In der Schweiz produziertes Pestizid mitver­ant­wortlich für Vergiftungs­welle in Indien

Im zentralindischen Yavatmal wurden letztes Jahr innert 12 Wochen etwa 800 Landarbeiter schwer vergiftet, als sie auf Baumwollfeldern Pestizide ausbrachten. Über zwanzig von ihnen starben. Eine Recherche von Public Eye zeigt, dass ein dafür verantwortliches Insektizid aus der Schweiz stammt. „Polo" wird von Syngenta im Wallis hergestellt und in Länder des Südens ausgeführt, obwohl es hierzulande wegen seiner Gefährlichkeit für Gesundheit und Umwelt längst verboten ist. Der Nationalrat hat es nun in der Hand, diese giftigen Exporte endlich zu verbieten.

Diesen Sommer hat Public Eye im indischen Bundesstaat Maharashtra mit Überlebenden und Hinterbliebenen jener gesprochen, die letztes Jahr beim Einsatz von Pestiziden ums Leben gekommen sind – und dabei Erschütterndes erfahren. Hunderte Bauern wurden zwischen Juli und Oktober 2017 ins Spital eingeliefert, weil sie grosse Mengen an verschiedenen Pestiziden eingeatmet hatten. Viele von ihnen verloren vorübergehend ihr Augenlicht. Alleine im Distrikt Yavatmal starben über 20 Männer, in der ganzen Region Vidarbha, in der Yavatmal liegt, waren es über 50. Viele der Überlebenden leiden bis heute unter schweren gesundheitlichen Folgen.

Eines der Produkte, die von den Behörden und Bauern für die Vergiftungswelle verantwortlich gemacht werden, ist das Insektizid Polo. Der aktive Wirkstoff des Produkts, Diafenthiuron, ist eines jener 40 Syngenta-Pestizide, die das internationale „Pesticides Action Network“ als „hochgefährlich“ einstuft. Gemäss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA) ist Diafenthiuron „giftig, wenn es eingeatmet wird“ und kann bei „längerer oder wiederholter Exposition Organschäden bewirken“. In der Schweiz wie in der EU ist der Wirkstoff wegen seiner Folgen für Gesundheit und Umwelt seit Jahren verboten. Letzten Oktober hatte der Landwirtschaftsminister von Maharashtra angekündigt, ein Verfahren wegen „Totschlags“ gegen Syngenta zu eröffnen. Der Basler Konzern, der unsere Fragen unbeantwortet liess, hatte in der indischen Presse abgestritten, dass Polo für die Vergiftungen verantwortlich sei.

Unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz konnte Public Eye Dokumente einsehen, die zeigen, dass Diafenthiuron in Monthey/VS produziert und von dort in Länder des Südens exportiert wird. 2017 hat Syngenta 126,5 Tonnen davon aus der Schweiz ausgeführt, 75 Tonnen davon nach Indien. Ein Bericht an den UNO-Menschenrechtsrat hält fest, dass es eine „klare Verletzung der Menschenrechte“ darstellt, wenn man Bevölkerungen anderer Länder Giftstoffen aussetzt, die „nachweislich schwerwiegende Gesundheitsprobleme oder gar den Tod“ herbeiführen können. Die Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone (GP) fordert in einer Motion, die Schweiz müsse „dieser Doppelmoral ein Ende setzen“ und die Ausfuhr von Pestiziden verbieten, „deren Verwendung in der Schweiz wegen ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen oder auf die Umwelt verboten sind“. Der von 41 Parlamentsmitgliedern aller politischen Lager unterschriebene Vorstoss wird spätestens 2019 im Rat behandelt.

Ein anderes Mittel, Verletzungen und Todesfälle wie jene in Yavatmal zu verhindern, ist die Konzernverantwortungsinitiative. Sie sieht für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz eine verbindliche Sorgfaltsprüfung in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt vor. Syngenta müsste demnach die mit ihren Pestiziden verbundenen Risiken identifizieren und geeignete Gegenmassnahmen ergreifen. In Bezug auf die Situation in Yavatmal könnte eine seriöse Analyse nur zum Schluss kommen, dass hochgefährliche Pestizide wie Polo unter den dort herrschenden Bedingungen nicht sicher verwendet werden können. Wie unsere Reportage zeigt, haben die in ärmsten Verhältnissen lebenden Bauern keinen Zugang zu Schutzausrüstung und sind häufig kaum über die Gefährlichkeit der Pestizide informiert. Die freiwilligen Verpflichtungen der Industrie vermögen die Anwender offensichtlich nicht zu schützen, weshalb der Verkauf von hochgefährlichen Pestiziden eingestellt werden müsste. Dies umso mehr, als es im letzten Monat bereits wieder zu zahlreichen Vergiftungen gekommen ist.

Weitere Informationen in unserer Reportage oder bei
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Laurent Gaberell, Landwirtschaftsexperte, 021 620 06 15, laurent.gaberell@publiceye.ch 

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