TRIPS-Flexibilitäten

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Die TRIPS-Flexibilitäten sind juristisch verankerte Mechanismen, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offenhalten, trotz geltendem Patentschutz spezifische Anforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit geltend zu machen.

Es handelt sich insbesondere um:

  • Zwangslizenzen, mit denen ein Staat Dritten ohne Zustimmung des Patentinhabers die Nutzung eines Patents bewilligen kann (dies jedoch gegen Entschädigung)
  • Parallelimporte, durch die ein Land ohne die Zustimmung des Patentinhabers ein Produkt importieren kann, das dieser in einem anderen Land günstiger verkauft
  • Generelle Befreiung der am wenigsten entwickelten Ländern (least-developed countries) von den TRIPS-Verpflichtungen, sowie Befreiung von der Pflicht, Patente auf Medikamente zu erteilen

Dank dieser Flexibilitäten konnten zwar Fortschritte bei der Verfügbarkeit von AIDS-Therapien in Ländern des Südens erzielt werden – insbesondere dank der Konkurrenz durch Generika –, doch bei nicht übertragbaren Krankheiten (Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten usw.), die auf dem Vormarsch sind, ist dies leider noch viel zu wenig der Fall.

Obwohl Zwangslizenzen ein wichtiges Instrument darstellen, um Betroffenen solcher Krankheiten den Zugang zu patentierten Medikamenten zu sichern, werden sie noch verhältnismässig selten eingesetzt. Das Thema bleibt politisch heikel: Länder, die Pharmamultis beherbergen, drohen mit wirtschaftlichen Sanktionen, und deshalb schrecken die Länder des globalen Südens oft davor zurück, den vorhandenen Spielraum zu nutzen.

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Die Nutzung der TRIPS-Flexibilitäten steckt für die Länder des globalen Südens also voller Tücken. Wenn ein Land wie Indien den vorhandenen Spielraum nutzt, zögern die Pharmamultis nicht, den Staat zu verklagen (wie es Novartis beim Krebsmedikament Glivec tat) – und dies mit Billigung ihrer Regierung. Die Verhandlung der Rechte der Entwicklungs- und Schwellenländer, den TRIPS-Spielraum vollumfänglich zu nutzen, erreichte ihren Höhepunkt Ende der 90er-Jahre, als 39 Pharmafirmen mit der Unterstützung der jeweiligen Regierungen ihres Sitzstaates eine Klage gegen Südafrika wegen angeblicher Verletzung des TRIPS anstrengten. Südafrika hatte eigentlich nichts anderes getan, als den im TRIPS vorgesehenen Spielraum zu nutzen, um eine ernste Bedrohung für die öffentliche Gesundheit – die AIDS-Pandemie – zu bekämpfen. Nach dem internationalen Skandal, den dieser Prozess ausgelöst hatte, kamen die TRIPS-Flexibilitäten im Rahmen der WTO wieder auf den Verhandlungstisch, was die politischen Weichen für die Erklärung von Doha stellte.

Die Schwierigkeit, mit der die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) eine befristete Freistellung von den Verpflichtungen des TRIPS-Abkommens (Artikel 66 Absatz 1, erneuerbare und bedingungslose Freistellung) erkämpft haben, zeigt, dass die Industrieländer ihre eigenen Interessen - und die ihrer multinationalen Unternehmen - vor das Grundrecht der ärmsten Länder der Welt auf Entwicklung stellen. Deswegen hat Public Eye zusammen mit anderen NGOs in den Jahren 2013 und 2015 bei der WTO und der Schweizer Regierung mehrmals interveniert.