Arztgeheimnis und Quellenschutz? Dem Geheimdienst egal.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll neu mehr Personengruppen mit erweiterten Überwachungsmethoden und unter erleichterten Bedingungen überwachen und dazu auch in Computersysteme von Gesundheitspersonal, Medienschaffenden und Anwält*innen eindringen dürfen. Was Sie Ihrer Ärztin erzählen, könnte künftig also jemand vom Geheimdienst mitlesen.

Es geht scheinbar nur um eine kleine Änderung, doch diese hat Sprengkraft: Im Rahmen der laufenden Revision des Nachrichtendienstgesetztes (NDG) soll unter Art. 28, Abs. 2, in Bezug auf «genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen» (GEBM) folgender Passus gestrichen werden: «Die Massnahme darf nicht angeordnet werden, wenn die Drittperson einer der in den Artikeln 171–173 Strafprozessordnung genannten Berufsgruppen angehört.»

Hinter der geplanten Streichung verbirgt sich ein grundrechtliches und berufsethisches Erdbeben mit gravierenden Auswirkungen für uns alle. «Genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen» beinhalten unter anderem die Telefon- und Postüberwachung oder das Eindringen in einzelne Computer oder ganze Netzwerke. Die genannten Berufsgruppen umfassen Psycholog*innen, Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Chiropraktor*innen, Apotheker*innen, sowie ihre Hilfspersonen, Geistliche, Rechtsanwält*innen, Verteidiger*innen, Notar*innen und Patentanwält*innen.

Sie alle unterliegen dem Berufsgeheimnis; rechtlich verankert ist auch der Quellenschutz für Medienschaffende. Daraus folgt: Gespräche zwischen Patient und Ärztin sind heute geschützte Informationen und Journalist*innen können ihren Informant*innen Vertraulichkeit garantieren. Neu will der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) nun aber auch in den Laptops von Rechtsanwält*innen, Medienschaffenden, Pfarrer*innen oder medizinischem Personal nach Daten suchen können. Diese würden davon freilich kaum etwas mitbekommen, denn «die Massnahmen werden verdeckt durchgeführt; die betroffene Person wird darüber nicht in Kenntnis gesetzt.»

Gesetzliche Schranken: nebensächlich…

Wenn Sie jetzt denken, dass diese Änderungen Sie nicht betreffen, weil Sie zwar politisch engagiert sind, aber weder Sie selbst noch Ihre Klient*innen terroristische Pläne hegen, dann muss ich Sie enttäuschen: Das bis anhin klare Verbot zur Beschaffung von «Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz» soll ebenfalls ausgehebelt werden. Neu sind zahlreiche Ausnahmen geplant, die es dem NDB faktisch ermöglichen, politische Aktivitäten nach Belieben mitzuschneiden (Art. 5. Abs. 5-8 und Art. 6 NDG). Zudem sollen die «genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen» (GEBM), die bis anhin nur bei konkreten Bedrohungen im Bereich Terrorismus, Spionage, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder Angriffen auf kritische Infrastruktur angeordnet werden konnten, neu auch bei drohendem «Gewaltextremismus» zum Einsatz kommen können – ein Gummibegriff, der rechtlich nicht definiert ist. Wie schnell eine Person oder Organisation in dieser «Gewaltextremismus-Ecke» landen kann, zeigt die Fiche von Public Eye: kritische politische Kampagnen reichen dazu aus.

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Bereits heute hält sich der Geheimdienst nicht an gesetzliche Schranken - mit der NDG-Revision soll er einen Blankoscheck für die Überwachung politischer Aktivitäten erhalten.

Parlamentarische Aufsicht? Bloss lästig!

Auch Bundesparteien und Parlamentarier*innen sind vor geheimdienstlichen Zugriffen nicht geschützt. Die Grüne Partei Schweiz etwa wurde in den letzten Jahren mit über 100 Einträgen in den sicherheitsrelevanten Datenbanken des NDB vermerkt, obwohl das heutige Gesetz derlei Fichierung eigentlich verbietet. Auf die parlamentarische Frage, wie viele Einträge der NDB summarisch über alle im Bundehaus anwesenden Parteien und Volksvertreter*innen in seinen Datenbeständen hat und wie viele davon in sicherheitsrelevanten Datenbanken abgelegt sind, heisst es in der Antwort vom 24. August 2022 flapsig, die Berichte des NDB an Bundesrat und Aufsichtsbehörde seien als «VERTRAULICH klassifiziert». In vielen anderen Ländern hätte der blosse Umstand, dass der eigene Geheimdienst demokratisch gewählte Bundesparlamentarier*innen fichiert oder fichieren könnte, zu einem gesellschaftspolitischen Aufschrei mit Personalkonsequenzen geführt. In der Schweiz scheint es bis anhin eine friedliche Ko-Existenz zu geben: Das Parlament erlässt Gesetze, und der NDB tut damit, was er will.

NDG-Revision: Nachbesserung dringend nötig

Es geht daher um Grundsätzliches: Wie gestalten wir das Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Schutz vor Angriffen und dem Schutz der Grundrechte, der Medienfreiheit und des Berufsgeheimnisses? Wieviel parlamentarische Aufsicht über den Geheimdienst wollen und brauchen wir Bürger*innen, und welche Rechenschaftspflicht hat der NDB gegenüber dem Parlament?

In der laufenden Revision des NDG ist deshalb besonders solides politisches Handwerk gefragt: Das NDG und die parlamentarische Aufsicht über die Einhaltung des Gesetzes müssen bezüglich Aufgabengebiet Rechenschaftspflicht und Kompetenzen präzise ausgestaltet und die nachrichtendienstliche Datenbeschaffung wirksam begrenzt sein. Schliesslich geht es dabei um sensible persönliche Daten und die demokratierelevante Medienfreiheit.

Die aktuelle Revisionsvorlage stellt dem Geheimdienst einen Blankoscheck aus.

Das schafft keine zusätzliche Sicherheit für unser Land, sondern neue Unsicherheit für die betroffenen Berufsgruppen und ihre Klient*innen, für die Medienschaffenden und für uns Bürger*innen. Ein Nachbessern ist daher zwingend nötig.

Weitere Informationen

«Grundrechte sind wie die Gesundheit: wer sie hat, bemerkt sie gar nicht, wer sie verliert, vermisst sie schmerzlich.»  

Christa Luginbühl arbeitet seit über 10 Jahren bei Public Eye und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr thematischer Schwerpunkt sind Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten, insbesondere in der Pharmaindustrie, Landwirtschaft, im Konsum und Agrarrohstoffhandel.

Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch

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