Bangladesh Accord: Eine fragwürdige Einigung

Nachdem die Zukunft des Gebäudesicherheitsabkommens von Bangladesch wegen Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof lange Zeit unklar war, konnte nun eine Einigung getroffen werden. Die Clean Clothes Campaign und Public Eye stehen dieser Lösung kritisch gegenüber: zu viel bleibt unklar, und es bestehen Zweifel an der Unabhängigkeit des neuen Gremiums.

Am 19. Mai 2019 kam es vor dem Obersten Gerichtshof von Bangladesch zu einer Einigung über die Zukunft des Gebäudesicherheitsabkommens, auch Bangladesh Accord genannt, welche die Berufungsabteilung des Obersten Gerichtshofs von Bangladesch akzeptiert. Dieses Memorandum of Understanding (MoU) sieht vor, dass das Accord-Büro für eine Übergangszeit von 281 Arbeitstagen in Bangladesch seine Arbeit weiterführen kann. Danach soll eine neue nationale Institution namens RMG Sustainability Council (RSC) die Aufgaben des Gebäudesicherheitsabkommens übernehmen. Teil der neuen Institution werden der Arbeitgeberverband der Textilfabriken (BGMEA), die Modemarken sowie Gewerkschaften sein.

Zwar kann dank des Memorandums das Büro des Accords ein weiteres Jahr seiner Arbeit nachgehen, und die seit Juni andauernde Unsicherheit über die Zukunft des Accords hat endlich ein Ende. Doch kritisieren Medien und Arbeitnehmervertreter, dass das Memorandum die Unabhängigkeit des Accords schwächen und den Fabrikbesitzern mehr Macht einräumen könnte. Auch über die Funktionsweise, das Durchsetzungsvermögen und Unabhängigkeit der neuen Institution RMG Sustainability Council (RSC) gibt es Zweifel. "Es wird schlimme Folgen haben", prophezeite Bangladeschs Gewerkschaftsführer Babul Akhter der AFP.

Zu grosse Einflussnahme des Arbeitgeberverbands befürchtet

Während der Übergangszeit wird eine Gruppe von BGMEA-Vertretern im Büro des Accords präsent sein und über die Kompetenz verfügen, die Korrekturmassnahmenpläne der als mangelhaft befundenden Fabriken zu bewerten. Dies wirft Fragen nach dem Einfluss der Arbeitgeber auf die unabhängigen Entscheidungsprozesse der Accord-Mitarbeiter auf. Es ist zu befürchten, dass die BGMEA versuchen wird, Einfluss auf das unabhängige Funktionieren des Accords auszuüben; zum Beispiel wenn Fabriken auf eine Schwarze Liste gesetzt werden, weil sie die Korrekturmassnahmenpläne des Accord-Büros nicht befolgen. Tatsächlich heisst es in der aktuellen Pressemitteilung des BGMEA, dass dieser Eskalationsprozess eine Zustimmung des BGMEA erfordert. Im Memorandum ist jedoch lediglich die Rede von einer "Zusammenarbeit" im Eskalationsprozess. Die unklare Formulierung des MoU führt zu unterschiedlichen Auslegungen.

Fragen und Bedenken zum RMG Sustainability Council (RSC)

Obgleich das neu zu gründende nationale Überwachungssystem zur Einhaltung der Sicherheitsvorschriften (RMG Sustainability Council RSC) die Infrastruktur des Accords übernehmen, dessen Arbeit fortsetzen und dieselbe Transparenzstufe beibehalten soll, ist unklar, wie die Entscheidungsstruktur, der Finanzierungsprozess oder das Durchsetzungsvermögen der neuen Institution aussehen wird und ob sie den gleichen rechtsverbindlichen Charakter wie der Accord haben wird.

Der Accord wurde zwischen den globalen Branchengewerkschaften IndustriALL, Global Union, UNI Global Union sowie bangladeschischen Gewerkschaften und international tätigen Markenfirmen geschlossen. Im Accord-Vorstand sind die globalen Modemarken und Gewerkschaften zu je fünfzig Prozent vertreten und Nichtregierungsorganisationen wie die Clean Clothes Campaign haben Beobachterstatus. Die Aufnahme der BGMEA in die Entscheidungsstrukturen der neuen Institution RSC wirft die Frage auf, ob zukünftig die Arbeitnehmerseite weiterhin die Hälfte der Stimmen in der Führungsstruktur haben wird, oder ob sie bald von Modemarken und dem Arbeitgeberverband überstimmt werden kann.

Auch ist unklar, was der Ausschluss von NGOs aus dem neuen Gremium für die Transparenz dieser Institution bedeuten wird und wie dies in einem Land zu interpretieren ist, in dem die Gewerkschaftsfreiheit unter extremem Druck steht. Darüber hinaus könnte sich eine sichtbare Arbeitgeberpräsenz innerhalb des Accord-Büros negativ auf die Bereitschaft der Arbeitnehmenden auswirken, sich auf ihren Beschwerdemechanismus zu verlassen, eines der wichtigsten Merkmale der Accords.

Die Notwendigkeit von verbindlichen, transparenten und unabhängigen Sicherheitskontrollen

Im Interesse der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch ist es äusserst wichtig, dass die neue Institution RSC nach den gleichen Grundsätzen und Kriterien arbeitet wie das Gebäudesicherheitsabkommen. Dazu gehören:

  • ein genaues und transparentes Inspektionssystem, das unabhängig von jeglichem Einfluss der Arbeitgebervertretung arbeitet;     
  • Schulungen für Arbeitnehmende und ein Beschwerdemechanismus, der es ihnen ermöglicht, sich für ihre eigene Sicherheit einzusetzen und ihre Interessen gegen die Interessen der Unternehmensleitung zu verteidigen, ohne Vergeltungsmassnahmen befürchten zu müssen;     
  • robuste und zuverlässige Durchsetzungsmechanismen, mit denen die Gewerkschaften in der Lage sind, die Vereinbarung durch ein verbindliches Schiedsverfahren durchzusetzen; und     
  • eine starke Leitung, welche unabhängig Entscheidungen über Korrekturmassnahmen treffen und falls nötig (Folge-)Inspektionen planen kann.

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Update November 2021

Seit Juni 2020 werden die Aufgaben des Bangladesh Accord (2013-2021) von der neuen nationalen Institution RSC durchgeführt. Unser Zwischenfazit von Januar 2021 zeigt jedoch: Der RSC muss deutlich mehr machen, um in Bangladesch für sichere Textilfabriken zu sorgen.

Nach monatelangen Verhandlungen über die Fortführung des Bangladesh Accords einigten sich die internationalen Gewerkschaftsverbände und Vertreter der Modefirmen im September 2021 auf ein neues internationales Abkommen für Gesundheit und Arbeitssicherheit. Dieses bewahrt nicht nur das durch den Bangladesh Accord eingeführte, erfolgreiche Modell, sondern baut es weiter aus. Die Mehrheit der Schweizer Modeunternehmen steht beim neuen internationalen Abkommen jedoch abseits. Wir erwarten von allen in Bangladesh produzierenden Modeunternehmen, dass sie ihren Beitrag zur Sicherheit der Arbeiter*innen leisten und jetzt das Abkommen unterzeichnen.