Glencore, die Kohle und der Mythos der Einhörner
Adrià Budry Carbó, 30. Juni 2025
Das Einhorn ist ein Fabelwesen, das oft mit dem Ideal der Reinheit in Verbindung gebracht wird. Die Tatsache, dass nie jemand ihre Existenz bezeugen konnte, hat diese lustigen Pferde mit Hörnern nicht davon abgehalten, die Erzählungen der Homo sapiens seit Urzeiten zu bevölkern. Zu diesen sogenannten «nützlichen» Mythen gehört auch der Begriff Peak Coal, der den Zeitpunkt bezeichnet, an dem die weltweite Produktion der umweltschädlichsten aller fossilen Energieträger ihren Höhepunkt erreicht, bevor sie in eine unaufhaltsame Phase des Niedergangs eintritt.
2024 hatte ich in einem kleinen Buch über dieses Fossil, das nur auf Französisch erschienen ist, Alarm geschlagen: Unser Planet habe gerade die symbolische Schwelle von 8 Milliarden Tonnen Produktion in einem Jahr überschritten. Nun stehen wir kurz davor, die Marke von 9 Milliarden Tonnen verbrannter Kohle zu überschreiten, und der Trend scheint sich sogar noch zu beschleunigen. Was jedoch niemanden davon abhält, weiterhin an Einhörner zu glauben.
Unterdessen wurde der Multilateralismus aufgegeben, das Pariser Klimaabkommen wird in Frage gestellt: Die Aussichten für die Welt werden immer düsterer. Und die multinationalen Rohstoffkonzerne – wie BP – brechen bereits ihre schönen Versprechungen. Nach seinem Einzug ins Weisse Haus unterzeichnete Donald Trump ein Dekret, das in trumpschen Worten darauf abzielte, «die schöne amerikanische Industrie der sauberen Kohle wiederzubeleben». Der Milliardär will stillgelegte Kohleminen und Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen, um den explosionsartigen Anstieg des Strombedarfs zu bewältigen, den die künstliche Intelligenz verursacht. Sprich: Für die Technologien des 21. Jahrhunderts braucht es die Energie aus dem 19. Jahrhundert.
Im Palast von König Kohle
Zu den Unternehmen, die sich am meisten vom 19. Jahrhundert inspirieren lassen, gehört Glencore, ein Konzern, der sich auf den Abbau von und den internationalen Handel mit Kohle spezialisiert hat. Die AG mit Hauptsitz in Baar hielt Ende Mai ihre Generalversammlung in Zug ab. Der von Marc Rich gegründete Konzern hat sich verpflichtet, bis 2050 CO2-neutral zu werden, doch Jahr für Jahr erwirbt er Kohleminen, die seine Konkurrenten nicht mehr haben wollen. Zuletzt erwarb Glencore die kanadischen Minen von Teck Resources, die zwischen Juli 2024 und dem ersten Quartal 2025 nicht weniger als 19,1 Millionen Tonnen Kohle förderten (und deren Emissionen in Glencores Klimabilanz 2024 nicht berücksichtigt sind, wie das Westschweizer Wirtschaftsmagazin «Agefi» aufdeckte).
Traditionell wird Kohle, die zur Befeuerung von Hochöfen in der Stahlindustrie verwendet wird, als metallurgische Kohle bezeichnet. Glencore hingegen nutzt den weniger verbreiteten Begriff der «steelmaking coal» (Kohle für die Stahlherstellung) und grenzt diese Produktion damit stärker ab von jener der thermischen Kohle, die für die Stromerzeugung bestimmt ist.

