«Hinter dem Gegenvorschlag des Nationalrats konnte ich zu 100% stehen»

Die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala hatte sich im Parlament mit Vehemenz für den knapp gescheiterten, griffigen Gegenvorschlag des Nationalrats zur Initiative eingesetzt. Ihr Engagement für einen glaubwürdigen Kompromiss sei klar «im freisinnigen Geist», schliesslich laute das Motto des Freisinns «Freiheit UND Verantwortung».
© André Springer

Hat dich das Thema Unternehmensverantwortung erst politisch oder beruflich zu interessieren begonnen?

Als Vorsitzende des Beirats von RepRisk AG bin ich seit Jahren sensibilisiert auf die sogenannten ESG-Standards zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung. Gerade auch Investoren legen zu Recht immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit. Ich war immer und bin auch heute der Meinung, dass gelebte Corporate Social Responsibility international «State of the Art» sein muss und wir unsere Wirtschaft so positionieren sollten, dass sie gleiche Wettbewerbsbedingungen wie andere hat, auch punkto ESG-Verantwortung. Die Schweiz als wohlhabendes Land muss sich «vorbildlich» zeigen, aber bitte auf Augenhöhe mit internationalen Mitbewerbern! Dafür setze ich mich ein.

Dafür gäbe es ja die Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD.

OECD-Standards sind mühsam zu koordinieren und durchzusetzen. Aber wenn die OECD-Länder zusammen mit internationalen Wirtschaftsverbänden einen Konsens finden, was zu tun ist, dann muss das dann auch umgesetzt werden. Seit 2011 besteht im Grunde bereits Einigkeit darüber, dass multinationale Unternehmen Sorgfaltsprüfungen für ESG-Risiken machen müssen. Da fällt es mir schon schwer zu verstehen, was das Problem ist, wenn man das zehn Jahre später auch im Gesetz festschreibt. Frankreich hat das schon 2017 gemacht, Deutschland ist soeben daran. Ich habe mich deshalb im Parlament vehement für den echten Kompromiss und härteren Gegenvorschlag des Nationalrats eingesetzt. Leider bin ich untergegangen.

Wie schätzt du die Arbeit von Public Eye in diesem Themenfeld ein?

Public Eye nehme ich als verlässlichen und kompetenten Partner wahr. Ich konnte mich auf eure Aussagen und euer Wort verlassen. Logisch sehe ich es als Freisinnige und Wirtschaftsvertreterin etwas differenzierter und anders: Nachhaltigkeit betrifft immer auch nachhaltigen Schutz von Arbeitsplätzen, nachhaltiges Lösen von grossen Gesellschaftsfragen und ökologische Überlegungen. In einer Demokratie braucht es uns alle! Verantwortung hat daher mehrere Gesichter. Den Druck von Public Eye nahm ich immer als hart, aber sachlich wichtig wahr. Wer wie Public Eye viel fordert, weiss auch, dass der Kompromiss nicht bei den Maximalforderungen liegen kann. Das ist unser System ... Ich hatte es begrüsst, dass die Initianten gegenüber dem Parlament transparent und verbindlich erklärt hatten, dass sie bei Annahme des nationalrätlichen Gegenvorschlags die Initiative zurückgezogen hätten.

Professor John Ruggie, der Autor der UNO-Leitprinzipien, vollbrachte 2011 das politische Kunststück, in diesem umstrittenen Bereich einen von Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft anerkannten globalen Standard zu schaffen. Wie kamst du mit seiner Arbeit in Kontakt?

Ich hatte Professor Ruggie im Konflikt rund um die FIFA und die anstehende Weltmeisterschaft in Katar bereits vor Jahren in die Schweiz geholt. Er ist eine Referenzgrösse für mich. Ich war mit meinen Bemühungen aber etwas zu spät dran. Und Sepp Blatter war nicht mehr ausreichend in der Lage, zusammen mit Ruggie neue Massstäbe zu setzen. Dennoch hat sich selbst in der FIFA einiges bewegt.

Die Initiative wurde erst lanciert, nachdem sich der Nationalrat 2015 hauchdünn dagegen entschieden hatte, auf Basis der UNO-Leitprinzipien eine Schweizer Sorgfaltsprüfungspflicht zu fordern. Damals warst du noch sehr skeptisch. In den letzten Jahren hast du dich aber mit Teilen der Wirtschaft für einen glaubwürdigen Kompromiss stark gemacht. Wieso?

Ich habe zu viel gesehen in der Entwicklungszusammenarbeit und im Europarat, zu viel! Man kann nicht so handeln, als würde uns das nicht betreffen: All risks are global! Zudem lautet das Motto des Freisinns «Freiheit UND Verantwortung». Ich handle daher klar im freisinnigen Geist.

