Fatale Freiwilligkeit: Bundesrat drückt sich seit 2013 vor Regulierung der Rohstoffbranche

Der Bundesrat wird dieser Tage eine Neubeurteilung der Lage der Schweizer Rohstoffbranche veröffentlichen, fünf Jahre nach seinem „Grundlagenbericht Rohstoffe“. Trotz unzähligen Skandalen, in die Schweizer Rohstoffhandelsfirmen involviert sind, haben es die Behörden versäumt, griffige Massnahmen gegen Korruptions- und andere Risiken zu erlassen. Deshalb analysiert Public Eye vorab in einem „Schattenbericht“ die Unterlassungssünden unserer Regierung und zeigt gangbare Wege, wie die Schweiz ihre Mitverantwortung für den Rohstoff-Fluch wahrnehmen kann und muss.

2013 anerkannte der Bundesrat, dass «mit der zunehmenden Bedeutung dieser Branche [...] ernst zu nehmende Herausforderungen» einhergehen, insbesondere in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte, die Umweltsituation in rohstoffexportierenden Ländern sowie bezüglich Korruptionsbekämpfung. Der Bericht konstatierte, dass damit «Reputationsrisiken» für die Schweiz verbunden sind. Dennoch ignorierte Bundesrat im Namen der Standortattraktivität alle Vorschläge zur Regulierung des Rohstoffhandels. Seit 2015 hat er nur gerade einen von acht parlamentarischen Vorstössen (Motionen und Postulate) zur Annahme empfohlen. Er beschränkte sich vielmehr darauf, von den Rohstoffhändlern ein „integres und verantwortungsvolles Verhalten“ zu erwarten, wie eine Analyse von Public Eye zeigt.

So auch bei Korruption, wo der Handlungsbedarf besonders gross ist, wie ein Bericht der interdepartementalen Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung 2015 festhielt: «Unternehmen der Rohstoffindustrie sind aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit bekanntermassen besonders anfällig für Auslandskorruption.» In der Tat: Ob bei Rohstoff-Deals mit Oligarchen vom Kongo bis nach Kasachstan, den Enthüllungen der Paradise Papers oder dem epochalen Korruptionsfall um den brasilianischen Erdölkonzern Petrobras: Immer wieder zeigen sich die riskanten Praktiken von Schweizer Rohstoffhandelsfirmen, die sich zweifelhafter Türöffner bedienen oder Partnerschaften mit politisch exponierten Personen eingehen, um sich Zugang zu lukrativen Märkten zu verschaffen. Die politische Untätigkeit der Schweiz blieb nicht unbemerkt: In ihrer letzten März erschienen Evaluation des hiesigen Korruptionsbekämpfungsdispositivs forderte die OECD unser Land entsprechend auf den Rohstoffhandel einer „angemessenen und verbindlichen Regulierung“ zu unterwerfen.

Selbst die einzige gesetzliche Massnahme, die 2013 für prüfungswürdig angesehen wurde – die Offenlegung der Zahlungen von Rohstofffirmen an die Regierungen der Förderländer – droht zur vollständigen Farce zu verkommen. Der Bundesrat will nämlich nur die Rohstoff-Förderung neuen Tranzparenzregeln unterwerfen. Dies obwohl die überwiegende Mehrheit der Schweizer Firmen im Rohstoffhandel tätig sind. Die Alibi-Vorlage würde dann nur gerade 4 von 544 Unternehmen des Sektors betreffen. Die Milliarden die beim Kauf von Rohstoffen, allem voran von Öl, an staatliche Stellen in Ländern mit endemischer Korruption fliessen, bleiben weiter im Dunkeln. Dies erleichtert die Selbstbedienung von Potentaten und ihrer Entourage massiv. Es liegt nun am Ständerat am 11. Dezember diese fatale Unterlassung zu korrigieren.

Zum Thema Menschenrechte, der Empfehlung 11 im Grundlagenbericht, hatte der Bundesrat 2013 eine Multi-Stakeholder-Arbeitsgruppe aus Vertretern der Handelsunternehmen, ihrer Lobbyorganisation, den Nichtregierungsorganisationen und der Verwaltung initiiert. Diese sollte eine „Guidance“ zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Rohstoffhandel erarbeiten. Public Eye war an diesem Prozess beteiligt. Nach langen Diskussionen mit einer mehr an Imagepflege als Problembehebung interessierten Branche wurde diese Anleitung heute veröffentlicht. Doch auch hier setzt der Bundesrat auf reine Freiwilligkeit: Ob und wie sie die UNO-Leitprinzipien umsetzen, liegt einzig im Ermessen der Rohstoffhändler. Mit der Konzernverantwortungsinitiative würden dagegen auch diese Unternehmen zur Umsetzung verpflichtet. Und dank der Guidance wüssten sie dann auch gleich, wie sie das tun können.

Mehr Infos hier oder bei
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Andreas Missbach, Leiter Rohstoffe, 044 277 79 07, andreas.missbach@publiceye.ch

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Die Debatte um den Rohstoffhandel in der Schweiz

Ausgelöst durch den Börsengang von Glencore und das Buch der Erklärung von Bern (heute Public Eye) „Rohstoff, das gefährlichste Geschäft der Schweiz“ rückte 2011 ein bedeutender Wirtschaftssektor ins Rampenlicht, der bis dahin kaum Beachtung gefunden hatte. Es folgten eine Reihe von Medienrecherchen und parlamentarischen Vorstössen, woraufhin der Bundesrat eine interdepartementale Arbeitsgruppe unter der Leitung von EFD, WBF und EDA schuf. Diese erarbeitete den „Grundlagenbericht Rohstoffe“, den der Bundesrat am 27. März 2013 veröffentlicht hat. In der Zwischenzeit sind drei weitere Berichte erschienen, die Rechenschaft über den Stand der Umsetzung der 17 Empfehlungen des Grundlagenberichts geben. Demnächst wird der Bundesrat eine umfassende Neubeurteilung der Lage vornehmen.