Doch ob metallurgische Kohle oder «steelmaking coal»: Entscheidend ist, dass diese «Industrie»-Kohle nicht unter die Ausschlusskriterien der Schweizerischen Nationalbank, der Geschäftsbanken oder der meisten institutionellen Investoren fällt, da sie als unverzichtbar für die Fabriken gilt – und für die Energiewende.
Indem die smarten Köpfe in Baar den Begriff «steelmaking coal» verwenden, binden sie Glencore in die Energiewende ein, ähnlich wie dies die Publireportagen des multinationalen Unternehmens in den wichtigsten Zeitungen der Schweiz tun.
Die Realität sieht etwas differenzierter aus. Wie die Automobilindustrie vor ihr behauptet auch die Metallindustrie, dass es keine wirtschaftlich tragfähige Alternative zu fossilen Brennstoffen gibt. Eine faule Ausrede, mit der jede Debatte über alternative Investitionen unterbunden werden kann. Und vor allem stellt die metallurgische Kohle eine weitere Lücke in den Ausschlusskriterien für Banken dar, die so viele Löcher aufweisen wie Emmentaler Käse.
Äpfel werden mit Birnen verglichen
Bei den Dutzenden von Kohlekategorien und Hunderten von verschiedenen Qualitäten kann man schon mal den Überblick verlieren. Die Folge davon: Die Unterscheidung zwischen thermischer und metallurgischer Kohle ist nicht immer eindeutig und die Endverwendung kann sich am Ende der Kette ändern, je nach den kommerziellen Gegebenheiten des Kohlehandels, der immer noch weitgehend von der Schweiz aus betrieben wird.
Das jedenfalls berichtet die Wirtschaftsagentur Bloomberg in ihrer jüngsten Branchenanalyse. In Japan, Südkorea oder Taiwan haben Wärmekraftwerke in den letzten Monaten nämlich eine Qualität erworben, die als «semi-soft coking coal» bezeichnet wird und typischerweise zur Kategorie der metallurgischen Kohle gehört. Sehen Sie, was auf dem Spiel steht, wenn die globale Kohleproduktion immer weiter steigt?

Lesen Sie unsere Reportage von 2023: Australiens giftige Kohle
Glencore hat sich in diesem Spiel hervorgetan, indem der Konzern seine australische Mine Hail Creek im Umweltverträglichkeitsbericht zur geplanten Erweiterung der Anlage so «transformiert», dass sie vor allem Kokskohle produziert – und das vor den Augen der australischen Regulierungsbehörden, die das Projekt prüfen sollten. Gemäss der auf Klima- und Energiefragen spezialisierten gemeinnützigen Organisation hat Hail Creek 2024 jedoch mehr thermische Kohle für Kraftwerke als Kokskohle exportiert. Im Übrigen ist die Mine dafür bekannt, dass der Kohleabbau zwischen drei- und achtmal mehr Methan ausstösst als Glencore angibt.

Der Rohstoffsektor hat ein Interesse daran, die Verwirrung aufrechtzuerhalten, da er darum kämpft, Banken zu finden, die noch bereit sind, ihm Geld zu leihen. Etwa 150 renommierte Finanzinstitute kennen Beschränkungen für thermische Kohle, so die NGO Reclaim Finance, die von Bloomberg zitiert wurde.
Dies weckt ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit der von der Branche präsentierten Zahlen. Dies sollte Investoren in Rohstoffkonzerne dazu veranlassen, ein wenig in sich zu gehen... Oder zumindest nicht mehr an Einhörner zu glauben.

«Als ich im Junior-Team spielte, sagte mein Trainer immer: 'Wenn Du das Spiel gewinnen willst, musst Du Deinen Kopf dahin stecken, wohin andere nicht einmal den Fuss setzen würden.' Vielleicht hatte er Recht.»
Adrià Budry Carbó ist Mitglied des Rechercheteams von Public Eye, spezialisiert auf den Rohstoffhandel und der Finanzkriminalität. Davor war er Journalist bei der Tageszeitung Le Temps sowie der Tamedia-Gruppe. In einem anderen Leben arbeitete er ebenfalls am Nuevo Diario in Nicaragua. Er ist der Autor von «La Suisse sur des charbons ardents: enquête sur une industrie toxique», Ed. Savoir Suisse/EPFL Press, mai 2024.
Kontakt: adria.budrycarbo@publiceye.ch
Twitter: @AdriaBudry
Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.
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