Eine überparteiliche Gruppe um Hans-Ueli Vogt (SVP/ZH) hat einen griffigen Gegenvorschlag entwickelt. Der Nationalrat sagte viermal Ja dazu, Economie­suisse bekämpfte ihn vehement, der Ständerat setzte in letzter Minute eine Alibi-Alternative durch: Wie hast du diese dreijährige Odyssee erlebt?

Das ist Politik! Ich hätte es mir aber in der Tat anders gewünscht. Das Parlament hatte es in der Hand, einen breit getragenen Kompromiss zu verabschieden. Das hatten sich namentlich auch bedeutende Teile der Wirtschaft gewünscht. Im Nationalrat sprachen wir uns vier Mal für den erst ganz am Schluss gescheiterten, glaubwürdigen Gegenvorschlag aus. Der Ständerat hielt schlussendlich erfolgreich dagegen.

Überrascht dich das grosse Echo, das die Initiative erst im Parlament und nun in der Bevölkerung auslöst?

Gar nicht:

Menschen wollen, dass wir eine florierende Wirtschaft haben, aber sie wollen auch, dass wir beim Geldverdienen Respekt leben und eine gute Wertehaltung sowie Verantwortung an den Tag legen.

Ich sehe es deshalb als Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass vorbildliche Unternehmen vor unfairer Konkurrenz geschützt werden, die sich weniger um grundlegende Nachhaltigkeitsstandards kümmern.

Und woher rührt dann der heftige Widerstand von Teilen der etablierten Wirtschaftsverbände?

Gleiche Wettbewerbsbedingungen verteidige auch ich, wie die Wirtschaft! Aber für mich muss der Kompromiss das Mass aller Dinge bleiben! Den grossen Dachverbänden der Wirtschaft mangelte es in diesem Dossier leider wirklich an entsprechender Bereitschaft und auch an Gespür für den veränderten Zeitgeist. Im Gegensatz zu den Unternehmen selber: Eine aktuelle Befragung des grossen Beratungsunternehmens Deloitte unter 112 Finanzchefs kommt zum Schluss, dass etwa die Hälfte bei Annahme der Volksinitiative gewisse Zusatzkosten für das Management ihrer Lieferkette erwartet, dies aber wohl kaum Einfluss auf Produktionsstandorte oder Arbeitsplätze in der Schweiz hätte und insgesamt Gelassenheit herrscht. Das ist ein ziemlicher Kontrast zur Panikmache der Dachverbände. Damit man mich nicht falsch versteht: Auch in den Dachverbänden gibt es Brückenbauer, aber diese konnten sich zu wenig durchsetzen. Ich halte das für problematisch – für die Wirtschaft, aber auch für unsere politische Kultur.

Nun greift auch Operation Libero auf Seite der Befürwortenden in den Abstimmungskampf ein. Wie wichtig ist dieses Signal?

Ein wichtiges Signal! Ich habe aber nicht für Operation Libero kandidiert, sondern für den Freisinn. Loyalität der eigenen Partei gegenüber ist ein wichtiger Wert für mich.

Von den 146 Volksinitiativen seit dem Jahr 1980 genossen nur deren 7 noch breitere Unterstützung als die Konzernverantwortungsinitiative – gemessen an den Parteiparolen. Überrascht dich das und wagst du eine Prognose zum Ausgang?

Es überrascht mich nicht ... ich mache jedoch keine Pro­gnosen, sondern bestmögliche Sachpolitik! Das bedeutet für mich: Sollte die Initiative vom Volk angenommen werden, dann werde ich mich dafür einsetzen, dass wir im Parlament auf den nationalrätlichen Gegenvorschlag zurückgreifen und auf diesem aufbauen. Hinter dem Gegenvorschlag konnte ich zu 100% stehen. Von den Initianten erwarte ich in der Umsetzung dann auch Pragmatismus! In diesem Sinne begrüsse ich es, dass ihr anfangs Oktober konkrete Umsetzungsideen auf Gesetzesebene publiziert habt. Ich kann der NZZ in diesem Punkt nur zustimmen, wenn sie schreibt: «Immerhin kann man hier im Unterschied zu manch anderen Urnengängen den Initianten nun den Vorwurf nicht machen, dass sie vor der Abstimmung keine Angaben über eine mögliche Umsetzung gemacht hätten.»
 

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Das Interview wurde schriftlich geführt. Es erschien im Public Eye Magazin vom November 2020. Das Interview zum Download als PDF.

Seit 2007 ist Doris Fiala für die FDP im Nationalrat. Sie ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des Zürcher Freisinns, vertrat die Schweiz im Europarat und war von 2009 bis 2015 Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N). In dieser Funktion kam sie auch in Kontakt mit Urs Rybi, dem Politikverantwortlichen für Rohstoff und Konzernverantwortung von Public Eye. Er vertrat die Initiativkoalition während der mehrjährigen parlamentarischen Beratung gegenüber dem Parlament.