On: Weltklasse in Zürich, unter «Ferner liefen» in Vietnam

In aufgeräumter Stimmung und mit viel Eigenlob für den Brand und das Land weihte das Marketingwunder On Anfang Juli eine neue Anlage in ihren Zürcher «Labs» ein. Hier übernehmen neuerdings Roboterarme die Schuhproduktion. Im grossen Trubel gingen leider diejenigen vergessen, ohne die es das Milliardenbusiness «Made in Switzerland» nicht gäbe – und auch keinen On-Sprühschuh: die Niedriglohnarbeiter*innen in Vietnam.

Ob On in ist, ist eine strittige Frage. Fraglos ist: On ist on. Von drei Zürcher Freunden gegründet, die viel von Laufsport und sehr viel von Marketing verstehen, hob das Startup in Rekordzeit in die Stratosphäre der Sportschuhindustrie ab, dort wo sich die ganz Grossen der Branche wie Nike und Adidas tummeln. Ja, die Firma holte in gerade mal fünfzehn (!) Jahren die Giganten der Branche nicht nur ein, sondern hängte sie auch gleich ab. Dies zumindest war der Eindruck, den man an diesem lauen Frühsommerabend im Schweizer Epizentrum des Tech-Hypes, dem Toni-Areal im Zürcher Kreis 5, bekommen musste.

Dort machten sich die drei On-Gründungspioniere und heutigen Multimillionäre, flankiert von Prominenz aus Sport, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft (auffällig viele von ihnen On-Schuh-tragend), dazu auf, mit der Eröffnung ihrer «LightSpray»-Anlage feierlich die Zukunft der Sportschuhproduktion einzuläuten – oder zumindest ihre Vision davon. Grösser könnte der Kontrast kaum sein: Anstelle einer Fabrikhalle in Vietnam, in der Arbeiter*innen im Akkord von morgens früh bis abends spät zu Niedriglöhnen Schuhe zusammennähen und -leimen, wurde der interessierten Schweizer Öffentlichkeit eine menschenleere Halle präsentiert, in der es eher aussah wie in einer Zahnarztpraxis. Vier weisse Roboterarme rotierten hinter Plexiglaswänden, einen Leisten in der Roboterhand, den sie mit einer Art Heissleimpistole mit so genanntem Thermoplastik besprühen liessen.

© On / Logan Swney
Ersetzt hunderte von Arbeiter*innen, kann aber doch nur den Oberschuh sprühen: Roboterarm in den «On Labs» in Zürich.

Einer dieser Arme, so erklärte On-Co-Gründer Caspar Coppetti, ersetze rund 200 bis 300 Arbeiter*innen. Einarmig erledige er deren Arbeit in gerade mal drei Minuten, aktuell. In Zukunft soll es noch schneller gehen.

Die Stimmung im offenen Präsentationsraum des «On Labs» an diesem Abend war für Schweizer Verhältnisse geradezu euphorisch. Unternehmerweisheiten im Startup-Slang flogen nur so durch den Raum («Wir fürchten uns nicht vor dem Scheitern, wir fürchten uns davor, etwas nicht zu probieren», «Wir feiern Misserfolge, wir führen eine Wall of Shame»). ETH-Präsident Joël Mesot lobte auch die Schweiz zusammen mit On in die höchsten Sphären, als Zentrum der Innovationskraft, des Unternehmergeistes und natürlich weltweit unerreichter Qualität.

Diese Aufbruchstimmung wollten im Vorfeld offenbar auch die Zürcher Gerichte nicht bremsen. Sie wiesen Ende Juni eine Klage des Westschweizer Konsument*innenverbands FRC wegen Greenwashings ab. Es ging darum, dass On versprochen hatte, sein Modell Cloudneo zu 95% zu recyclen, jedoch zwei Jahre später, wie eine Recherche von RTS aufdeckte, noch kein einziger Schuh recycelt worden war. Dass On den Schuh in dieser Zeit dennoch bereits damit bewarb, sei, so heisst es in der gerichtlichen Argumentation, «eine geschickte, aber zulässige Marketingstrategie».

