Einseitig und staatspolitisch brandgefährlich: 10 Gründe sprechen gegen die «Regulierungsbremse»

Für neue Regulierungen, die Unternehmen gewisse Mehrkosten verursachen, soll künftig eine qualifizierte Mehrheit im Parlament und damit eine höhere Hürde erforderlich sein. Das ist eine Kernforderung der auf eine FDP-Motion zurückgehenden Vorlage, deren Vernehmlassungsfrist heute abläuft. In ihrer Stellungnahme zeigt Public Eye, dass dieser dreiste Deregulierungsversuch noch neun weitere grosse Haken hat und deshalb äusserst schädlich für die Schweiz ist.

Wenn ein Gesetz oder völkerrechtlicher Vertrag für mehr als 10'000 Unternehmen Kosten bringt oder die totalen Regulierungskosten über 10 Jahre gesehen 100 Millionen Franken übersteigen, müsste diesem die qualifizierte Mehrheit beider Parlamentskammern und nicht wie üblich die einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder beider Räte zustimmen. Diese höhere Hürde schlägt der Bundesrat in seiner Vernehmlassung zur Regulierungsbremse vor und erschwert damit die Regulierung von Unternehmen. Zur Einführung eines solch «qualifizierten Mehrs» müssten sogar Bundesverfassung und Parlamentsgesetz geändert werden. Public Eye sieht in dieser Sonderregelung ein gefährliches Novum, weil dadurch unterschiedliche Kategorien von Gesetzen geschaffen und ganze Gesetzgebungsprojekte unter die Klausel der «Regulierungsbremse» gestellt werden könnten – mit staats- und demokratiepolitisch fatalen Folgen.

So lässt die Vorlage die Interessen der Unternehmen, welche heute schon über die stärkste Parlamentslobby verfügen, und deren einseitiges Kostenargument zur alleinigen politischen Prämisse werden. Dabei sollten Regulierungen neben den Kosten immer auch den Nutzen neuer Gesetze – etwa für die Gesellschaft, die Umwelt, den Arbeitsmarkt und die Konsumierenden – berücksichtigen. Die aktuelle Vorlage verschärft das bereits bestehende Ungleichgewicht zwischen rein ökonomischen Interessen von Privatakteuren und den ökologischen und sozialen Interessen der Allgemeinheit. Die Aufgabe des Parlaments ist jedoch insbesondere der Schutz des Gemeinwohls, und nicht der von Geschäftsinteressen.

Faktisch würde die Regulierungsbremse zudem die systematische Missachtung von Menschenrechten legitimieren. Bei ihrer Kostenkalkulation dürften die Unternehmen dann nämlich auch durch Verbote «entgangene Gewinne» oder «eingestellte Geschäftszweige» mit einpreisen, etwa wenn schädliche Pestizide verboten werden. Das käme einer gesetzlich gestützten Profitmaximierung auf Kosten von Menschen und Umwelt gleich. Dank den bewusst vage definierten «indirekten Regulierungskosten» könnten sogar Rückstellungen für mögliche Klagen aufgeführt werden. Kein Wunder also, kennt weder die EU noch eines unserer Nachbarländer eine dieser fragwürdigen Vorlage vergleichbare (De)Regulierung.

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Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch