Neue WHO-Resolution: Schweiz bremst Wissenstransfer und gefährdet damit eigene Heilmittelproduktion in Afrika

Die aktuelle Pandemie zeigt, wie wichtig die lokale Herstellung essenzieller Impfstoffe und Medikamente ist. In Bern wird nach dem Lonza-Debakel deshalb erstmals eine staatlich finanzierte Produktion von Covid-19 Heilmitteln geprüft. Zugleich schränkt die Schweiz aber genau diese Möglichkeit für Entwicklungs- und Schwellenländer drastisch ein. Public Eye vorliegende Dokumente zeigen, wie BAG und Bundesrat zum Schutz der Basler Big Pharma versuchen, eine entsprechende WHO-Resolution massiv zu verwässern.

Auf Initiative von Äthiopien haben zehn afrikanische Länder Ende 2020 bei der WHO eine Resolution eingebracht, die den für eine dezentrale Produktion notwendigen Zugang zu Pharma-Knowhow und Herstellungsrechten ermöglichen soll. Dies gilt für sogenannt «unentbehrliche Arzneimittel», die von armen Ländern seit jeher mehrheitlich importiert werden müssen, aber auch für alle Covid-19 Impfstoffe und Behandlungen, obwohl die Kapazität zur Eigenproduktion eigentlich vorhanden wäre. Unter dem Titel «Strengthening local production of medicines to improve access» wird die Resolution derzeit von den WHO-Mitgliedsstaaten diskutiert und soll im Rahmen der 74. Weltgesundheitsversammlung Ende Mai verabschiedet werden. Wie bei jeder Verhandlung um den Austausch von Wissen und Zugang zu Medikamenten kommt dabei auch das Thema geistiges Eigentum zur Sprache.

Public Eye liegen Versionen des Resolutionstexts vor, die belegen, dass die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) angeführte Schweizer Delegation jegliche Verweise auf den «Covid-19 Technology Access Pool», kurz «C-TAP» streichen will. Diese zentrale WHO-Plattform für den Wissensaustausch und die Bündelung von Rechten wurde letzten Mai auf Antrag Costa Ricas lanciert und von 40 Mitgliedstaaten (davon 5 europäische) sowie zahlreichen NGOs unterstützt, darunter auch Public Eye. Die Schweizer Blockadehaltung zeigt sich beim Versionen-Vergleich:  Während sich die USA in der Fassung vom 5. März ebenfalls noch gegen den Einbezug von C-TAP aussprachen, ist die Schweiz in der Version vom 26. März das einzige Land, das noch grundlegende Vorbehalte äussert. Dieser radikale Sololauf macht deutlich, wie sehr sich die offizielle Schweiz hier in den Dienst der Pharmariesen stellt, die um jeden Preis die totale Produktionskontrolle behalten und weiter alleine darüber bestimmen wollen, wer wann wie viele Impfstoffe oder Medikamente erhält.

Aus den Dokumenten geht auch hervor, wie die Schweiz in dieser WHO-Resolution die Nutzung der sog. «TRIPS-Flexibilitäten» einzuschränken versucht. Diese bieten den souveränen WTO-Mitgliedsstaaten nationale Rechtsinstrumente wie beispielsweise Zwangslizenzen, mit denen sie zugunsten der öffentlichen Gesundheit in einen durch Patente monopolisierten Markt eingreifen können. Paradoxerweise rechtfertigt die Schweiz ihren Widerstand gegen die oben erwähnte TRIPS-Ausnahmeregelung aber mit der Existenz genau dieser Flexibilitäten. Angesichts der Probleme bei der Anwendung von Zwangslizenzen, wie sie dieses Beispiel für einen Covid-19-Impfstoff aus Kanada illustriert, sollte deren Nutzung endlich erleichtert statt weiter eingeschränkt werden. Auch damit sendet die Schweiz ein verheerendes politisches Signal und gewichtet die Pharma-Interessen der höher als das Menschenrecht auf Gesundheit.

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