Damit der Rubel weiter rollt: Wie die Schweizer Politik und Agrarhändler ihre Verantwortung ignorieren

Die russische Invasion in der Ukraine lässt die Preise für Agrarrohstoffe und Lebensmittel explodieren und bedroht die globale Ernährungssicherheit. Die drohenden Versorgungslücken werden vom Bundesrat und Schweizer Handelskonzernen gleichermassen als Ausrede für ihre Passivität in dieser Krise bemüht. Während die Regierung dadurch jegliche Sanktionen gegen den lukrativen Rohstoffhandel verhindern will, schieben Cargill & Co das Menschenrecht auf Nahrung für ihre Untätigkeit vor. Da sich die Sorge der Schweizer Akteure um die globale Ernährungssicherheit bis anhin in engen Grenzen hielt, ist dieser plötzliche Sinneswandel zynisch.

Aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine fehlt dem Weltmarkt ein beachtlicher Anteil an Getreide. Dieser Mangel, gepaart mit den massiv gestiegenen Energiekosten, lassen die Preise für Lebensmittel explodieren. Die Ernährungssicherheit importabhängiger Länder im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in Asien ist akut bedroht. Die Schweiz als weltgrösster Agrarhandelsplatz zeigt sich zwar besorgt, warnt jedoch gleichzeitig vor Sanktionen gegen den Rohstoffhandel, da dies eine Hungerkrise und soziale Unruhen begünstigen würde. Die Lebensmittelpreise waren wegen schlechter Ernten und Lieferengpässen jedoch schon während der Coronakrise massiv gestiegen. Damals hatte sich die Besorgnis der Handelsnation Schweiz noch in engen Grenzen gehalten.

Nun, da mit dem Rohstoffhandel ihr Kerngeschäft bedroht ist, rückt die Versorgungssicherheit im globalen Süden plötzlich in den Vordergrund. Die drohende Ernährungskrise wird aber nicht dadurch gelindert, dass auf Sanktionen gegen den Rohstoffhandel verzichtet wird. Im Gegenteil, schliesslich alimentiert der Handel mit russischem Öl und Gas Putins Kriegskasse massgeblich. Da die Schweiz keine eigenständigen Sanktionen beschliessen, sondern nur jene ihrer Haupthandelspartner übernehmen kann, muss sie sich als grösste Rohstoffdrehscheibe dafür einsetzen, dass die EU schnellstmöglich Sanktionen gegen den Handel mit Öl und Gas ausspricht – und diese dann vollständig und unverzüglich übernehmen.

Um eine Hungerkrise doch noch abzuwenden, braucht es zudem eine international koordinierte Initiative, welche die davon besonders bedrohten Länder bei ihrer Versorgung logistisch und finanziell unterstützt. Mitte März kündigte UNO-Generalsekretär António Guterres an, eine «Global Crisis Response Group on Food, Energy and Finance» ins Leben zu rufen. Die Schweiz muss sich unverzüglich und massgeblich an diesem wichtigen Projekt beteiligen, wenn ihr die globale Ernährungssicherheit am Herzen liegt.

Doch nicht nur der Bundesrat scheut seine Verantwortung in diesem Konflikt. Auch viele Schweizer Agrarhändler tun sich schwer mit Transparenz über ihre Russland-Geschäfte und klaren Konsequenzen. Begründet wird dies gerne mit den leidtragenden lokalen Angestellten sowie dem Recht auf Nahrung der russischen Bevölkerung. Wenn diese berechtigten Argumente allerdings gerade jetzt von grossen Schweizer Agrarhändlern wie Cargill verwendet werden, dessen Geschäftsmodell weltweit immer wieder zu Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen führt, entbehrt dies nicht eines gewissen Zynismus.

Bei Geschäftstätigkeiten in und mit Krieg führenden Ländern braucht es neben Transparenz und einer klaren Positionierung zwingend eine verstärkte Sorgfaltsprüfung. Die Unternehmen müssen laufend die menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten analysieren. Bei einer Reduktion der Aktivitäten oder einem Rückzug gilt es sicherzustellen, dass dabei die Arbeitsrechte der Angestellten eingehalten werden. Gleichzeitig müssen die Unternehmen verhindern, das kriegstreibende Regime wirtschaftlich oder politisch zu unterstützen oder die Wirkung der Sanktionen zu unterlaufen.

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Silvie Lang, Agrarhandelsexpertin, 044 277 79 10, silvie.lang@publiceye.ch