Wie sich Glencore in Bolivien aus der Verantwortung stiehlt

In der von einer Glencore-Tochterfirma betriebenen Mine Porco im bolivianischen Hochland bauen Kooperativen Zink, Blei und Silber ab. Sie holen das aus dem Berg, was die Betreiberin übriglässt. Der Schweizer Konzern kauft den Kooperativen zwar einen Grossteil ihrer unter unmenschlichen Bedingungen gewonnenen Rohstoffe ab, schaut bei den häufigen Arbeitsunfällen und Umweltvergehen aber systematisch weg. Die Konzernverantwortungsinitiative würde helfen, diese organisierte Rechtlosigkeit endlich zu beheben.

Offizielle Unfallstatistiken fehlen, doch laut einer erfahrenen Ärztin vor Ort kommt es in der Mine Porco im Schnitt zu etwa zwanzig Todesfällen – jährlich. Als hohe Rohstoffpreise 2017 noch mehr Arbeiter als sonst in die Mine lockten, sei dort praktisch jede Woche jemand gestorben, erzählt sie in der jüngsten Recherche von Public Eye. Gemäss der Medizinerin werden regelmässig auch Minderjährige im Gesundheitszentrum des Städtchens Porco eingeliefert. Die Jüngsten seien gerade mal elf Jahre alt. Hauptursachen sind demnach nach Sprengungen herabfallende Steinplatten und Stürze. Sicherheitsvorkehrungen gibt es in den Stollen kaum, wie unser Reporter in der Mine feststellen konnte.

In Porco wird seit 700 Jahren Zink, Silber und Blei abgebaut. Betreiberin der ältesten Mine Boliviens ist die Sociedad Minera Illapa S.A., eine hundertprozentige Tochter von Glencore. 2013 hat Illapa mit der staatlichen Corporacion Minera de Bolivia (Comibol) einen 15 Jahre gültigen Assoziationsvertrag für den Betrieb der Mine Porco abgeschlossen, demzufolge «alle operativen Aspekte» unter der «exklusiven, umfassenden und vollen Verantwortung» von Illapa stehen – und damit von deren Schweizer Mutterhaus. Illapa beschäftigt etwa 400 Arbeiter, die Kooperativen zusammen mehr als zehn Mal so viele. Wenn sich für die Glencore-Tochterfirma in einem Sektor ihres Konzessionsgebiets der maschinelle Abbau nicht mehr lohnt, übernehmen sie die Restverwertung. Mit primitivsten Mitteln und unter Lebensgefahr.

Die Mine vergiftet zudem das Wasser der bergabwärts gelegenen Dörfer. In Sora Molino etwa hat die Gemeinde Porco im Fluss «Agua Castillo», der primären Trinkwasserquelle für die dortigen Bewohner, einen sechsmal über der in Bolivien zulässigen Höchstmarke liegenden Zink-Wert gemessen. Beim für Mensch und Umwelt in hoher Konzentration ebenfalls schädlichen Eisen überstieg der gemessene Wert die gesetzliche Limite um das 28-fache, beim Mangan gar um das 50-fache. Die ökologischen und sozialen Konsequenzen sind gravierend: Vom Wasser trinkende Lamas verenden, die Ernteerträge haben sich mehr als halbiert und die Menschen verlassen mangels Lebensgrundlage ihre Dörfer.

Konfrontiert mit diesen Befunden erklärt eine Glencore-Sprecherin in Baar, man arbeite mit den Behörden von Porco zusammen, «um ihre Bedenken bezüglich der Wasserqualität besser zu verstehen». Die Abnahmeverträge der Glencore-Tochter mit Kooperativen in der Mine Porco unterlägen einer Sorgfaltsprüfung, explizit auch punkto Betriebssicherheit und des Risikos von Kinderarbeit. Vor Ort ist aber offensichtlich, dass diese Prüfung weder die haarsträubenden Sicherheitsbedingungen für die Arbeiter noch den Einsatz von Minderjährigen verhindert. 

Nach Annahme der Konzernverantwortungsinitiative müsste Glencore dafür sorgen, dass die Minenaktivitäten den für die Region wichtigen Fluss Agua Castilla nicht weiter vergiften. Und der Konzern wäre gezwungen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit in Porco keine Minderjährigen schuften und es nicht mehr zu vermeidbaren, oft tödlichen Unfällen kommt.

Hier lesen Sie die vollständige Reportage. Pressebilder gibt es hier.

Mehr Infos bei

Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch

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Nachtrag: Glencore veröffentlichte am 13. November eine Stellungnahme zu unserer Reportage, die sie auch in ganzsseitigen Anzeigen publizierte. Glencore weist darin die Aussagen von Public Eye zurück – liefert aber keinerlei Argumente, die die Hauptkritikpunkte inhaltlich entkräften. Unsere Replik.