Es ist wichtig, dass wir innerhalb der EU unsere Verantwortung wahrnehmen und zeigen, dass wir nicht nur unsere eigene Bevölkerung schützen wollen, sondern auch weltweit mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um Chemikalien geht», erklärte Magnus Heunicke, dänischer Umweltminister. «Das ist eine Frage der moralischen und politischen Verantwortung.»

Die Agrochemiekonzerne haben den Kampf noch nicht gewonnen.

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