Eitel Freude also allenthalben. Weit weg waren an diesem Abend nicht nur die Klage des Konsument*innenverbands, sondern auch die anderen (PR-)Misserfolge der – gemäss Eigendeklaration durch und durch schweizerische Werte verkörpernden – Firma im Bereich Nachhaltigkeit und Arbeiter*innenrechte: Die anfangs mangelhafte Qualität der Schuhe; die Untersuchung des K-Tipp, die ergab, dass vom Kaufpreis von rund 200 Franken gerade mal ein Zehntel an diejenigen geht, welche den Schuh herstellen; die in krassem Gegensatz dazu stehenden Millionengehälter, die sich die Firmengründer auszahlen liessen. 

So waren an diesem Abend schweizerischer Glückseligkeit auch diejenigen weit weg, die nach wie vor den allergrössten Teil der On-Schuhe fertigen, und ohne die auch die rotierenden Roboterarme im Zürcher Kreis 5 ins Leere sprühen würden: die Arbeiter*innen in Vietnam. Denn die Sohle des Sprühschuhs «Made in Switzerland» wird weiterhin in Fabriken in Vietnam hergestellt.

Es mag sein, dass On und der Standort Zürich, wie ETH-Präsident Mesot in seiner Keynote verkündete, die besten Talente der Welt anziehen. Nicht vorgesehen ist hingegen, dass auch diejenigen, welche weiterhin On-Schuhe in körperlicher Arbeit herstellen, ins Lebensqualitäts-exzellente Zürich kommen. Sie sollen ihre Arbeit weiter in Vietnam erledigen, wo sie in einem Monat gerade mal so viel verdienen, wie hierzulande ein Paar On-Schuhe kosten.

© On
Mit «Innovation. Made in Switzerland.» wirbt On an seinem Hauptsitz in Zürich. Schön und gut. Aber wie wäre es mit «Fair. Weltweit.»?

Mit dem Schweizerkreuz auf der Brust strebt On also nach Weltklasse: in der Innovation, im Marketing, bei den Verkaufszahlen, bei den Managerlöhnen. In einem Bereich scheint der Sportgeist jedoch weniger ausgeprägt und die On-Maxime «radikal, mutig, immer gegen den Strom», wie Coppetti sie beschrieb, nicht zu gelten: bei der Nachhaltigkeit und den Arbeiter*innenrechten. 

Es ist der Firma zugute zu halten, dass sie im letzten Jahr (so heisst es zumindest in ihrem neuesten «Impact Progress Report») ihre Bemühungen verstärkt hat, dass den Fabrikarbeiter*innen in Vietnam Gehälter bezahlt werden, die zumindest zum Leben reichen. Zu überprüfen sind diese Angaben leider nicht: Vietnam ist ein repressiver Staat, in dem es keine freien Gewerkschaften gibt und Journalist*innen äusserst gefährlich leben. 

Auch Bewertungen von Rating-Plattformen sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen – Hinweise geben sie trotzdem: In der aktuellen Einstufung von «Good on You» erreichte On in der Kategorie «People», in der die Arbeiter*innenrechte enthalten sind, gerade mal 2 von 5 Punkten. Die ESG-Ratingagentur Sustainalytics, die Nachhaltigkeitsrisiken für Anleger*innen prüft, stuft On ebenfalls im Mittelfeld ein, mit deutlich höherem Risiko etwa als die Konkurrenten Asics und Adidas.

Liebe On-Gründer*innen: Wir gratulieren zur Eröffnung der weltweiten ersten Roboter-Schuhproduktionsanlage. Wir freuen uns auch, dass diese offenbar einen deutlich geringeren CO2-Ausstoss verursacht als bei der herkömmlichen Produktion. Wir möchten Euch aber daran erinnern, in der ganzen Euphorie die Arbeiter*innen in Vietnam nicht zu vergessen, ohne die nach wie vor kein On-Schuh über die Tartanbahnen und Touristenmeilen dieser Welt federern würde. Und wir möchten Euch dazu anstacheln, Euer Streben nach Weltklasse auch auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen in der Wertschöpfungskette auszudehnen, Euch nicht mit der Einhaltung schwacher Mindeststandards zu begnügen, sondern aus dem Pulk herauszutreten und das Feld anzuführen.

Gut möglich, dass sich dies ja auch marketingtechnisch auszahlen würde.

«Dream on» (On)

Florian Blumer ist gelernter Journalist und arbeitet seit 2 Jahren als Reporter und Rechercheur bei Public Eye. Beim Schreiben dieses Texts lief ihm die Liedzeile «Everybody’s on the game» von den Black Keys nach.

Kontakt: florian.blumer@publiceye.ch

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