Abholzung, Einschüchterung, Landgrabbing: Wie Schweizer Agrarhändler als Plantagenbesitzer agieren

Eine Pionier-Recherche von Public Eye zeigt, dass jene Agrarhandelskonzerne, die aus ihren Schweizer Büros den weltweiten Handel steuern, im grossen Stil zu Plantagenbesitzern geworden sind: Auf über 550 Plantagen bauen die Trader in Südamerika, Afrika und Asien unter anderem Zuckerrohr, Palmöl und Orangen an. Dabei kommt es vielerorts zu Vertreibungen, Arbeitsrechtsverletzungen oder Abholzung. Ihrer direkten Verantwortung für diese Missstände kommen die Unternehmen aber kaum nach. Und die politische Schweiz drückt sich weiter vor jeglicher Regulierung dieser risikoreichen Branche.

Die Schweiz ist der weltgrösste «Trading Hub» für Agrarrohstoffe. Über 50 Prozent des Getreides, 40 Prozent des Zuckers sowie jede dritte Kaffee- und Kakaobohne werden von Schweizer Tradern gehandelt. Von Public Eye gesammelte und analysierte Daten belegen erstmals, dass Schweizer Handelskonzerne wie Cargill, Cofco, oder LDC längst auch selbst Anbau betreiben und auf mindestens 2,7 Millionen Hektar über 550 Plantagen verwalten. In insgesamt 24 Ländern, die fast alle im Globalen Süden liegen, produzieren sie Zuckerrohr, Palmöl und Getreide, aber auch Soja, Kautschuk, Kaffee, Orangen, Bananen und sogar Reis. Die Trader kontrollieren diese Plantagen direkt und sind deshalb auch direkt für die dortige Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards verantwortlich.

Wie die Recherchen von Public Eye in zehn exemplarischen Fällen zeigen, kommen die Agrarhandelskonzerne dieser Verantwortung jedoch oft nur ungenügend nach. Dies illustriert der wohl berüchtigtste Fall von Landgrabbing in Uganda: Wegen einer Kaffeeplantage der deutschen Neumann Kaffee Gruppe (NKG) wurden dort vor 20 Jahren 4000 Menschen von der Armee gewaltsam vertrieben. Die Betroffenen warten bis heute auf angemessene Entschädigung. Eine Mitverantwortung dafür trägt auch die Schweizer Niederlassung, welche nicht nur den Rohkaffeehandel von NKG abwickelt, sondern zudem für das Plantagenmanagement zuständig ist – auch in Uganda. Ein anderes Beispiel: In der kambodschanischen Region Mondulkiri mussten 2008 indigene Gemeinschaften einer Palmölplantage des Händlers Socfin unfreiwillig weichen. Ein 2017 begonnener Mediationsprozess konnte bislang keine Abhilfe schaffen. Auch hier in der Verantwortung: Die Schweizer Niederlassungen von Socfin, welche sowohl fürs Handelsgeschäft wie auch das Plantagenmanagement zuständig sind.

Die wiederholt aufgezeigten Missstände im Anbau von Agrarrohstoffen verdeutlichen den politischen Handlungsbedarf. Der Bundesrat anerkennt zwar, dass im Rohstoffsektor «Herausforderungen» in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt bestehen, legt den Fokus der viel zu schwachen Massnahmen aber auf Energie- und mineralische Rohstoffe, während der Agrarrohstoffhandel und die damit einhergehenden Missstände bislang keine Beachtung erfahren. Auch greift sein Argument nicht, dass eine Regulierung des Sektors unnötig sei, da die Tätigkeiten der Rohstoffbranche unter indirekter Aufsicht der Banken stünden, die sie finanzieren. Eine Analyse von Public Eye zur Finanzierung der Agrarhändler zeigt, dass die Schweizer Banken diesbezüglich irrelevant sind.  Es ist also höchste Zeit, dass die offizielle Schweiz die spezifischen Missstände in diesem Sektor anerkennt und die von Public Eye geforderte Regulierung der gesamten Rohstoffbranche nun endlich an die Hand nimmt.

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Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Silvie Lang, Agrarhandelsexpertin, 044 277 79 10, silvie.lang@publiceye.ch