Tessiner "Fashion Valley": Steueroase für Textilkonzerne

In der Schweizer Sonnenstube residieren illustre Modemarken wie Guess, Boss oder die französische Kering-Holding (u.a. Gucci und Puma). EvB-Recherchen zeigen erstmals, wie aggressiv diese und weitere im Tessin domizilierte Textilkonzerne ihre Steuerausgaben minimieren. So hat Kering 2012 rund 70 Prozent seiner Gewinne in der Schweiz versteuert, wo gerade mal zwei Prozent der Belegschaft arbeiten. Besonders stossend: Während die Tessiner Behörden Kering & Co bei der Gewinnmaximierung helfen, weigern sich diese Konzerne standhaft, ihren Näherinnen und Nähern in den Entwicklungsländern einen Existenzlohn zu zahlen.
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Seit 1997 haben sich mindestens 27 Textilkonzerne ganz diskret im Tessin niedergelassen, wie eine exklusive Recherche der EvB zeigt. Die allermeisten produzieren dort aber keine Kleider. Ihre Schweizer Niederlassungen dienen den Modeunternehmen vielmehr zur Steueroptimierung. Denn das Tessin erlaubt es den Firmen, die weltweit erwirtschafteten Erträge in ihre Schweizer Filiale zu übertragen und dort zu äusserst günstigen Konditionen zu versteuern. Die Textilbranche ist heute der grösste Steuerzahler im Südkanton. Aus gutem Grund: Während in New York ca. 41 und in Mailand etwa 25 Prozent Gewinnsteuern anstehen würden, müssen die Unternehmen im Tessin nur 5 bis 13 Prozent berappen.

Trotz der Verschwiegenheit von Unternehmen und Behörden ist es der EvB gelungen, die gängige Praxis am Fall des französischen Konzerns Kering aufzuzeigen, zu dem Weltmarken wie Gucci, Yves Saint Laurent oder Puma gehören. Die Produktivität seines Schweizer Hauptsitzes namens Luxury Goods International (LGI) im Dorf Cadempino ist phänomenal: 2012 steuerte LGI fast 70 Prozent zum Gesamtgewinn des Konzerns bei. Ohne eine Nähmaschine zu berühren, hat so jeder der etwa 600 im Tessin angestellten Mitarbeiter 116 Mal mehr Gewinn erwirtschaftet wie der Durchschnitt  der übrigen weltweit 30‘400 Angestellten. Und Kering ist kein Einzelfall: The North Face Sàrl in Lugano (Umsatz 2014: 2,3 Mrd. CHF) soll derzeit sogar völlig von kommunalen und kantonalen Steuern befreit sein.

Wie die Fälle von Ebay, Coca Cola oder Starbucks jüngst zeigten, optimieren auch andere Grosskonzerne ihre Steuerausgaben. In der Textilindustrie ist diese aggressive Praxis aber besonders stossend: Denn hier unterstützt ein Schweizer Kanton jene Grosskonzerne darin, zum Wohl ihrer Aktionäre Steuern zu optimieren, deren Geschäftsmodell darin besteht, die HerstellerInnen ihrer Produkte in Asien, der Türkei oder Italien mit Dumpinglöhnen abzuspeisen.

Weitere Informationen hier oder bei: Oliver Classen, Erklärung von Bern, 044 277 70 06, oliver.classen(at)evb.ch